Die Amazon-Beschäftigten streiken seit Mai 2013 immer wieder für die Einführung des Einzelhandel-Tarifvertrags. Welche Erfolge es gab und warum die Unterstützung von Studierenden so wichtig ist, erklärt Andreas Sandig von der Streikleitung in Leipzig im marx21-Gespräch
Andreas, vom Amazon-Streik war dieses Jahr noch nicht viel in den Medien. Gibt es ihn noch?
Ja, wir bereiten weitere Streiks vor. Genaueres kann ich leider nicht verraten. Übrigens haben auch in Frankreich Gewerkschaften zu Streiks bei Amazon aufgerufen.
Warum das?
Massenhaftes Einstellen und Entlassen von befristet Beschäftigten. Ständige Überwachung am Arbeitsplatz, unrealistische Zielvorgaben. Dasselbe wie bei uns. Amazon hat weltweit dasselbe menschenfeindliche Geschäftsmodell.
Habt ihr Kontakt zu den französischen Gewerkschaften?
Kontakt schon, aber noch nicht genug. Einen gemeinsamen Streik am selben Tag konnten wir noch nicht vereinbaren. Daran arbeiten wir.
Ihr streikt seit letztem Jahr erfolglos dafür, dass Amazon euch nach dem Einzelhandel-Tarifvertrag bezahlt. Ist euer Kampf sinnlos?
Wir konnten den Tarifvertrag noch nicht durchsetzen. Dennoch hat Amazon unsere Löhne seit 2009 um 30 Prozent erhöht. Zudem haben wir andere Verbesserungen wie mehr Pausenräume erreicht, die so weit auseinander lagen, dass man die Pause zum Teil mit Gehen verbrachte.
Laut Amazon haben eure Streiks keine Kosten für das Unternehmen verursacht
Das werden sie immer behaupten, um uns zu entmutigen. Und natürlich können wir die verursachten Kosten nicht selbst berechnen.
Aber wir wissen, dass vor Weihnachten viele Kunden ihre Artikel nicht in der üblichen Zeit bekommen haben und dass Amazon deswegen extra Mails verschickt und um Entschuldigung gebeten hat. Außerdem wurden Weihnachten zusätzliche Beschäftigte eingestellt, die lange kaum was zu tun hatten, um dann während der Streiks den Versand aufrecht erhalten zu können.
Wie viele Beschäftigte beteiligen sich an den Streiks bei Amazon Leipzig?
Wir bauen die Amazon-Streiks in Leipzig erst seit letztem Jahr auf. Zuletzt haben etwa 500 von über 2000 Beschäftigten gestreikt, obwohl hier viele Studierende und befristet Beschäftigte arbeiten. Das ist ein wichtiger Schritt beim Aufbau unserer Streikmacht.
Hat DIE LINKE euch irgendwie unterstützt?
Ja. Im Dezember war sogar der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi hier und hat eine Rede gehalten. Das war ein echter Höhepunkt für die streikenden Kollegen.
Waren sie nicht skeptisch gegenüber einem Politiker?
Vorher schon. Aber nach Gysis Ansprache haben selbst Leute, die nie LINKE gewählt haben, begeistert Beifall geklatscht. Er hat eine echte Wutrede gehalten und gezeigt, dass wenigstens eine große Partei unsere Kritik an den politischen Umständen teilt, die es Amazon so einfach machen.
Was für politische Umstände?
Das Geschäftsmodell von Amazon ist nicht vom Himmel gefallen. Der Konzern setzt nur um, wozu die Politik ihn mit der Agenda 2010 eingeladen hat.
Wie meinst du das?
Massenhaft befristet Beschäftigte, Niedriglohn für alle ohne Tarifvertrag, ständig Entlassungen und Neueinstellungen und zwar oft von Hartz-IV-Empfängern, die zumindest anfangs bereit sind, jede Arbeit für jeden Lohn zu machen. All das gab es vor den Hartz-“Reformen“ nicht und all das muss wieder abgeschafft werden. Wir sind froh, dass DIE LINKE das ausspricht.
Profitiert nicht gerade eine ostdeutsche Stadt wie Leipzig von einem so großen Unternehmen?
Hast du auf amazon.de schon mal das Impressum gelesen?
Nein. Wieso?
Der Unternehmenssitz von Amazon Deutschland ist nicht in Deutschland, sondern offiziell in Luxemburg. Die machen hier dicke Gewinne, schaffen sie nach Luxemburg und zahlen dort kaum Steuern. Gleichzeitig fordern sie Jobcenter auf, ihnen Langzeitarbeitslose zu schicken, weil sie die am Besten Ausbeuten können.
Im Januar ging durch die Medien, dass die Initiative „Pro Amazon“ bei euch Unterschriften gegen die Streik-Ziele von ver.di sammelt? Wie ist das möglich?
„Pro Amazon“ gib es tatsächlich. Nach meiner Einschätzung geht die Initiative von leitenden Angestellten aus, die hofften, mit der Aktion ihre Karriere-Möglichkeiten zu verbessern.
