Seit fast zwanzig Jahren macht er politischen Punkrock. Pat Thetic und seine Band Anti-Flag wollen sich einmischen – durch Musik genauso wie durch Protestaktionen. Mit uns sprach er über Occupy Wall Street, die Arbeit bei einem Majorlabel und darüber, was unter einem Präsidenten Noam Chomsky anders wäre
Sie ecken an. Als Anti-Flag im Jahr 2003 »The Terror State« veröffentlichten, weigerten sich viele Plattenläden, das Album zu verkaufen. Der Grund: Das Cover zeigte eine junge Soldatin, tot auf dem Boden liegend. Es war Anti-Flags Art gegen die Kriege in Irak und Afghanistan zu protestieren. Mit Songs wie »Turncoat« (»Wendehals«) rechnete die Gruppe aus Pittsburgh schonungslos mit der Politik des damaligen Präsidenten George W. Bush ab. Doch die Band belässt es nicht beim musikalischen Widerstand. Gemeinsam mit dem Filmemacher Michael Moore organisierte sie eine große Demonstration gegen den Irakkrieg. Häufig treten Anti-Flag bei Protestaktionen auf, so im Jahr 2009 im besetzten Audimax der Uni Wien oder zuletzt bei Occupy Wall Street in New York. Als sie in diesem Frühsommer durch Europa tourten, trafen wir in Wiesbaden einen redseligen Pat Thetic zum Interview.
marx21.de: Pat, euer neustes Album heißt »The General Strike« (»Generalstreik«). Warum dieser Titel?
Pat Thetic: Wir sind der Meinung, dass zumindest in den USA das Mittel des Generalstreiks in den letzten hundert Jahren nicht mehr effektiv genutzt wurde. Niemand sieht mehr den Gesamtzusammenhang, dass wir alle immer noch Arbeiter sind, egal ob wir in einem Grafikunternehmen oder einer Stahlfabrik arbeiten. Wir haben immer noch die gleichen Bedürfnisse und Sorgen. Der Generalstreik ist ein Weg, politische Veränderungen mit so wenig Gewalt wie möglich zu erreichen. Revolutionen, die mithilfe von Gewalt gewonnen werden, sind nur schwer aufrecht zu erhalten. Denn die Herrschenden haben grundsätzlich weniger Skrupel, Gewalt einzusetzen, als die Bevölkerung. Wenn man, wie momentan in Syrien, einfach nur auf die Straße geht und sich gegenseitig abschießt, gewinnt niemand.
Du hast die USA angesprochen. Dort ist mit Occupy Wall Street eine neue Bewegung entstanden. Hast du das Gefühl, dass sich angesichts der Finanzkrise die politische Lage in eurem Land verändert?
Ja, ich denke schon. An großen Bewegungen gibt es zurzeit auf der Linken die Occupy- Bewegung und auf der Rechten die Idioten von der Tea Party. So unterschiedlich diese beiden Lager auch sein mögen: Der Ursprung ihrer Frustration liegt jeweils in der katastrophalen ökonomische Situation, in der wir uns befinden. Die Finanzkrise, die Wohnungssituation, das Gesundheitssystem, die Tatsache, dass die Löhne sinken und die Leute gleichzeitig kaum noch Jobs finden – all das frustriert die Menschen. Deshalb wäre es doch wunderbar, wenn die Linke zusammen mit den etwas weniger Verrückten auf der Rechten echte soziale Veränderungen erkämpfen könnte. Es gibt jetzt schon großen Druck auf die Regierung, die Probleme zu lösen. Je weniger ihr das gelingt, desto stärker werden die Bewegungen werden, desto mehr wird auf den Straßen los sein.
Häufig bringt Musik ja ganz unterschiedliche Leute zusammen. Ist es für euch als Band mit antikapitalistischen Texten eigentlich schwierig, viele Leute zu erreichen ohne zugleich eure Ideale aufzugeben?
Das ist ein echter Knackpunkt für jede Band mit sozialpolitischem Anliegen, denn jederzeit bekommt man zu hören, man hätte den Punkt verfehlt. Versuchst du, mehr Leute zu erreichen, dann heißt es, du verkaufst dich. Spielst du nur vor zwanzig Kids in irgendeinem Keller, dann hast du angeblich nicht genug getan. Unsere Aufgabe als Band und als Aktivisten liegt gewissermaßen darin, Wege dazwischen zu finden. Denn letztendlich geht es uns darum, genau die Problematiken auszusprechen, über die die Mainstream-Medien nicht berichten, und bestimmte Ereignisse aus einer anderen Perspektive darzustellen. Ich behaupte nicht, dass uns das immer gelingt. Aber das war immer unser Ziel als Band und es macht uns weiterhin großen Spaß, das zu versuchen.
