Wälzt die griechische Übergangsregierung die Kosten der Krise weiterhin auf die Bevölkerung ab, ruft sie noch mehr Proteste hervor. Aber auch der Widerstand steht vor Herausforderungen, berichtet Dirk Spöri
Griechenland ist in den letzten Monaten zum Symbol für die Krise in Europa geworden. Monat um Monat werden neue Rettungspakete geschnürt, um das Land vor der Pleite zu bewahren. Falls Griechenland seine Schulden nicht mehr bezahlen kann, stehen große Banken vor allem in Frankreich ebenso vor der Pleite. Falls Griechenland aus dem Euro aussteigt, könnten Italien und andere Länder schnell folgen und würden damit den Export der deutschen Industrie bedrohen.
Bezahlen sollen die Menschen in Griechenland. Schon seit vielen Monaten laden Politiker und Boulevard-Medien die Schuld bei den Griechen ab. Sie haben angeblich über ihre Verhältnisse gelebt: Die griechische Krankenschwester, die keine 1000 Euro im Monat bekommt; der Busfahrer, der bis 67 arbeiten soll; die Studentin, die in Athen nicht weniger Miete als in Freiburg oder Stuttgart zahlt.
Lohndumping durch Deutschland
Die Wahrheit ist: Die Griechen haben nicht über ihre Verhältnisse gelebt. Die Rettungspakete sind Schwimmwesten aus Blei. Sie bringen einen Einbruch der Wirtschaft mit sich – für dieses Jahr wird ein Einbruch um 8 Prozent erwartet. Und sie stürzen schon jetzt viele Griechen in Armut. Zur Zeit sind eine Million Griechen arbeitslos – das sind 20 Prozent.
Wer wirklich über seine Verhältnisse gelebt hat, das ist unter anderem die deutsche Exportindustrie, die mit ihrem Lohndumping die Konkurrenz in den anderen europäischen Staaten platt gemacht hat. Deutschland ist mit Hilfe der Agenda-2010-Politik für die Misere in hohem Maße verantwortlich. Denn deutsche Exportüberschüsse sind Defizite der anderen. Und diese Defizite werden in den anderen Ländern mit Schulden, Sozialabbau oder beidem bezahlt. Dabei ist die Sparpolitik in Griechenland nur der Anfang. Griechenland wird Beispiel sein für Italien, für Spanien und auf Dauer auch für Deutschland, denn auch hier wird die Schuldenlast nicht den Reichen oder den Banken aufgebürdet, sondern den Menschen.
Da die Politik an den Interessen Deutschlands, Frankreichs und von Großbanken ausgerichtet ist, durfte es auch keine Volksabstimmung geben. In Griechenland regieren de facto seit Monaten schon Merkozy, also Merkel und Sarkozy, sowie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank.
Welle von Generalstreiks
Schon seit vergangenem Jahr gab es in Griechenland zahlreiche Proteste gegen diese Politik. Es fanden zahlreiche Generalstreiks statt, es wurde zentrale Institutionen von der Akropolis bis zur Notenbank bestreik und besetzt. Doch die Proteste haben nun eine neue Qualität erreicht. Ähnlich wie in Spanien und nach Vorbild des Tahrirplatzes in Kairo wurde seit dem Frühsommer der direkt vor dem Parlament in Athen gelegene Syntagma-Platz besetzt. Und seit August sind 300 Fakultäten an unterschiedlichen Hochschulen besetzt.
Die Ankündigung des neuesten Sparpaketes im Oktober, nach dem unter anderem alle Angestellten im öffentlichen Dienst auf 20 Prozent ihres Gehaltes verzichten sollen, führte zum größten Generalstreik der letzten Jahre. Am 19. und 20. Oktober streikten in Griechenland über eine Million Menschen. Von tausenden auf den kleinsten Inseln bis zu den 700.000 Menschen in Athen: im ganzen Land gab es Demonstrationen. Gleichzeitig besetzten Staatsangestellte die Ministerien.
Privatvermögen heranziehen
Das Parlament verabschiedete das Sparpaket noch während des Generalstreiks. Doch dadurch nahm die Wut nur weiter zu. Bei einem Feiertag in der Folgewoche wurden die Politiker, die die zahlreichen Feiern besuchen wollte, davongejagt.
