Kann mit Atomstrom das Klima gerettet werden? Ist Atomstrom billig? Sind erneuerbare Energien zu teuer? marx21-Redakteur Yaak Pabst beantwortet Fragen, die immer wieder in den Energiedebatten auftauchen.
»Klimaschützer der Woche – Kernkraftwerk Neckarwestheim 2« – das Plakat des »Deutschen Atomforum e. V.« zeigt das Atomkraftwerk in einer idyllischen Naturlandschaft. Seit geraumer Zeit stilisiert die Atomlobby ihren Strom als Mittel Nr. 1 zur Rettung des Klimas und hofft auf eine Renaissance der Kernkraft. Aus der internationalen Politik erhält sie Rückendeckung.
US-Präsident Bush forderte beim derzeit tagenden G8-Gipfel in Japan den Ausbau der Kernkraft: nur so könne man den Klimawandel stoppen, meint er. US-Präsidentschaftskandidat McCain will gar 45 neue Kernkraftwerke bauen. Auch sein Kontrahent Barack Obama hat sich für die Nutzung der Atomkraft ausgesprochen.
Die britische und französische Regierung planen eine enge Zusammenarbeit beim Bau von Reaktoren und beim Export von Atomtechnik.
In Deutschland trommelt die CDU für eine Verlängerung der Laufzeiten von Atommeilern, mittlerweile aber auch einzelne prominente SPD-Mitglieder wie Erhardt Eppler und Wolfgang Clement.
Steigende Preise fossiler Energieträger und die Debatten über die Erderwärmung nutzt die Nuklearindustrie weltweit offensiv, um einen Aufschwung der Kernkraft herbeizuführen. Die traditionell atomfreundliche »Internationale Energieagentur« (IEA) will jedes Jahr 32 neue Atomkraftwerke bauen lassen, bis 2050 über 1300.
»Atomkraft? Das unheimliche Comeback« titelt der »Spiegel« diese Woche. Ist aber ein solches überhaupt notwendig? Die Atombefürworter meinen: Ja. Billiger und umweltfreundlicher Strom sei nur mit Kernkraft machbar. marx21-Redakteur Yaak Pabst hat ihre Behauptungen überprüft:
Rettet Atomstrom das Klima?
Atomkraft hilft nicht beim Klimaschutz. Das Bundesumweltministerium stellt fest: Wenn Atomkraftwerke tatsächlich das Klima schützen würden, dann »müssten die USA ausgesprochene Klimaengel sein, denn sie betreiben weltweit die meisten Atomkraftwerke (103 von insgesamt 435). Stattdessen führen sie aber mit 20,3 Tonnen Kohlendioxid pro Kopf und Jahr die Weltrangliste der Klimabelastung an.«
Atomkraft ist auch nicht CO2-frei. Wenn die gesamte Produktionskette vom Uranbergbau bis zur Lagerung des Atommülls betrachtet wird, dann wird auch bei der Erzeugung vom Atomstrom CO2 freigesetzt. Zwar ist der CO2 Austoß bei Atomenergie deutlich geringer als bei Braun- oder Steinkohle-Kraftwerken. Aber Atomstrom deckt derzeit weniger als 3 Prozent des weltweiten Energiebedarfs. Soll Atomstrom nennenswert zum Klimaschutz beitragen, müsste die Atomenergie zu diesem Zweck massiv ausgebaut werden. Ein Bau von mindestens 1.000 neuen Atomkraftwerken in den nächsten Jahrzehnten wäre erforderlich. Derzeit gibt es 435.
Doch selbst dann gäbe es keinen Beitrag der Atomenergie zur Rettung des Klimas, denn die Uranvorkommen reichen nicht länger als die Ölreserven: Nach derzeitigen Schätzungen maximal 50 bis 60 Jahre. Käme es zu einem deutlichen Ausbau der Kernkraft, ginge Uran noch deutlich schneller zur Neige. Diese Tatsache verschweigt die Atomlobby und selbst in der Presse findet man diese selten.
Eine langfristige und weltweite „atomare Klimaschutzpolitik« ist unmöglich. Stromkonzerne in Deutschland behaupten das Gegenteil, weil ihnen der Weiterbetrieb ihrer alten Reaktoren einen Gewinn von 100 Millionen Euro bringt.
Konventionelle Energiekonzerne verhindern sogar Klimaschutz. Denn die selbst ernannten Klimaschützer haben neben Atomstrom auch den Klimakiller Kohle im Angebot. Derzeit planen sie laut der Umweltorganisation BUND 27 neue Kohlekraftwerke. Auch den Anteil der besonders klimaschädlichen Braunkohle an der Energiegewinnung wollen sie erhöhen.
Ist Atomstrom billig?
