{nomultithumb}Das vergangene Jahr war kein gutes für DIE LINKE. Nun soll 2012 alles besser werden. Wir fragten Vorstandsmitglied Christine Buchholz, wie die gebeutelte Partei wieder in die Offensive kommen kann. Ein Gespräch über Krisenproteste, Piratenparteien und Verfassungsfeinde in der CDU. Vorabveröffentlichung aus marx21 Nr. 24 – erscheint am 14. Februar
marx21.de: Christine, du bist eine von 27 Bundestagsabgeordneten der LINKEN, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Hältst du tatsächlich nichts von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung?
Christine Buchholz: DIE LINKE will nicht weniger, sondern mehr Demokratie. Mittlerweile sind wir ja gewohnt, dass das Parlament Entscheidungen gegen die Mehrheit der Bevölkerung trifft. Neuerdings hält es die Regierung aber nicht einmal mehr für nötig, das Parlament zu befragen – die Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm wurde vom Verfassungsgericht erzwungen. Ganz zu schweigen von der Wirtschaft oder weiter Teile des Staatsapparats. Sie unterstehen überhaupt keiner demokratischen Kontrolle.
Im Gegensatz zur Bundesregierung sind wir bereit, demokratische Rechte zu verteidigen. Wenn uns das schon verdächtigt macht, dann sagt das mehr über den Staat aus als über DIE LINKE. Überhaupt haben die Parteien, die die Bespitzelung der LINKEN verteidigen, ein sehr flexibles Verhältnis zur Verfassung. In den 1990er Jahren hat die Union beispielsweise – gemeinsam mit der SPD – das Grundrecht auf Asyl abgeschafft. Auch das bis dahin wie selbstverständlich angenommene verfassungsmäßige Verbot von Bundeswehreinsätzen außerhalb des Bündnisterritoriums der NATO haben sie außer Kraft gesetzt – mit der Weihe der obersten Richter in Karlsruhe. Schließlich ist auch noch das Grundrecht der Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung ausgehebelt worden.
Im Übrigen ist »Verfassungsschutz« ein irreführender Name. Wir haben es hier mit einem Inlandsgeheimdienst zu tun. Aber etwas Positives hat die Sache: Zum ersten Mal in seiner 50-jährigen Geschichte ist dieser Geheimdienst bei der Mehrheit der Bevölkerung in Misskredit geraten. In den 1980er Jahren konnte der Geheimdienst Linken einfach den Stempel »verfassungsfeindlich« aufdrücken. Das war ein Stigma und hat eingeschüchtert. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz war Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die westdeutsche Linke im Kalten Krieg.
Nun hat sich die Situation verändert. Es ist offensichtlich geworden, dass es nicht um den »Schutz« der Verfassung geht. Heute erkennen viele Menschen, dass der Inlandsgeheimdienst selbst die Freiheit bedroht. Unter seinen Augen kann eine Nazibande über einen Zeitraum von zehn Jahren ungestört zehn Menschen hinrichten. Und nun kommen dieselben Leute an, und bezeichnen die LINKE als eine Bedrohung für die Bürger in diesem Land. Das nimmt ihnen doch kaum noch jemand ab.
Auch mein eigenes Wahlkreisbüro im nordhessischen Schwalmstadt ist bisher fünf Mal angegriffen worden. Leider hat die »Beobachtung« meiner Aktivitäten durch den Staat nicht dazu beigetragen, die Täter ausfindig zu machen.
Laut Umfragen sagen 80 Prozent der Deutschen, dass die Occupy-Aktivisten mit ihrer Kritik an den Banken und den Regierungen recht haben. DIE LINKE versteht sich als Partei dieser Bewegung, verharrt aber nun schon seit Wochen bei sieben Prozent. Woher rührt dieser Widerspruch?
Die gesellschaftliche Stimmung ist momentan links. Das sollte unser Ausgangspunkt sein. Der Zuspruch zu den Aktivitäten der Occupy-Bewegung ist ein Beleg dafür. Doch von der Sympathie für linke Ideen zur Selbstaktivität ist es manchmal ein großer Schritt. Occupy war ein wichtiger Impuls – trotzdem waren nur wenige Menschen direkt an der Bewegung beteiligt.
Es gibt mehrere Studien über die Sicht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf die Krise. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine erhebliche Wut, Angst und Ohnmacht existiert, sich diese Wut aber nicht gegen klar definierte Adressaten richtet, sondern vor allem gegen korrupte Politiker. Sie bleibt deswegen hilflos.
Zudem ist für viele die Krise noch nicht spürbar. Es scheint als wüte der Sturm woanders, in Griechenland etwa. Tatsache ist, dass die deutsche Wirtschaft momentan boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt und daher von Seiten der Regierung auch keine großen sozialen Angriffe geplant werden. Das unterscheidet die Situation ganz klar von beispielsweise den Agenda-2010-Zeiten. Damals gab es mit Hartz IV und Gerhard Schröder klar umrissene Feindbilder, gegen die sich Aktivitäten und Gegenmobilisierungen richten konnten.
