Der Fall des in Kabul von amerikanischen Isaf-Soldaten entführten Deutsch-Afghanen Haddid N. wirft ein Schlaglicht auf die Panikmache deutscher Sicherheitsbehörden. Zahlreiche junge Muslime leben in Angst vor staatlicher Verfolgung. Von Volkhard Mosler und Jan Maas
Haddid N. hatte Glück: Während er im Januar unschuldig im berüchtigten US-Foltergefängnis im afghanischen Baghram inhaftiert war, setzten sich in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main viele Menschen für seine Freilassung ein, darunter der Kreisvorstand der LINKEN Frankfurt a.M. Nur deswegen ist Haddid N. seit Ende Januar wieder frei und in Deutschland.
Das US-Militär hatte Haddid N. am 8. Januar unter falschem Terrorverdacht während eines Besuchs im Haus seines Vaters in Kabul festgenommen. Woher das US-Militär die falschen Informationen hatte, ist noch nicht geklärt. Der LINKE-Abgeordnete Wolfgang Neskovic meint jedoch: »Deutsche Sicherheitsbehörden sind dringend tatverdächtig, Informationen an die Amerikaner weitergegeben zu haben, die zu der Verhaftung und der Verbringung von Haddid N. in das berüchtigte Gefängnis in Baghram geführt haben.«
Falsches Datum
Gegenüber stern.de bestätigte die Staatsanwaltschaft Frankfurt, dass Haddid N. im Visier der deutschen Justiz war. Der Anlass für das Misstrauen: Für den 11. September 2009 hatte Haddid N. einen Flug zu seinem Onkel nach Pakistan gebucht.
Wohl nur aufgrund des Datums nahmen Beamte am Frankfurter Flughafen Haddid N. fest. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelte bis Mitte 2010 gegen ihn. Da ihm keine Kontakte zu Terroristen nachgewiesen werden konnten, wurden die Ermittlungen wieder eingestellt. Als Haddid N. gegen die Wegnahme seines Passes klagte, bekam er vor dem Verwaltungsgericht Recht.
Doch marx21.de liegen Informationen vor, die dafür sprechen, dass Haddid N. auch nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen ihn weiterhin als potentieller Gewalttäter geführt wurde. Das wirft grundsätzliche Fragen über die Zahlen auf, die in Deutschland über angeblich gewaltbereite Islamisten verbreitet werden. Das Bundesinnenministerium behauptet auf seiner Homepage: »Die derzeit größte Bedrohung für unsere Freiheit und Sicherheit geht vom islamistischen Terrorismus aus.«
Angeblich gewaltbereit
Um diese Behauptung zu belegen, veröffentlicht das Bundeskriminalamt (BKA) in unregelmäßigen Abständen Zahlen über angeblich »gewaltbereite Islamisten« und »terrorbereite Islamisten«. Der Focus zitierte am 27. Februar 2010: »Die Zahl der terrorbereiten Islamisten ist hierzulande gestiegen. Vor allem die Bundestagswahl im vergangenen Jahr brachte Deutschland ins Visier der Extremisten.« 2009 seien mehr als 300 Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang geführt worden, erfuhr der Focus aus Sicherheitskreisen.
Die Antiterrordatei, über die sich bundesweit Behörden austauschen, habe mehr als 120 so genannte »Gefährder« ausgewiesen. Neben diesem engen Kreis gewaltbereiter Tatverdächtiger gebe es in deren Umgebung noch einmal 300 »relevante Beteiligte«. Im Frühjahr 2009 war das BKA noch von 90 Gefährdern ausgegangen. Die Steigerung hängt aus Sicht der Sicherheitsleute mit der Bundestagswahl zusammen – zu der glücklicherweise keine Anschläge verübt wurden.
Zwei potentielle Täterkreise werden in dieser Meldung des Focus erwähnt: der Kreis der »Gefährder« und der Kreis der »relevanten Beteiligten« – was immer man darunter verstehen mag. Beide Kreise werden vom Focus zur Gruppe der »terrorbereiten Islamisten« zusammengefasst. Das BKA drückt sich allerdings etwas vorsichtiger aus.
Fragwürdige Zahlen
Ende Oktober 2010 veröffentlichte das BKA neue Zahlen mit drei potentiellen Täterkreisen. Laut Hamburger Abendblatt (22.10.2010) sprach der Präsident des BKA Jörg Zierke von »mehr als 1000 gewaltbereiten Islamisten«. Die Zahl der »Gefährder« habe bei 131 Personen gelegen. Weitere 274 seien als »relevante Personen« im Bereich des Islamismus eingestuft worden. In Deutschland habe es 352 Ermittlungsverfahren mit Bezügen zum islamistischen Terrorismus gegeben, 105 Verfahren davon mit Bezug auf Afghanistan.
