Die Hälfte der deutschen Auslandseinsätze findet gegenwärtig in Afrika statt. Warum gerade dort? Wir haben bei Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung nachgefragt. Christoph Marischka ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen.
Anmerkung der Redaktion. Dieses Interview wurde erstmals im marx21-Magazin Nr. 30, 2013 veröffentlicht. Leider ist es heute noch aktueller als damals.
Christoph, es ist erstaunlich, wo die Bundeswehr derzeit überall aktiv ist: im Kongo, Senegal, Sudan, in Somalia und Mali. Warum diese Häufung gerade in Afrika?
Die Antwort ist so banal wie zynisch: Die Bundesrepublik und mit ihr die EU will weltpolitischer Akteur sein, auch militärisch. Dazu werden Streitkräfte mit Einsatzpraxis benötigt. Afrika ist aus Sicht der Entscheidungsträger ein guter Ort, diese Praxis zu erlangen, also zu üben. Hier ist kein starker Gegner vor Ort: Die Regierungen sind zumeist schwach und leicht davon zu überzeugen, einer Stationierung zuzustimmen. Zumeist sind UN-Truppen in der Nähe. Es ist kein Zufall, dass der erste eigenständige europäische Militäreinsatz im Jahr 2003 in Afrika stattfand – in der Demokratischen Republik Kongo. Hier wurde im Nachgang auch klar gesagt, dass das vorrangige Interesse darin bestand, endlich mal als EU einen Militäreinsatz zu machen und so die neu formulierte europäische Sicherheitspolitik praktisch umzusetzen.
Also Einsätze um der Einsätze willen, egal wo? Klingt als Erklärung recht dünn…
Das ist aber in der Tat eine wichtige Komponente. Aber natürlich ist auch Strategie im Spiel. Die staatlichen Strukturen in vielen afrikanischen Staaten sind schwach. In dieses Machtvakuum könnten Kräfte und Länder hineinstoßen, die andere Interessen verfolgen als Deutschland und die EU. China zum Beispiel. Genau das wollen die Europäer durch politische und militärische Präsenz vor Ort unterbinden. Wenn wir dann genauer hinschauen, wo tatsächlich interveniert wird, stellen wir fest: Es ist oft in der Nähe wichtiger Handels- und Schifffahrtswege wie am Horn von Afrika, oder in der Nähe größerer Rohstoffvorkommen, wie im Kongo oder den an Mali angrenzenden Staaten.
Stichwort schwache Staaten: Im Falle von Somalia ist diese Bezeichnung ja fast noch untertrieben. Dort ist der Staat de facto nicht existent, im Norden Malis ist es ähnlich. Hier zu stabilisieren und aufzubauen ist doch auch im Interesse der Menschen vor Ort.
Theoretisch ja. Praktisch aber geht es bei diesen Interventionen nicht um die Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage, des Sozialstaats, des Gesundheitswesens oder der Landwirtschaft. Im Gegenteil: Meist hat ja die aus der vorhandenen Handelsordnung resultierende Armut erst zur Destabilisierung dieser Staaten geführt. Die daraus folgenden »Stabilisierungsmissionen« sind immer sicherheitspolitisch konzipiert. Es geht darum, dem Westen genehme Regierungen einzusetzen, an der Macht zu halten oder einheimische Militärverbände zur Absicherung dieser Regierungen auszubilden. In der Regel handelt es sich dabei um Regierungen, welche die Zustände, die zur Destabilisierung des Landes geführt haben, aufrechterhalten. Sie schließen beispielsweise ungünstige Handelsverträge zugunsten westlicher Konzerne oder akzeptieren die Weiterführung eines Schuldendienstes, der die Ressourcen des betreffenden Landes völlig auszehrt. Die dadurch anhaltende instabile Lage dient dann wiederum zur Rechtfertigung für den Verbleib der Militärs.
Kritiker der westlichen Interventionen vergleichen die gegenwärtige Situation gerne mit dem »Scramble for Africa«, der Aufteilung des Kontinents durch die Kolonialmächte im 19. Jahrhundert. Sind solche Bezüge auf Entwicklungen vor 150 Jahren wirklich sinnvoll?
Ja, sind sie, weil es deutliche strukturelle Ähnlichkeiten gibt. Damals wie heute kämpfen hauptsächlich Soldaten aus den Ländern selbst – der Westen sitzt in der Etappe, koordiniert, kommandiert und unterstützt gegebenenfalls mit seinen überlegenen militärischen Möglichkeiten, etwa durch Luftschläge. Genau so lief es auch zu Zeiten des Kolonialismus. Die Kolonialmächte waren immer auf willfährige Kräfte vor Ort angewiesen, weil die direkte militärische Kontrolle von Gebieten mit erheblicher Ausdehnung nicht möglich war.
Eine weitere Parallele sind die innerimperialistischen Streitigkeiten. In Somalia – und im Grunde nun auch in Mali – gab es bereits Fälle, wo die agierenden Mächte unterschiedliche Gruppen und Milizen als Hilfstruppen aufbauten, die sich dann wiederum gegenseitig bekämpfen.