Anstatt die Arbeiter und Angestellten für die Schulden bei den europäischen Banken zahlen zu lassen, müssten die Privatvermögen herangezogen werden. Die Regierung müsste auch verhindern, dass Geld ins Ausland abgezogen wird. Auch profitable Bereiche der Wirtschaft – beispielsweise die boomende Tourismusindustrie – müsste endlich zahlen. Wichtigster Schritt wäre es jedoch, die Zinsen für die Schulden nicht mehr zu zahlen. Diese sind von 10 Milliarden im Jahr 2007 auf nunmehr 18 Milliarden Euro – das ist mehr als die gesamten Personalkosten für die öffentlichen Dienst.
Übergangsregierung unter Druck
Mit dem Vorschlag eines Referendums versuchte der griechische Staatschef Papandreou von der sozialdemokratischen Partei PASOK, seinen Rückhalt wieder zu vergrößern und die Blockadehaltung der konservativen Partei aufzuheben. PASOK hat im Parlament nur noch zwei Stimmen Mehrheit, nachdem mehrere Abgeordnete die Fraktion verlassen hatten oder rausgeworfen wurden. Aus diesem Grund wird es nun unter Bildung einer großen Koalition eine Übergangsregierung geben. Doch diese Manöver sind nur ein Spiel um Zeit. Bei Neuwahlen würden die Sozialdemokraten 20-30 Prozent verlieren, aber auch die oppositionelle konservative Partei verlöre nach Umfragen über 10 Prozent. Die beiden Parteien hätten dann zusammen weniger als 50 Prozent der Stimmen.
Die neue Regierung könnte schon früher scheitern: eine Aufgabe wird die Verabschiedung des Haushalts mitsamt neuer Sparmaßnahmen sein. Die Gewerkschaften haben schon jetzt Protest dagegen angekündigt. Und für den 17. November – dem Jahrestag des Studentenaufstands von 1973 gegen die Militärdiktatur – sind schon Demonstrationen angesetzt.
Neuwahlen keine Perspektive
Doch vorwiegend auf Neuwahlen zu setzen – wie es unter anderem die traditionell starke kommunistische Partei KKE tut – bietet keine Perspektive, die Angriffe zurückzuschlagen. Dabei ist die Situation schon jetzt vergleichbar mit Argentinien 2001. Auch damals setzte der IWF eine neoliberale Politik durch. Die folgenden Massenproteste führten jedoch zum Sturz der Regierung.
In Griechenland gibt es Ansätze zum Entstehen einer solchen Gegenmacht. Die Besetzung der Ministerien durch die Angestellten sind ein erster Schritt. Beschäftigte, die ein Elektrizitätswerk besetzten, entschieden, dass Arme und Arbeitslose nicht mehr vom Strom abgeschnitten werden, wenn sie ihre Rechnung nicht bezahlen können. Die Beschäftigten im Innenministerium erklärten gegenüber im Streik befindlichen städtischen Angestellten, dass sie alle Anweisungen, streikende Arbeiter zu entlassen, blockieren werden.
Bedingungsloser Schuldenerlass
Mit der Verschärfung der Krise in Italien und damit auch der zunehmenden Gefahr für die Wirtschaft in Deutschland und Frankreich wird auch in den Medien immer klarer, daß es sich nicht um ein rein griechisches Problem handelt. Die zunehmende Kosten für die Rettung des Euros werden früher oder später auch in Deutschland zu Sparpaketen führen.
Der Widerstand in Griechenland und anderen Ländern Europas – in Portugal ist für November ein Generalstreik angekündigt und in England sind die drei Millionen Angestellten im öffentlichen Dienst zum Streik aufgerufen – macht deutlich, dass es nicht um einen Konflikt zwischen Griechen, Italien, Franzosen oder Deutschen geht, sondern zwischen oben und unten. Internationale Solidarität statt Nationalismus, Mindestlohn und Reiche besteuern, alle Banken unter öffentliche Kontrolle, bedingungsloser Schuldenerlass für Griechenland und andere Länder – diese Forderungen können der Hetze gegen Griechenland Kontra geben.
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