Die Vergangenheit lässt die Kassen klingeln: Auf den Bestsellerlisten landen historische Romane ganz weit vorne. Aber was macht solche Bücher interessant? Wir trafen den Kinder- und Jugendbuchautor Klaus Kordon und sprachen mit ihm über die Novemberrevolution, ein Krokodil im Nacken und die Frage, wie aus trockenen Fakten lebendige Romanfiguren werden. Vorabveröffentlichung aus marx21 Nr. 25 – erscheint Mitte April
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Historische Romane sind zurzeit so beliebt wie nie zuvor. Sie waren einer der ersten Schriftsteller, der Kinder- und Jugendromane veröffentlichte, die sich mit der deutschen Geschichte befassen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Mein Interesse an Geschichte hat viel mit meiner eigenen Lebensgeschichte, meiner Kindheit, zu tun. Mein Großvater ist im Ersten Weltkrieg gefallen, mein Vater im Zweiten Weltkrieg. Ich wurde 1943, noch mitten im Krieg, geboren und bin in der Trümmerstadt Berlin groß geworden – zwischen Ost und West. Das war eine hochpolitische Zeit. Am 17. Juni 1953 habe ich als Zehnjähriger den Arbeiteraufstand im Osten der Stadt miterlebt und gesehen, wie die russischen Panzer mit Steinen beworfen wurden. Als ich achtzehn war, wurde die Mauer gebaut. Ich wollte einfach wissen, warum die Dinge waren, wie sie sind. Ich wollte wissen, warum mein Großvater für den Kaiser und mein Vater für Hitler in den Krieg ziehen mussten, beide gegen ihren Willen – und warum sie sterben mussten.
Aber warum dann ausgerechnet historische Romane für Jugendliche?
Das hat sich so entwickelt. Mein erstes Jugendbuch, »Tadaki«, spielt in Indonesien. Es wurde 1977 veröffentlicht und beschreibt die Armut eines Jugendlichen. Mit dieser so genannten Dritten-Welt-Geschichte begann ich, Jugendbücher zu schreiben. Bei Lesungen in Schulen, die ich oft und gerne mache, kam ich mit den Schülern in Diskussionen auch auf die deutsche Geschichte zu sprechen, auf das Nazireich und die Frage, was eigentlich vorher war. Da habe ich gemerkt: Die wussten überhaupt nichts. Fünfzehnjährige Schüler wussten, dass es den Ersten Weltkrieg gab, aber mehr nicht. Die Novemberrevolution? Keinen blassen Schimmer, nie davon gehört. Das hat mich nicht mehr losgelassen.
Viele Autoren nutzen Geschichte lediglich als Kulisse, vor der sie eine Kriminalhandlung oder eine Liebesgeschichte ansiedeln. Was macht für Sie einen interessanten historischen Roman aus?
Ich unterscheide zwischen jenen Büchern, die zurzeit die Bestsellerlisten anführen, und denen, die ich als gute historische Romane bezeichnen würde. Beispielsweise haben Lion Feuchtwanger mit »Jud Süß« oder Heinrich Mann mit seinem »Henri Quatre« bereits in den 1920er und 1930er Jahren wunderbare historische Romane geschrieben. Heute bedient ein Großteil der Geschichtsbelletristik einfach nur ein Unterhaltungsbedürfnis. Das ist in Ordnung, aber die Autoren spielen mit der Geschichte und erklären kaum die politischen Verhältnisse. Ich möchte Geschichte lebendig werden lassen. Es geht mir darum, die politischen Strömungen in der jeweiligen Zeit zu behandeln und Hintergründe zu beleuchten. Geschichtsbücher sind wichtig, aber oft trocken und faktenorientiert. Emotional spricht das den Leser wenig an. Aber wenn man einen Roman liest und mit den Figuren durch die Straßen von damals spaziert, dann bekommt man das Gefühl, dass man dabei ist und versteht die Zeitumstände plötzlich besser.
(Die Fragen stellte Yaak Pabst)
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Zur Person:
Klaus Kordon ist ein Kinder- und Jugendbuchautor. Eines seiner bekanntesten Werke ist »Die roten Matrosen«. Seine zahlreichen Veröffentlichungen wurden in viele Sprachen übersetzt und mit nationalen und internationalen Preisen bedacht. Für seinen autobiographische Roman »Krokodil im Nacken« erhielt er den Deutschen Jugendliteraturpreis, für sein Gesamtwerk den Alex-Wedding-Preis der Berliner Akademie der Künste.
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