Strom aus neuen Atomkraftwerken ist teuer und unrentabel – auch, wenn man es der Stromrechnung nicht unbedingt ansieht. Denn Atomstrom muss massiv vom Staat subventioniert werden, also mit Steuergeldern. Bereits Planung und Bau von Atomanlagen sind im Verhältnis zu anderen Kraftwerkskapazitäten sehr kapital- und kostenintensiv. Je Kilowatt installierter Leistung kostet ein Atomkraftwerk etwa fünfmal so viel wie beispielsweise ein modernes effizientes Gaskraftwerk.
Außerdem erfordert die Gewährleistung der Sicherheit der Atomanlagen einen hohen finanziellen Aufwand: zum Beispiel für Nachrüstungen, die mit zunehmendem Alter der Anlagen mehr Kosten verursachen. So fielen für „sicherheitstechnische Optimierungen« am Kernkraftwerke Biblis A zwischen 1999 und 2005 rund 540 Millionen Euro an. Die britische Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield erhielt im März 2005 eine staatliche Unterstützung von 184 Millionen Pfund, um den Betrieb zu sichern. Der privatisierte Atomanlagenbetreiber »British Energy« hat allein zwischen 2002 und 2004 etwa 7 Milliarden Euro Direktsubventionen zur Aufrechterhaltung von Sicherheitsstandards erhalten.
Es gibt darünber hinaus Steuerfreiheit für Kernbrennstoffe und für die Entsorgung ausgebrannter Kernbrennstäbe. Für ausgediente Atomkraftwerke stehen steuermindernde Rückstellungen von 35 Milliarden Euro bereit. Die Kosten bei einem Super-GAU in Deutschland würden sich nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums auf rund 5000 Milliarden Euro belaufen. Bei einem Unfall im Atomkraftwerk Krümmel/Elbe müssten je nach Windverhältnissen etwa 1,2 Millionen Menschen evakuiert werden. 40.000 bis 110.000 Menschen würden an Krebs erkranken und nach 50 Jahren wären rund zwei Drittel der Stadt Hamburg noch unbewohnbar.
Eine sichere Endlagerung von radioaktivem Müll wird eine Utopie bleiben. Dies zeigen auch die Leckagen des Lagers Asse. Langfristige Kosten der Lagerung und Bewachung von Atommüll werden alle angeblichen Energiekostenvorteile übertreffen.
Allein die deutschen Kernkraftwerke produzieren jährlich 400 Tonnen hochradioaktiven Müll, der Jahrtausende strahlen wird.
Auch der Klimawandel verteuert Atomenergie. Denn Kernkraftwerke benötigen viel Kühlwasser und dieses wird auch in Deutschland in den heißen Sommermonaten knapp. Im Sommer 2006 ist erstmals der Preis für Solarstrom tagsüber billiger gewesen als konventioneller Kraftwerksstrom. Ursache waren die. Kühlwasserprobleme einiger Atom- und Kohlekraftwerke sowie der gestiegene Strombedarf aufgrund des verstärkten Einsatzes von Klimaanlagen. Das hat zeitweise die Preise insbesondere für konventionellen Spitzenlaststrom auf 54 Cent je Kilowattstunde an der Leipziger Strombörse explodieren lassen. Da sich die Erdatmossphäre weiter aufheizt und konventionelle Großkraftwerke hitzeanfällig sind, wird der zeitweise Mangel an Kühlwasser zunehmen. Durch den bau neuer Atomkraftwerke würde dieses problem zusätzlich verschärft.
Es fallen bei der Atomkraft hohe externe Kosten an, die man zwar auf der Stromrechnung nicht sieht, für die aber die Allgemeinheit aufkommen muss.
Helfen längere Laufzeiten der Kernkraftwerke, den Preis für Strom zu senken?
Nein. Die Verlängerung der Laufzeiten der Atommeiler bringt vor allem höhere Profite für die Energiekonzerne. Sie hätten schon jetzt die Möglichkeit die Preise zu senken. Aber in Deutschlannd kontrollieren vier Konzerne (RWE, E.on, Vattenfall und EnBW) den Strommarkt. Sie erzeugen 80 Prozent der Elektrizität und besitzen fast alle Grundlast-Kraftwerke. Trotz aller Atomsubventionen steigt der Strompreis. Wenn Verbrauch und Preise steigen, füllen sich die Kassen der Konzerne. Ihr fossil-atomares Energiesystem geht zu Lasten der Verbraucher.
Kann eine rein friedliche Nutzung der Atomenergie garantiert werden?
Es gibt keine Trennung zwischen friedlicher und militärischer Nutzung der Kernkraft. Die Staaten, die in den vergangenen Jahrzehnten Atombomben entwickelt und gebaut haben, hatten zunächst ein ziviles Atomprogramm. Dieses tarnte oft nur das eigentliche militärische Interesse. Die so genannte »zivile Nutzung« verschaffte den bereffenden Ländern den Zugang zu den erforderlichen Technologien und dem Kow-how zum Bau von Atombomben. Jede verstärkte Verbreitung »ziviler« Atomtechnologien birgt die Gefahr weiterer Ausbreitung von Atomwaffen.