Ist das auch der Grund, warum ihr euch im Jahr 2005 von RCA Records, einem Majorlabel von Sony Music, unter Vertrag habt nehmen lassen?
Ja, auf jeden Fall. Als wir dorthin gingen, hat niemand in den Medien von den Kriegen in Afghanistan und Irak gesprochen. Erst kurze Zeit später erschien Green Days Album »American Idiot«, das kommerziell sehr erfolgreich war und sich gegen die Politik von Bush richtete. Von da an entwickelte sich tatsächlich eine Gegenöffentlichkeit und immer mehr Bands waren bereit, kritische Statements zu machen. Aber davor gab es ein gewisses Vakuum. Daher dachten wir uns: Scheiß drauf. Wir hatten kein Problem damit, öffentlich Dinge zu sagen, die Leute anstößig finden. Daher waren wir bereit, das Risiko einzugehen. Aber, naja, besonders toll ist es nicht, bei einem Majorlabel zu sein. Letztendlich hat es auch nicht funktioniert. Trotzdem war es interessant, eine Zeit lang in einer größeren Öffentlichkeit kritisch mitzumischen, um dann wieder in unserer eigenen Welt, bei einem Independentlabel, das zu tun, was wir immer tun. Der einzige Unterschied ist, dass wir nun wieder unsere eigenen Kämpfe in Pittsburgh austragen müssen, anstatt das von irgendeinem Labelmitarbeiter in einem Hochhaus in New York City machen zu lassen.
Welche Auswirkungen hatte der Wechsel vom Major- zum Independentlabel SideOneDummy denn für euch?
Bei einem Independentlabel hast du definitiv nicht mehr so viel medialen Einfluss. Wenn man bei einem Majorlabel unter Vertrag steht, stellen sie dich ins Fernsehen, vermarkten deine Lieder und geben viel Geld aus, um dich und deine Musik an Orten zu platzieren, die sich eine kleine Plattenfirma wie SideOneDummy einfach nicht leisten kann. Das war das Spielchen, das wir eingegangen sind. Es ist Fluch und Segen zugleich: Auf der einen Seite ist es widerwärtig, wie sich große Labels ihren Einfluss erkaufen. Aber auf der anderen Seite ist es besser, wenn sie das für politische Bands wie Bad Religion oder The (International) Noise Conspiracy tun als für Britney Spears.
Wie würdest du den musikalischen Einfluss beurteilen, den ihr als Band ausübt?
Ich denke, Anti-Flag ist nur ein Glied in einer Kette progressiver, sozialkritischer Musiker und Bands, angefangen bei dem Liedermacher Woody Guthrie über Leute wie Bob Dylan zu Punkrockbands wie Strike Anywhere und Bad Religion. Anti-Flag ist kein großes Glied in dieser Kette, aber wir sind eine Weiterführung dieser Kultur und der Idee, dass Musik und sozialer Aktivismus gut zusammenpassen. Auch in Zukunft wird es bestimmt einen weiteren Woody Guthrie oder eine weitere Band wie Rage Against The Machine geben, die politischen Einfluss haben werden. Die werden ihre Abstammung dann nicht unbedingt bei uns finden, aber in dieser besagten Kette, die sich durch die Geschichte zieht. Klang das nicht so bescheiden, wie es nur geht? (lacht)
Bei vielen US-amerikanischen Musikgruppen gehört es zum Selbstverständnis, Patriot zu sein. Selbst einige Punkbands schwenken inzwischen stolz die US-Flagge auf der Bühne. Wie steht ihr dazu? Immerhin nennt ihr euch ja Anti-Flag.
Diese Problematik gehört zu den Dingen, die von Anfang an das Konzept unserer Band geprägt haben. Wir denken, dass im Punkrock kein Platz für Patriotismus und Nationalismus ist. Punkrock dient dazu, Unmut auszudrücken. Deshalb ging es uns schon immer darum, uns gegen diesen »Gott schütze Amerika«-Dreck auszusprechen. Wir sind der Meinung, dass Grenzen errichtet werden, um Bevölkerungen zu trennen und Menschen zu kontrollieren. Nicht nur in den USA wird das so gemacht. Ich denke, wenn man irgendeiner Organisation oder Idee blind folgt, sei es einer Regierung, einer Religion oder einem Business, führt das zwangsläufig zu einem Desaster.