Also nur eine Erfindung des Managements?
Nicht ganz. Wahrscheinlich haben in den Standorten Bad Hersfeld und Leipzig zusammen tatsächlich mehrere hundert Beschäftigte für „Pro Amazon“ unterschrieben. Das zeigt, wie viel Angst manche Kollegen haben und dass fast niemand Erfahrung mit Gewerkschaften hat.
Kann man vor einem Streik Angst haben?
Klar. Beschäftigte haben uns zum Beispiel vorgeworfen, wir würden Amazon in die Pleite streiken und damit alle Arbeitsplätze vernichten. Das ist natürlich falsch. Aber wenn jemand von Wirtschaft und Politik nicht so viel Ahnung hat, können sich solche Gerüchte schnell ausbreiten.
In Leipzig gibt es ein Solidaritäts-Komitee, in dem Leute, die nicht bei Amazon arbeiten, euren Streik unterstützen. Wozu ist das gut?
Das Soli-Komitee wurde gegründet, nachdem uns an unserem ersten Streik-Tag ein paar Studierende besucht und uns ihre Unterstützung ausgesprochen haben. Die haben sich dann verabredet und in den nächsten Tagen 500 Unterstützungsunterschriften für uns in Leipzig gesammelt. Von der Übergabe der Unterschriften hat sogar die regionale Zeitung berichtet.
Was nützen Unterschriften bei einem Streik?
Die meisten von uns hatten bis vor Kurzem noch nie Kontakt mit einer Gewerkschaft. Viele hatten Angst, für ihren Streik beschimpft und verachtet zu werden. Zu sehen, dass so viele Leipziger den Streik gut finden, hat uns wahnsinnig viel Kraft, Mut und Hoffnung gegeben.
Habt ihr mit dem Soli-Komitee auch was zusammen gemacht?
Ja. Ein Höhepunkt war im Dezember unsere Demonstration mit 400 streikenden Kollegen zur Universität. Dort haben wir mit Hilfe des Soli-Komitees den Campus gestürmt und Reden gehalten. Danach sind wir in einen großen Hörsaal marschiert und haben den neugierigen Studierenden erklärt, worum es uns geht. Das war echt geil.
Aber im Amazon-Betrieb kann das Soli-Komitee schlecht helfen, oder?
Sie können nicht mit roten Fahnen das Versandzentrum stürmen. Aber durch die Arbeit des Soli-Komitees erhalten wir so viele neue Ideen, die wir für unseren Streik unbedingt brauchen.
Was für Ideen braucht ihr denn?
Zum Beispiel hat das Soli-Komitee im Januar eine Diskussionsveranstaltung in der Uni Leipzig mit 50 Teilnehmern über unseren Streik gemacht. Da war auch Oskar Stolz vom SDS aus Berlin. Der hat erzählt, dass sie beim Einzelhandel-Streik eine H&M-Filiale blockiert haben, damit niemand was kaufen kann.
Auf solche Ideen muss man erst mal kommen. Wir brauchen möglichst viel Informationen und Erfahrungen von anderen, die sich gewerkschaftlich engagieren. Schließlich machen wir das alle zum ersten Mal und müssen viel lernen.
Ist das Soli-Komitee bei Amazon Leipzig eine Ausnahme oder gibt es so was öfter?
Beim Tarifkonflikt des Krankenhauses Charité in Berlin arbeitet auch ein Soli-Komitee, aber sonst gibt es das noch viel zu selten. Auch mir war vor einem Jahr noch nicht klar, wie enorm wichtig für einen Streik die Unterstützung von Leuten sein kann, die gar nicht in dem bestreikten Unternehmen arbeiten. Jede und jeder kann für einen Streik entscheidende Hilfe leisten.
Andreas Sandig ist Versandmitarbeiter bei Amazon Leipzig, Vertrauensmann von ver.di und Mitglied der Streikleitung.
Interview: Hans Krause
Die Beschäftigten von Amazon streiken seit letztem Jahr immer wieder für die Einführung des Einzelhandel-Tarifvertrags, der in Ostdeutschland einen Einstiegslohn von mindestens 10,66 Euro pro Stunde bedeuten würde. Derzeit beträgt der Einstiegslohn bei Amazon Leipzig 9,55 Euro.
Am 6. Februar haben erstmals auch in Frankreich Beschäftigte von Amazon gestreikt. Hier ein französischer Fernsehbericht über die Blockade des Werkes in Sevrey: http://www.francetvinfo.fr/economie/entreprises/video-amazon-bloque-par-la-greve_523999.html. Vertreter von ver.di haben sich auch schon mit Kollegen der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc und der tschechischen Gewerkschaft OSPO getroffen, um ein gemeinsames Vorgehen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen bei Amazon zu besprechen.
Amazon lehnt weiter jede Art von Verhandlung mit ver.di grundsätzlich ab.