Çamburnu ist ein idyllischer Ort am Schwarzen Meer, der ganz im Einklang mit der Natur steht. Doch diese Idylle wird eines Tages gestört, als mitten im Wohngebiet eine Müllhalde gebaut wird… Fatih Akın erzählt in seinem Film »Müll im Garten Eden« die Geschichte einer Umweltkatastrophe und des Kampfes der Dorfbewohner gegen diese. Von Erkin Erdoğan
Der jüngste Film des Hamburger Filmemachers Fatih Akın ist indirekt dem ehemaligen türkischen Umweltminister Osman Pepe zu verdanken: 2006 reiste Akın erstmals nach Çamburnu, Heimatort seines Grossvaters, um dort die Schlussszene seines Films »Auf der anderen Seite« zu drehen. Konfrontiert mit dem geplanten Bau einer Müllhalde und dem Willen, diesen zu unterbinden, traf er Pepe damals zusammen mit dem Bürgermeister Çamburnus Hüseyin Alioğlu.
Ihr Anliegen fand wenig Gehör. Im Gegenteil, die einzige Antwort, die Akın erhielt, war: »Das hier geht sie nichts an. Kümmern sie sich lieber um ihre eigenen Angelegenheiten und drehen sie weiter Filme«. Das tat er dann auch, allerdings anders als sich das Osman Pepe vielleicht gewünscht hat: die Idee einer Dokumentation über Çamburnu war geboren. Akın wollte den Bewohnern Çamburnus eine Stimme verleihen und ihre Sicht der Dinge präsentieren. Dafür begleitete er 5 Jahre lang, von 2007 bis 2012, die Entwicklungen vor Ort.
Müllhalde zwischen Wohnhäusern
Vor allem das juristische Vorgehen des Bürgermeisters gegen das Vorhaben findet große Beachtung im Film. Hüseyin Alioğlu stellt »das gute Wissen« der Dokumentation dar: Er vertritt die Interessen der Bevölkerung lautstark und geht aktiv gegen die Pläne der türkischen Regierung vor.
Auf der anderen Seite informiert er die Zuschauer über die türkische Gesetzeslage bezüglich der Lagerung von Müll und stellt klar, dass die Müllhalde in Çamburnu keine dieser Auflagen erfüllt. Im Gegensatz zu den Bestimmungen wird diese nämlich mitten zwischen Wohnhäusern und Privatgrundstücken gebaut, anstatt die Vorgabe einzuhalten, dass Mülldeponien einen Kilometer ausserhalb von Wohngebieten liegen müssen.
Katastrophe für die Umwelt
Auch wird das giftige Abwasser des Mülls nur unzureichend geklärt und aufbereitet. Ein starker Regenguss – wofür die Region bekannt ist – reicht aus, um das Auffanglager zum Übertreten zu bringen und damit eine Katastrophe auszulösen: das giftige Abwasser fließt in die umliegenden Flüsse und ins Meer und sickert ins Grundwasser.
Die Antworten der Verantwortlichen und der Regierung auf die Fehlplanungen der Müllhalde wirken absurd. So versuchen sie beispielsweise dem Gestank durch das Versprühen von Parfüm in der Gegend entgegenzuwirken.
Frauen führen Kämpfe an
Zwar stehen die ökologischen Probleme des Ortes im Fokus des Films, aber sie sind nicht die alleinigen Themen. Auch die Abwanderung aus der Region, Arbeitslosigkeit, weibliche Erwerbsarbeit und Armut werden angesprochen, auch wenn diese nicht immer in einem direkten Zusammenhang zur Hauptgeschichte stehen.
Gerade die Arbeiterinnen des Dorfes finden in Fatih Akıns Film großes Interesse, da diese nicht nur die Hauptakteure der wichtigen lokalen Teeproduktion darstellen, sondern darüber hinaus auch die Kämpfe gegen die Müllhalde anführen.