Sind Atomkraftwerke die technisch beste Lösung für eine gute Energieversorgung?
Atomkraft ist Energieverschwendung: Das größte Problem der Kernkraftwerke ist und bleibt ihr schlechter Wirkungsgrad. Mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie geht als nicht genutzte Abwärme verloren. Kraftwerke, die gleichzeitig Strom und Wärme produzieren, so genannte Kraft-Wäre-Kopplungs-Anlagen, sind effektiver. Selbst wenn diese den fossilen Energieträger Erdgas nutzen, können sie für einen Übergangszeitraum besser den Energiebedarf sichern, bis erneuerbare Energien diesen zu 100 Prozent decken können.
Erneuerbaren Energien werden stetig effizienter und billiger. Dagegen wird in Zukunft das Uran in größeren Tiefen und in schlechteren Qualitäten gefördert werden müssen. Die Folge: Die CO2-Bilanz der Atomkraftwerke verschlechtert sich.
Was ist die Alternative?
Das Klima schützen und Preise senken kann man langfristig nur mit erneuerbaren Energien. Diese sind sauber und werden billiger, während fossiler und atomarer Strom teurer werden, die Umwelt belasten und die Gesundheit gefährden.
»Für Deutschland hat das Parlament 2002 ein Energieszenario präsentiert, wonach bis 2050 die gesamte deutsche Energieversorgung mit erneuerbaren Energien realisierbar ist« argumentieren der Verband Eurosolar und IPPNW (»Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung«).
Derzeit haben in Deutschland erneuerbare Energien einen Anteil von 14,2 Prozent an der Stromerzeugung, zehn Jahre zuvor waren es nur 4,4 Prozent. Bei größerer staatlicher Förderung würde sich ihr Potential noch schneller entwickeln.
Geld, das in die Energieversorgung aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind oder Sonne fließt, ist gut angelegt. Es führt zu erheblichen Einsparungen bei den Brennstoffkosten. Über 130 Milliarden Euro jedes Jahr könnten gespart werden. Zusätzlicher Nutzen fürs Klima: Der CO2-Ausstoß würde sich bis 2030 halbieren. Das ist eines der Ergebnisse der Studie »Future Investment – ein nachhaltiger Investitionsplan zum Klimaschutz«, die von Greenpeace und dem Europäischen Verband der Erneuerbaren Energien (EREC) im vergangenen Jahr veröffentlicht worden ist.
Greenpeace und EREC haben die Kosten einer Öko-Stromerzeugung mit denen fossiler Versorgung verglichen. Fazit der Untersuchung: Bis 2030 werden im Kraftwerkssektor durchschnittlich 233 Milliarden US-Dollar pro Jahr investiert werden. Für eine Energie-Strategie mit erneuerbaren Energien müssen zwar um 22 Milliarden US-Dollar höhere Investitionen aufgebracht werden. Aber diese Mehrausgaben sparen dafür Brennstoffkosten in Höhe von 202 Milliarden US-Dollar pro Jahr ein.
Die Herausgeber der Studie haben ihrem Erneuerbare-Energien-Szenario zudem den vollständigen Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2030 zugrunde gelegt. Desweiteren belegen sie, dass so genannte »CO2-freie« fossile Kraftwerke und CO2-Lagerung keine Lösung sind. Die Technologie ist noch nicht realisiert, die Gefahren sind hoch und sie ist ineffizient und teuer.
Darüber hinaus ist Atomenergie kapitalintensiv, erneuerbare Energien hingegen arbeits(platz)intensiv: In der Atomwirtschaft arbeiten nur etwa 38.000 Menschen. Im Bereich der erneuerbaren Energien sind es weit mehr: derzeit rund 249.000 Menschen – Tendenz weiter steigend. Dass erneuerbare Energien zu teuer seien und ein Umstieg auf diese Arbeitsplätze kostet, ist Propaganda der Atom- Öl- und Kohlekonzerne. Ihnen geht es darum, auch in Zukunft zu Lasten von Verbrauchern und Umwelt hohe Profite zu machen. Deshalb blockieren sie den Umstieg auf erneuerbare Energien.
Es sollte beim »Nein danke« bleiben
Das Motto der Anti-Atomkraft- und Umweltbewegung »Atomkraft? Nein danke!« bleibt richtig. Um verbraucherfreundliche Preise erreichen zu können, ist außerdem eine Vergesellschaftung der Stromnetze und Energiekonzerne nötig. Denn in der Hand von E.on, Vattenfall, RWE und EnBW liegt die zentralisierte Macht über die Energieversorgung – und damit über die Geldbeutel der Stromkunden. Diese Macht muss ihnen genommen werden. Anders ist auch der vollständige und zügige Umstieg auf erneuerbare Energien nicht zu schaffen.
Mehr im Internet:
- .ausgestrahlt – Gegen ein Comeback der Atomenergie