Noch einmal zurück zu Occupy Wall Street: Im Internet kann man Videos davon sehen, wie ihr dort spielt. Nach Ausbruch des Irakkriegs habt ihr eine der größten Antikriegsdemos mitorganisiert. Wie wichtig ist es für euch, neben der Musik auch direkt auf der Straße aktiv zu sein?
Eine der Sachen, die ich über die Jahre gelernt habe, ist: Mit dem, was wir tun, werden wir nie genug Geld verdienen, um eine Fabrik kaufen und Panzer bauen zu können. Die Linke und die Bevölkerung werden nie genug Geld haben, um sich mit Patronen und Waffen eindecken zu können. So werden wir also den Kapitalismus nicht in die Knie zwingen können. Was wir aber stattdessen haben, sind viele Menschen. Deswegen ist das Internet heutzutage so wichtig. Wenn du zwei Millionen Leute in die Hauptstraßen jeder Stadt stellen könntest, würdest du echte Veränderungen schaffen. Es geht nicht um Gewalt, sondern einfach nur darum, Leute dazu zu bringen, an einem Ort aufzutauchen und gemeinsam ihre Rechte einzufordern.
Was Anti-Flag anbelangt: Wir sind leider nicht in der Lage, jeden Tag auf der Straße aktiv zu sein. Im Moment sind wir beispielsweise auf Tour und nicht auf den Demos in Pittsburgh, unserer Heimatstadt. Aber auch hier in Deutschland wollen wir sagen: Es sind die Leute auf den Straßen, die politische Veränderungen bringen. Wir haben gelernt, dass Veränderungen eben nicht durch die Wahl eines Präsidenten entstehen. Obama könnte der linkeste und progressivste Typ der Welt sein … Ich will nicht sagen, dass er es ist. Aber selbst wenn er es wäre, selbst wenn wir Noam Chomsky ins Weiße Haus stecken würden, würde das nicht die gleiche Veränderung erbringen, die zwei oder drei Millionen Menschen auf den Straßen von Washington D.C. erreichen können. Insofern: Ja, Menschen auf den Straßen sind immer wichtig. Idealerweise sind sie so friedlich wie möglich.
Wo du grade die Linke in den USA angesprochen hast, wie seht ihr euch denn selber innerhalb der Linken?
Ich glaube nicht, dass wir großen Einfluss auf die Linke haben. Vielmehr erfüllen wir eine Art Vermittlerrolle. Wir beobachten zum Beispiel, was während der Occupy-Bewegung oder der großen Streikbewegung letztes Jahr in Wisconsin passiert ist und reagieren darauf, indem wir es öffentlich kommentieren und es mit unseren Mitteln verarbeiten, ähnlich wie es andere Bands auch machen. Das wirklich Interessante ist das Feedback, das darauf folgt. Leute hören zum Beispiel ein Lied von der Band Strike Anywhere, das sie zu einer politischen Aktion inspiriert. Und am nächsten Tag geht ein Teil von ihnen dann auf die Straße. Die Demonstration wiederum sehen dann Künstler und andere kreative Leute und lassen sich ihrerseits davon inspirieren.
Wie gesagt: Ich denke nicht, dass wir sehr großen Einfluss auf ganze Bewegungen und politische Aktionen haben. Aber ich bin schon der Ansicht, dass wir durch unsere Arbeit den einen oder anderen Jugendlichen inspirieren auf die Straße zu gehen, der ansonsten zuhause geblieben wäre. Vielleicht hört er ein Lied von Anti-Flag, das ihm gefällt, und denkt sich: »Hey, diese Typen reden davon, also gehe ich einfach mal hin und guck mir das an.«
(Die Fragen stellte David Jeikowski)
Zur Person:
Pat Thetic ist Schlagzeuger der US-amerikanischen Punkrockband Anti-Flag, die er zusammen mit Sänger Justin Sane im Jahr 1993 gegründet hat. Seitdem haben Anti-Flag acht Alben veröffentlicht, das aktuelle trägt den Titel »The General Strike« (SideOneDummy Records 2012).
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