Ohne solche Mobilisierungen hat es DIE LINKE schwer. Außerdem ist unser Bonus als neue Partei, die man wählt, um »die Etablierten zu ärgern«, mittlerweile aufgebraucht. Im Vergleich zur Piratenpartei wird DIE LINKE nun selbst als etablierte Kraft wahrgenommen. Gleichzeitig unternehmen die anderen Parteien und die Medien alles, um potenzielle Wähler, die an vielen Punkten mit uns übereinstimmen, abzuschrecken. In den letzten Jahren wurde die Partei entweder totgeschwiegen oder unter Feuer genommen.
Aber nun können wir ja nicht warten, bis sich die Bild-Zeitung entscheidet, DIE LINKE zu mögen…
Nein, natürlich nicht. Wir können nicht auf die Gunst anderer hoffen, sondern müssen in der Lage sein, selber Gegenöffentlichkeit zu schaffen und Leute zu organisieren. Wir müssen einen Raum schaffen, in dem über die Hintergründe und Dimensionen der Krise diskutiert wird. Dort müssen wir deutlich machen, dass es eine Alternative zur Krisenpolitik der Regierung gibt. Wir sollten von den inspirierenden Beispielen des internationalen Widerstandes berichten und vor Ort lokale Kämpfe gegen Privatisierungen und für höhere Löhne unterstützen. Wo es keine Kämpfe gibt, auf die wir uns beziehen können, können wir ein eigenes Aktionsangebot schaffen. DIE LINKE muss die Partei werden, in und mit der Menschen aktiv werden können.
Stichwort Piraten: Es ist doch auffällig, dass sich das erfolgreichste Parteiprojekt des vergangenen Jahres als Anti-Partei darstellt. Hat vielleicht einfach die Organisationsform »Partei« abgewirtschaftet? Schreckt sie viele derjenigen ab, die links aktiv werden wollen?
Klar, »Partei« ist für die meisten erst einmal ein Schimpfwort. Das fußt auf den Erfahrungen mit dem Parteiensystem, mit zahlreichen gebrochenen Versprechen und der oftmals Aktivitäten abtötenden parteiinternen Kultur. Trotzdem: Wer sich politisch verbindlich organisiert und um Mehrheiten kämpft, bildet eine Partei. Die Frage ist jedoch: Was für eine Partei wollen wir?
Parteien haben die Möglichkeit, über die parlamentarische Arbeit ein großes Publikum für ihre Ideen und Vorschläge zu erreichen. Ein Problem ist es allerdings, wenn die Tätigkeit im Parlament den Parteiaufbau und die Außenwendung ersetzt. Für DIE LINKE wäre dass tödlich, weil die Art von Gesellschaftsveränderung, die uns vorschwebt, sich gar nicht über das Parlament bewerkstelligen lässt. Davon ausgehend kommen wir zu einem Parteimodell, das sich stark von anderen unterscheidet. Wir wollen nämlich eine aktivistische und aktivierende Mitgliederpartei, die bundesweit und vor Ort wirkt, Menschen zur Selbstaktivität ermuntert und Bündnisse schließt, um real etwas anzustoßen. Eine solche Partei kann durchaus attraktiv sein.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat kürzlich Rot-Rot-Grün nach der kommenden Bundestagswahl eine Absage erteilt. Wie groß ist deine Enttäuschung?
Zunächst einmal ist das ein Beleg dafür, dass Gabriel keinen wirklichen Politikwechsel will. Eine Neuauflage von Rot-Grün unter den Bedingungen der Krise würde da ansetzen, wo Gerhard Schröder im Jahr 2005 aufgehört hat.
Außerdem meine ich: DIE LINKE sollte sich nicht über Konstellationen definieren, sondern offensiv begründen, warum eine starke LINKE in den Parlamenten ein Gewinn für Beschäftigte, Erwerbslose, Rentnerinnen, Rentner und Studierende ist. Sie sollte erklären, dass sie gegen die Abwälzung der Krisenlast auf die Mehrheit der Menschen kämpft; dass sie für den Mindestlohn und gegen die Rente mit 67 ist; dass sie eine scharfe linke Kritik an der EU übt; dass sie verlässlich gegen den Krieg stimmt.
Um diese Glaubwürdigkeit zu erhalten, muss DIE LINKE deutlich machen, dass sie sich nicht an einer Regierung beteiligen wird, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt und die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt.
Es gibt die weitverbreitete Hoffnung, dass Rot-Grün es anders machen wird als Schwarz-Gelb. Diese Hoffnung wird im Wahljahr 2013 wahrscheinlich noch stärker werden. Wir sind bereit, an geeigneten Punkten praktische Vereinbarungen für Aktionen zu treffen – zum Beispiel im Kampf gegen Nazis oder für den gesetzlichen Mindestlohn. Wir sind, soweit es die Inhalte hergeben, für die Einheit in der Praxis, nicht für die Bildung prinzipienloser Regierungskoalitionen.
