Gesetze, die vor Dumpinglöhnen ausschließlich bei öffentlichen Aufträgen schützen, verstoßen gegen das EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof am Donnerstag entschieden. Ein Kommentar von Dieter Hooge
Mit dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg wird Unrecht gesprochen. Das Tor zur Unterstützung und Förderung von Lohn- und Sozialdumping in den europäischen Ländern wird weiter aufgestoßen. Man kann das auch Klassenjustiz nennen, denn es folgt einer in der europäischen Politik vorherrschenden Ideologie.
Die einheitliche Verabschiedung der EU-Verfassung ist nur scheinbar gescheitert. Der neoliberale Geist dieses Projekts, die Revitalisierung des Manchester-Kapitalismus, hat die politische Klasse fast aller Mitgliedsländer mehr oder weniger durchdrungen. Politische Regierungs-Akteure, in Frankreich, England und nicht zuletzt in Deutschland sind die Motoren dieser Entwicklung. Die meisten neuen Beitrittsländer folgen mehr oder weniger willig.
Die EU-Kommission erweist sich immer wieder aufs Neue als verläßliche Lobby für die Wirtschafts-Union. Seltsam still ist es in Brüssel bei Baroso, Verheugen & Co., wenn es um Ideen und Initiativen für ein soziales Europa geht. Man kann den Eindruck haben, dass sie sich dafür gar nicht zuständig fühlen. Es beauftragt sie auch wohl keiner. Deswegen haben wichtige Urteile des EuGH eine unübersehbare Einseitigkeit. Die Damen und Herren Richter urteilen im Sinne des europaweiten neoliberalen Mainstreams und nicht im luftleeren Raum. Sie sprechen kein Recht, sondern Unrecht, sie urteilen, wie am 3. April 2008, für Tarifuntreue statt Tariftreue. Sie sind Partei!
Die Europaverdrossenheit der Massen in den Ländern des Kontinents ist mit Händen zu greifen. Die Richterinnen und Richter in Luxemburg in ihren farbigen Roben haben dem nochmal neuen Schub verliehen. Die europäische Wirtschafts-Union, ein deregulierter, europäischer Kapitalismus, wird immer massiver zementiert, die Sozial-Union kommt unter die Räder. Das geplante Verfassungs-Projekt musste zunächst aufgegeben werden. Nun kommt im neuen neoliberalen Gewande der EU-Vertrag daher. Viele haben es noch nicht gemerkt: in Europa herrscht Klassenkampf von oben.
Verbale Proteste der Gewerkschaften (Wiesehügel spricht von Raubtierkapitalismus) helfen da nicht mehr. Angesagt ist eine gemeinsame, permanente gewerkschaftliche Gegenmacht in allen Ländern der EU. Dies ist von Fall zu Fall möglich gewesen, sogar mit Erfolg. Zum Beispiel beim Ziehen der neoliberalen Giftzähne der Entsenderichtlinie. Noch ist es die Ausnahme, wann wird es endlich zur Regel? Kämpferische internationale Solidarität konkret und massiv, wie wäre es damit?
Zur Person:
Dieter Hooge ist Mitglied der LINKEN in Hessen und war von 1995 bis 2002 Landesvorsitzender des DGB Hessen.