Aber Ernüchterung bleibt. So wird die Mülldeponie trotz aller Widerstände gebaut und die zunächst nur befürchteten ökologischen Auswirkungen treten wirklich ein. Der Zuschauer wird mit einem Gefühl der Resignation und des verlorenen Kampfes zurückgelassen: Die Jugend Çamburnus verlässt den Ort und die einzelnen Aktivisten, die auf einer individuellen Ebene heroisch gezeichnet werden, verfallen in ein Gefühl der Hilflosigkeit und der Erschöpfung. Dem Zuschauer bleibt nichts anderes übrig, als Mitleid mit den Protagonisten zu fühlen und das Kino traurig zu verlassen.
Ökologische Krise in der Türkei
Eine wichtige Tatsache kommt im Film zu kurz: nämlich die, dass Çamburnu kein Einzelfall in der Region bzw. in der Türkei darstellt, sondern nur ein Beispiel von vielen ist. Seit 2005 gibt es Pläne, 660 Dämme allein in der Schwarzmeer-Region zu bauen. Es ist demnach schwierig, in der Gegend einen Ort zu finden, der nicht negativ von der Ausbeutung der Natur betroffen ist.
Gemäß dem Motto »Entwicklung um jeden Preis« werden Projekte im Bereich der Umwelt von der regierenden AKP oftmals ohne die nötigen Regulierungen oder Beachtung der lokalen Gegebenheiten durchgesetzt. Dieses Verhalten hat die gesamte Region in eine ökologische Krise gestürzt.
Konzerne beuten Flüsse aus
Der Entwicklungsplan der Regierung sieht vor, bis zum Jahr 2023 das gesamte Potenzial an Wasserkraft der Türkei auszuschöpfen. Das bedeutet, pro Fluss im Durchschnitt 10 Staudämme zu bauen. Auch dort, wo die Flüsse eher klein sind, wie beispielsweise in der Region des Schwarzen Meeres.
Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen für den kapitalistischen Markt bedeutet für die Zivilbevölkerung vor allem, dass Flüsse für diese nicht mehr frei zugänglich sind und ihre Nutzung die nächsten 49 Jahre privaten Betrieben vorbehalten ist. Zuletzt so geschehen am 12.12.2012, als Premierminister Erdoğan feierlich das Wasserkraftwerk »Deriner« eingeweiht hat.
Widerstand kann auch gewinnen
Eine weitere wichtige Tatsache lässt der Film ebenso außer Acht: Soziale Bewegungen müssen als ein kollektiver und komplexer Prozess verstanden werden. So auch am Schwarzen Meer. In der Region wurde in den letzten Jahren eine Lawine an ökologischen Bewegungen losgetreten, die breiten Zuspruch in der Bevölkerung finden und sich über die gesamte Türkei ausbreiten konnten.
Auch wenn der Widerstand in Çamburnu leider nicht erfolgreich war, diverse soziale Bewegungen in der Region waren es. Es gibt einen großen Willen, direkt in lokale Entscheidungen einzugreifen und sich dieses Recht auch herauszunehmen. Genau wegen dieses Rechts auf Widerstand und darauf, in regionale Entscheidungen einbezogen zu werden, lohnt es sich, »Müll im Garten Eden« anzuschauen.
Der dargestellte Konflikt ist ein gutes Beispiel dafür, wie lokaler Widerstand aussehen kann. Zugleich wird der Zuschauer mit den regionalen Besonderheiten des Schwarzen Meeres vertraut gemacht und erhält einen Einblick in die ökologischen Kämpfe, die seit Jahren drastisch in der Türkei zunehmen. Neben der Geschichte einer Umweltkatastrophe erzählt »Müll im Garten Eden« aber auch eins: die persönlichen Geschichten von beeindruckenden Menschen.
Der Film:
Müll im Garten Eden
D, 2012
97 Minuten
Regie: Fatih Akın
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