Es war einer der erfolgreichsten Streiks des letzten Jahres: Gebäudereiniger, mehrheitlich Frauen, wehrten sich erfolgreich gegen Lohndumping. Stefan Bornost hat sich mit einer Beteiligten getroffen
Es hat mit einem schmucklosen Rundschreiben der GRG begonnen, der Großberliner Reinigungsgesellschaft. Eine der Empfängerinnen war Natascha Storek*, 49 Jahre, Gebäudereinigerin in Berlin: »Die Gewerkschaft hatte uns schon gesagt, dass die Verhandlungen nicht vorangehen. Und dann kam das Rundschreiben, dass die Löhne gesenkt werden sollen auf 5,71 Euro im Westen und 4,61 Euro im Osten.« Über die Reaktion der meisten GRG-Beschäftigten berichtet Natascha: »Das lassen wir uns auf keinen Fall gefallen.« Fortan beteiligte sie sich an den Vorbereitungen eines bundesweiten Streiks von Gebäudereinigern, der im Oktober beginnen sollte. Einer ihrer Slogans war »Wir wollen besser behandelt werden als der Dreck, den wir wegmachen« – das traf die Stimmung voll, erzählt Natascha: »Wir können ja so kaum von den Löhnen leben. Jeder, der dieses Schriftstück in der Hand und gelesen hatte, war sich sicher, dass er für 5,71 Euro nicht arbeiten geht. Wir müssen jetzt schon soviel Schweiß lassen, wir schaffen kaum das Pensum, das uns vorgegeben wird. Das ist schon Akkord, wie wir arbeiten müssen. Dabei muss der Standard stimmen – du hast ein Leistungsverzeichnis, nach dem du arbeiten und das du in einer gewissen Zeit bringen musst.« Fast eine Million Gebäudereiniger arbeiten in Deutschland – die überwiegende Mehrzahl davon Frauen. Laut Schätzungen sind bis zu 80 Prozent geringfügig beschäftigt und verfügen über keinen Kündigungsschutz. Insgesamt müssen 7,8 Millionen Menschen in Deutschland im Niedriglohnsektor arbeiten.
Natascha kennt die damit verbundenen Folgen aus ihrem persönlichen Umfeld: »Viele der Kollegen haben Hartz IV oder ergänzende Sozialhilfe beantragt, damit sie überleben können – und das bei 8,15 Euro Lohn. Da kann man sich doch vorstellen, was los ist, wenn die Löhne auf 5,71 Euro fallen. Und das wäre ohne Streik auch passiert – wenn eine Firma runtergeht, dann ziehen die anderen doch mit.« Die IG BAU hatte sich auf die Auseinandersetzung monatelang vorbereitet – die seit Januar 2009 laufenden bundesweiten Tarifgespräche hatten in sechs Verhandlungsrunden kein Ergebnis gebracht. Und mit dem im September ausgelaufenen Tarifvertrag endete auch die gesetzliche Regelung zum Mindestlohn. Unternehmen im ganzen Land waren beim Abschluss neuer Arbeitsverträge nun nicht mehr daran gebunden – und verschickten, ähnlich wie die GRG, reihenweise Briefe, in denen sie die Lohnkürzungen ankündigten. Mit gewerkschaftlichem Widerstand hatten die Arbeitgeber wohl nicht gerechnet. Denn der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Branche war bis dahin mit knapp 10 Prozent sehr gering. Doch die wenigen IG-BAU-Mitglieder haben gezeigt, was mit Entschlossenheit und Kampfgeist zu erreichen ist: »Die Vorbereitung hat überwiegend die Gewerkschaft gemacht. Die haben sich die Punkte gesetzt, wo sie anfangen und wo sie mehr Leute aktivieren wollen. Damit das überhaupt Wirkung zeigt. Dann haben wir die Kolleginnen und Kollegen morgens angerufen und gesagt ›Passt auf, wir holen euch in 10 bis 15 Minuten ab – wir streiken jetzt, wir ziehen euch aus den Objekten raus‹. Und sie haben auch mitgemacht«, berichtet Natascha.