Nun verlangen die Bewohner Malis aber offensichtlich den Schutz durch die französische Militärintervention. Das müssen wir doch respektieren, bei allem Zweifel an den Motiven des Westens.
Tatsächlich haben viele im Süden Malis den Militäreinsatz erst einmal begrüßt. Doch die als Bedrohung empfundene Situation durch die aus dem Norden vorrückenden aufständischen Truppen ist ja selbst bereits Folge westlicher Intervention. Nach dem Sturz Gaddafis und dem vom Westen durchgesetzten Machtwechsel in Libyen sind Menschen und Waffen von dort in den Norden Malis gewandert. Zuvor hatte es auch schon eine Intervention Frankreichs in der Elfenbeinküste gegeben. Der Putsch wurde mit dem erklärten Ziel geführt, das Militär besser auszurüsten und mit ihm bei der Aufstandsbekämpfung zu kooperieren. Wenn europäische Politiker von »gescheiterten Staaten« und Intervention sprechen, dann ist das auch eine Aufforderung an Gruppen vor Ort, sich dem Westen anzudienen, den bewaffneten Griff nach der Staatsmacht zu wagen und diese Macht dann mit ausländischer Hilfe zu verteidigen. So zieht eine Intervention Putsche, Bürgerkriege und die nächste Intervention nach sich und destabilisiert ganze Regionen. Von daher werden die verständlichen Hoffnungen der Menschen in Mali auf eine Verbesserung der Lage durch westliche Hilfe wohl enttäuscht werden. Das legen zumindest die Erfahrungen aus Somalia, dem Tschad oder dem Kongo nahe, wo nach mehrjährigen Militärinterventionen keine nennenswerte Verbesserung der Lage zu sehen ist.
Neben der EU engagiert sich auch China stark in Afrika. Sollten man den chinesischen Einfluss dem des Westens vorziehen?
Ich will hier sicher nicht China als den besseren Imperialisten darstellen. Doch Tatsache ist zumindest, dass das Land zurzeit weder Militäreinsätze in Afrika durchführt noch versucht, missliebige Regierungen wegzuputschen oder Rebellen aufzurüsten. China kooperiert mit Regierungen, die dazu willig sind. Ich denke momentan nicht, dass von dem Engagement der Asiaten dieselbe destabilisierende Wirkung ausgeht wie von dem des Westens – außer dass es eben dieses Eingreifen provoziert. Deswegen würde ich mich auf die Opposition gegen unsere Regierung und ihre EU-Kollegen konzentrieren.
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, insbesondere in Afrika, werden in der Öffentlichkeit kaum debattiert. Warum?
Ich denke, die nationalen Eliten wissen, dass sich mit diesem Thema in der Öffentlichkeit kein Blumentopf gewinnen lässt. Solchen Einsätzen liegen langfristige strategische Überlegungen und im Sinne der Eliten formulierte »nationale Interessen« zugrunde: Die umfassen die Aufrechterhaltung der für eine Exportnation vitalen Handelswege ebenso wie die Rohstoffsicherung oder die Schaffung von Einflusssphären, in denen man die politischen Akteure kontrollieren kann. Das alles ist in Deutschland als Kriegsbegründung recht unpopulär. Deswegen greifen die Eliten meist auf andere Argumentationen zurück und behaupten, es ginge um die Wahrung von Menschenrechten, den Schutz von Minderheiten oder den Kampf gegen Terrorismus. In der jüngsten Vergangenheit gab es Bemühungen, bei der Begründung von Einsätzen stärker auf »nationale Interessen«, auch wirtschaftliche, abzuheben und insgesamt die Zahl der Einsätze auszuweiten. Das deutet auf eine wachsende Kriegsbegeisterung innerhalb der Eliten hin. Die Führung der Bundeswehr bremst hier ja schon fast wieder, weil sie um die begrenzten Möglichkeiten ihrer Truppe besser weiß als so manch grüner Intellektueller und deshalb nicht jeden Einsatz mitnehmen kann und will.
Was ist die Antwort der Friedensbewegung? Größere Proteste gegen die Afrikaeinsätze der Bundeswehr sind ja nicht im Entferntesten absehbar. Bleibt nur Aufklärung?
Auf jeden Fall müssen wir aufklären. Ich möchte allerdings widersprechen, dass Bewegungen immer absehbar sein müssten. Im Gegenteil: meistens sind sie nicht absehbar und dann plötzlich da. Was in Afrika passiert ist extrem skandalös: Massive Aufrüstung, die Rekrutierung von Kindersoldaten durch Kräfte, mit denen die EU verbunden ist, und schlimmste Menschenrechtsverletzungen durch Diktaturen, die der Westen unterstützt. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass eines Tages auch nur ein Quäntchen dieser Wahrheit an die Öffentlichkeit kommt und auf unerwartete Weise zur Erschütterung der herrschenden Politik führt.
Christoph Marischka ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen.
Interview: Stefan Bornost