Die CDU-Politikerin Erika Steinbach will die politische Geographie zurechtrücken – der historische deutsche Faschismus sei links angesiedelt gewesen. Diese Legende zielt darauf ab, den aktuellen politischen Diskurs über Rechtsextremismus zu verkehren. Arno Klönne zur Steinbach-Strategie
Man darf sie nicht unterschätzen, die christdemokratische Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, Mitglied des Fraktionsvorstandes und Sprecherin für Menschenrechte, Topfrau der konservativen Strömung in der CDU, Trägerin des Bayerischen Verdienstordens (obwohl in Hessen beheimatet), Dauervorsitzende des Bundes der Vertriebenen. Es ist nicht so, als würde sie sich gelegentlich mal aus Ungeschick anstößig ausdrücken. Sie weiß, was sie sagt und weshalb sie es zum medialen Ereignis macht.
Jetzt hat sie getwittert: »Die NAZIS waren ein linke Partei.« Das sei ja schon am Namen erkennbar: »NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI«. Als gezielte »Provokation« sei das zu verstehen, hat sie sich selbst kommentiert; »lohnend« sei ihr Vorstoß gewesen.
Götz Aly hilft gern
Und sie bekommt Beifall. In der Frankfurter Rundschau zum Beispiel kam ihr Götz Aly argumentativ zur Hilfe: »Sozialer Egalitarismus« habe die NSDAP angetrieben, ein linkes Grundmotiv sei das bekanntlich.
Originell ist Erika Steinbachs geschichtspolitische Vorgehensweise nicht. Schon Franz Josef Strauß verkündete gern, wohin Sozialismus führe, habe man in Deutschland doch schon von 1933 bis 1945 erlebt.
Strauß wollte damals mit solchen Sprüchen vor allem der SPD eins auswischen – »Sozis und Nazis – alles eins« sollten biedere BundesbürgerInnen denken, die in Versuchung waren, dem Charme Willy Brandts zu erliegen.
Verantwortlich für Hitler
Außerdem hatte das Geschichtsbild vom linken »Dritten Reich« die Funktion, von der tatsächlichen Verantwortung der Deutschnationalen (und Bayerisch-Konservativen), der deutschen Wirtschaftseliten und der Militärkaste für die politische Machtübergabe an Hitler abzulenken.
Weshalb hätten diese gesellschaftlichen Gruppen der NSDAP in den Sattel helfen sollen, wenn diese doch den Sozialismus einführen wollte? Also waren sie offenbar historisch unschuldig, und es gab dann auch keinen Grund, für die Gegenwart ihre politische Harmlosigkeit anzuzweifeln.
Steinbachs Kollateralnutzen
Diesen Kollateralnutzen ideologischer Art erhoffen sich heute auch die Beifallsgeber für Erika Steinbach. Wenn die Staatspartei in Hitlerdeutschland links war, dann kann man doch lästige Fragen wie die folgenden einfach vergessen.
Wer sorgte vor 1933 großzügig spendend dafür, dass die NSDAP ihre Privattruppen unterhalten und einen riesigen Propagandabetrieb etablieren konnte? Welche Interessen waren es, die Großindustrielle, Spitzenbankiers und hohe Militärs dazu veranlassten, den Übergang von der Weimarer Republik zum »nationalen Führerstaat« mit Hitler als Reichskanzler zu betreiben?
Unterdrückung der Linken
Weshalb war die deutsche Wirtschaftselite, die ganz überwiegend »rassisch einwandfreie« jedenfalls, hochzufrieden mit der innergesellschaftlichen »Neuordnung« nach 1933 und den weltpolitischen Ambitionen des »Dritten Reiches«? Wer profitierte von der Aufrüstung und dann den kriegerischen Landnahmen Hitlerdeutschlands?
Ist die NSDAP als links etikettiert, so lässt sich aus dem historischen Gedächtnis verdrängen: Die spezifische gesellschaftspolitische »Leistung«, die Förderer, Geburtshelfer und Partner des deutschen faschistischen Systems von diesem erwarteten und die auch auf brutale Weise erbracht wurde, war die Unterdrückung der politischen Linken, die Zerschlagung der Organisationen der Arbeiterbewegung, die Verfolgung der Sozialisten und Kommunisten, die Austilgung linker Traditionen aus der Ideenwelt.
Steinbach entlastet Rechte
Der geschichtspolitische Vorstoß von Erika Steinbach hat noch eine weitere Funktion, er kommt gerade rechtzeitig: zu einem Zeitpunkt, wo durch die Aufdeckung der NSU-Mordserie in der Öffentlichkeit das Gefühl sich ausbreitet, es müsse mehr gegen den »Rechtsextremismus« getan werden. Da bedeutet ihr Vorstoß diskurspolitische Entlastung für den seriös auftretenden Teil der Rechten.
Wenn die Nazis links standen, dann macht es doch keinen Sinn, »rechten Extremismus« zur Gefahr zu erklären, dann lassen sich Neonazis beim Hauptgegner, dem »linken Extremismus«, als Nebenerscheinung gleich mit bekämpfen. Und dann verbietet es sich, bei diesen Aktivitäten mit Antifaschisten aus der Linken zusammenzuarbeiten. Für diese Deutung der politischen Frontlage hat Erika Steinbach einen Impuls geliefert. Ihre Twitterei kam wie bestellt.
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