Die Initiative einzelner kann einen großen Unterschied machen. Natascha sagt, dass sie der »Leithammel« gewesen ist – und meint das nur halb scherzhaft. »Ich habe die Kollegen reingezogen, aufgeklärt und gesagt ›Hört mal zu, ihr wollt für dieses Geld nicht arbeiten – dann müsst ihr auch was tun. Dann müsst ihr auch mit mir zusammen auf die Straße‹.« Für die meisten Beteiligten war dies der erste Streik – entsprechend groß auch die Verunsicherung. Viele Kolleginnen, gerade langjährige, hatten Angst, den Job zu verlieren, weil sie Alleinverdiener sind oder die Familie aufgrund von Arbeitslosigkeit und Lohneinbussen des Mannes auf ihr Einkommen angewiesen ist: »Du musstest die Frauen schon motivieren und sagen: ›Komm, wir ziehen das Ding jetzt durch.‹ Viele haben sich auch erst mit ihren Männern abgesprochen. Die haben dann ihre Frauen motiviert, mitzumachen«.
Während des Streiks hat es eine breite Solidarisierung mit den Gebäudereinigern gegeben. Es sind zahlreiche Soli-Erklärungen abgegeben worden wie diese: »Die Studierenden der Universität Konstanz erklären sich mit den Aktivitäten und Streiks der IG BAU solidarisch. Der Streik gegen Ausbeutung und prekäre Beschäftigung ist schon lange nötig. Die GebäudereinigerInnen können auf unsere Unterstützung zählen. Wir fordern die Leitung der Universität auf, nur noch Unternehmen zu beschäftigen die tarifgebunden sind und somit das bewährte Tarifsystem respektieren und sichern.«
In Berlin sammelten allein die Kolleginnen und Kollegen der Berliner Stadtreinigung über 2000 Unterstützerunterschriften – die Stimmung der Sympathisierenden traf sich mit der Stimmung der Streikenden: »Alle waren sich einig, alle haben an einem Strang gezogen. Die Unterhaltungen, das ganze Klima war sehr gut. Wir wurden mit Essen versorgt, Frühstück und allem, und es kamen reichlich Spenden rein.« Die Solidarität half, dem großen Druck der Arbeitgeber zu widerstehen. Schon im Vorfeld verbreitete der Bundesinnungsverbands des Gebäudereinigerhandwerks ein internes Papier, das der Redaktion der Zeitschrift Critica vorliegt. In diesem wurden detaillierte Strategien zur Streikzerschlagung vorgeschlagen. Zu den »taktischen Maßnahmen« gehöre unter anderem die »Androhung fristloser Entlassung gegenüber Rädelsführern«. Zudem sei in dem Papier empfohlen worden, »Streikende möglichst aus dem Betrieb bzw. Objekt (zu) entfernen, um die Bildung von Solidarität zu verhindern und Arbeitswilligen das Arbeiten zu ermöglichen.« Doch der Widerstand der Gebäudereiniger war stärker. Ihr Streik endete nach acht Tagen mit einem Erfolg: Insgesamt 6,3 Prozent mehr Lohn im Osten und 4,9 Prozent mehr im Westen bei einer Laufzeit des Tarifvertrages von zwei Jahren. Damit sind die Bruttolöhne im Osten um 42 Cent und im Westen um 40 Cent pro Stunde gestiegen. Außerdem erkämpften Natascha und ihre Kolleginnen und Kollegen den Einstieg in die betriebliche Altersvorsorge. Zu guter Letzt sind im Zuge des Streiks 3000 Reinigungskräfte in die Gewerkschaft eingetreten, so dass die nächsten Aktionen von einem höheren Organisationsgrad aus in Angriff genommen werden können. Die Arbeitgeber hatten sich offensichtlich verrechnet, wie Natascha mit Genugtuung feststellt: »Die haben die Leute richtiggehend in den Kampf getrieben, weil sie den Bogen überspannt haben. Herr Schwarz von der GRG, bei der ich arbeite, meinte, seine Leute würden nie streiken. Da kann man mal sehen, wie wenig der Mann darüber weiß, was in seiner Firma abgeht.«