Auffällig an diesen Zahlen ist, dass die Anzahl der vom BKA als »Gefährder« eingestuften Muslime zwischen 2009 und 2011 von 90 auf 131 Personen moderat gestiegen waren. Die Anzahl der Ermittlungsverfahren war von 300 auf 352 nur leicht gestiegen. Die Anzahl der vom BKA beobachteten und registrierten »gewaltbereiten Islamisten« dagegen hatte sich mehr als verdreifacht, nämlich von 300 auf »mehr als 1000«. Schließlich spricht das BKA von »220 Personen«, »… die seit Beginn der 90er Jahre eine paramilitärische Ausbildung erhalten« hätten.
Der Fall Haddid N.s sollte Anlass sein, die Kriterien und Maßstäbe des BKA zu hinterfragen. Was macht einen »Gefährder« aus, wie viele der Ermittlungsverfahren haben zu Anklagen geführt und wie viele Anklagen haben zu Verurteilungen geführt? Worin besteht der Unterschied zwischen einem »Gefährder« und einem »gewaltbereiten Islamisten«, von denen es ja laut BKA plötzlich über 1000 geben soll. Wie erklärt sich das BKA die Verdreifachung der Zahl der gewaltbereiten Islamisten zwischen Februar 2010 bis Oktober 2010? Was zählt das BKA als »paramilitärische Ausbildung«, gehört da auch der Besuch eines Fitness-Studios dazu, wie es Haddid N. besucht hatte, oder die Beteiligung an einer asiatischen Kampfsportart?
Solidarität gewinnt
Noch am Tag vor Haddid N.s Freilassung hatte der Asta der Fachhochschule Frankfurt eine Pressekonferenz abgehalten, die vom ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Gregor Amman moderiert wurde. Über 2000 Studierende der FH hatten sich in den Tagen zuvor auf einer Solidaritätserklärung des Asta eingetragen. Hermann Schaus (MdL DIE LINKE), hatte auf der Konferenz angekündigt, die Rolle der hessischen Staatsschutzbehörden bei Haddid N.s Festnahme durch die Amerikaner in Kabul noch aufzuklären.
Im Zuge dieser Aktivitäten bestätigten viele junge Muslime, eingeschüchtert zu sein und sich nicht zu trauen, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen. Eine Minderheit tut dies zwar mit einer »Jetzt-erst-recht-Haltung«. Doch der ständige Druck von Medien und polizeilichen Maßnahmen gegen eine angebliche islamistische Terrorgefahr und die wachsende Tendenz eines Generalverdachts gegen die Gruppe religiöser muslimischer junger Männer und Frauen machen der Mehrheit der Muslime Angst.
Ohne den DGB Frankfurt und den Frankfurter Unterbezirksvorstand der SPD, ohne die Ankündigung eines Prominentenaufrufs durch den Asta-Vertreter wäre Haddid N. noch heute in Baghram inhaftiert. Doch die Breite der Protestwelle hat vielen Mut gemacht. Auf einer Veranstaltung gegen Islamfeindlichkeit mit Christine Buchholz kam aus dem Kreisverband der LINKEN Frankfurt die Initiative zur Gründung eines breiten, überparteilichen Bündnises gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus. Ziel des Bündnisses solle sein, der zu erwartenden antiislamischen Kampagne im bevorstehenden Kommunalwahlkampf entgegen zu treten.
Mehr auf marx21.de:
- Eine lange Kontinuität des Hasses: Die gegenwärtige Islamfeindlichkeit hat tiefe Wurzeln. Wie weit sie zurückgehen, erklärt Achim Bühl im Gespräch mit marx21.
- Propaganda gegen Muslime: Im Juli 2009 wurde die Ägypterin Marwa el-Shirbini vor einem Gericht in Dresden von einem antiislamischen Fanatiker ermordet. Der zu Hilfe eilende Ehemann Marwa el-Shirbinis wurde vor Gericht von einem Polizeibeamten angeschossen und schwer verletzt. Unterlag der Polizeibeamte selbst rassistischen Klischees oder islamophoben Denkmustern? Dr. Sabine Schiffer, Leiterin des Institut für Medienverantwortung, wurde wegen »übler Nachrede« angezeigt, weil sie solche Fragen in der Diskussion um den Mord stellte. Ende März wurde sie von allen Vorwürfen freigesprochen. Francis Byrne befragte sie zum Thema Islamophobie.
- Eine Religion wie jede andere: Katrin Schierbach setzt sich mit gängigen Vorurteilen gegenüber dem Islam auseinander.