Noch einmal zurück zur LINKEN: Im Juni wird eine neue Parteiführung gewählt. Neues Personal – neues Glück?
Wichtiger als eine Personaldebatte finde ich die Frage, warum es in letzter Zeit nicht so gut für uns gelaufen ist und welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen. DIE LINKE hat ein politisches Problem, kein technisch-handwerkliches. Wir haben zu spät auf die veränderten Rahmenbedingungen, die Feindseligkeit der Bürgerlichen und die Aufstellung von Rot-Grün als Opposition neben uns reagiert. Als die für uns selbstverständlich gewordenen Erfolge ausblieben, sind wir in die Innenwendung gerutscht. Da müssen wir jetzt raus.
DIE LINKE hat es mit einer politischen Konstellation zu tun, die anders ist als vor der Bundestagswahl 2009. Damals gab es eine Große Koalition, die Grünen leckten noch ihre Wunden aus der Regierungszeit und wir standen als einzig wirkliche linke Opposition da. Jetzt sind die Grünen deutlich stärker und haben sich, genau wie die SPD, in der Opposition verbal radikalisiert. Es ist also objektiv schwerer – egal für welche Parteiführung.
Zum einen sollten wir in die ideologische Debatte über die Krise eingreifen. Der Kapitalismus hat versagt. Mein Gefühl ist, dass wir hier mittlerweile wieder mehr Gehör bekommen. Zum zweiten sollten wir Ansätze von Bewegung und Widerstand aktiv aufnehmen.
Aus einer solchen Aufgabenstellung ergibt sich auch das Profil für eine neue Führung. Es sollten Leute sein, die glaubwürdig diejenigen ansprechen können, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben und von Lohndumping betroffen sind. Es müssen Leute sein, die auf Aktivität und Widerstand orientieren, und gleichzeitig die Fähigkeit haben, die Partei zusammenzuhalten.
Der Parteivorstand hat kürzlich beschlossen, die Krisenproteste zu unterstützen. Nun befindet sich Deutschland aber nicht in der Krise, sondern im Aufschwung. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie lange nicht mehr. Wird da die Protestidee nicht schnell zu einer Totgeburt?
Wir haben hierzulande keine Generalstreikswelle wie in Griechenland, das ist offensichtlich. Doch die gewachsene Konkurrenzfähigkeit der deutschen Unternehmen wurde auf dem Rücken der Beschäftigten erkauft. Die Arbeiter und Angestellten leiden unter stagnierenden Löhnen, befristeten Arbeitsverträgen, Leiharbeit und Minijobs. Das Gefühl ist nach wie vor verbreitet, dass es in diesem Land sozial nicht gerecht zugeht. Und es ist eine Illusion zu glauben, dass sich Deutschland noch länger der Krise entziehen können wird. Wir haben im Winter bereits die Insolvenz des Druckmaschinenherstellers Manroland erlebt, eines weltweit agierenden Unternehmens. Dann kam die Pleite von Schlecker. Und nun will Nokia-Siemens Arbeitsplätze vernichten.
Die Klassenkonfrontationen spitzen sich wieder zu. In dieser Situation kommen jetzt die Tarifrunden in der Metallbranche und im öffentlichen Dienst. Speziell ver.di steht – aufgrund der durch die Politik der Bundesregierung ausgetrockneten öffentlichen Kassen – unter Druck. Wir wissen nicht, wie sich die Arbeitgeber verhalten werden und ob die Tarifrunden eskalieren. Aber eines ist klar: Die Debatte darüber, warum wir in einem System, das enormen Reichtum produziert, immer mehr schuften müssen und trotzdem viele in Armut leben, wird bleiben.
Die internationalen Erfahrungen können eine Inspiration sein. Interessant ist die große Resonanz auf die Veranstaltungstour der chilenischen Studentenaktivistin Camila Vallejo. Hunderte quetschten sich in die Hörsäle, um ihr zuzuhören. An einem Monatagabend Ende Januar kamen in Berlin 150 Personen zu einer Veranstaltung, um die ägyptische Revolutionärin Ola Shahba anzuhören. Hier drückt sich doch das Bedürfnis aus, vom internationalen Widerstand zu hören und zu lernen. Wir wollen dazu beitragen, ihn nach Deutschland zu holen. So haben wir zum Beispiel beschlossen, uns am internationalen Aktionstag gegen die Krisenauswirkungen zu beteiligen. Er findet am 12. Mai statt, dem Jahrestag der Besetzung der Puerta del Sol in Madrid. Auf diese Weise wollen wir Solidarität mit den Bewegungen in anderen Ländern wie Chile oder Griechenland üben.
(Die Fragen stellte Stefan Bornost.)
Zur Person:
Christine Buchholz ist Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand der LINKEN und friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.
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