»Argo« zeigt die Befreiung von Diplomaten in Iran 1979. Und dass die US-Regierung genauso verbrecherisch ist wie die iranische. Von Hans Krause
»1950 wählten die Bürger Irans Mohammad Mossadegh, einen weltlichen Demokraten zum Premierminister. Er verstaatlichte britische und amerikanische Ölgesellschaften und gab dem iranischen Volk sein Öl zurück. Doch 1953 inszenierten die USA und Großbritannien einen Staatsstreich, bei dem Mossadegh abgesetzt und Reza Pahlavi als Schah eingesetzt wurde. (…)
Das Volk hungerte. Seine Macht sicherte der Schah mit seiner skrupellosen Geheimpolizei, dem SAVAK. Eine Ära der Folter und der Angst begann. (…)
1979 stürzte das iranische Volk den Schah. Der geistliche Führer Ajatollah Khomeini kehrte aus dem Exil zurück und übernahm die Herrschaft.«
Was klingt wie die Kritik der US-Außenpolitik auf einer marxistischen Internetseite ist der Kommentar zu einer Collage aus gezeichneten Bildern und historischen Fotos. Sie informiert am Beginn von »Argo« kurz und objektiv über die die Hintergründe der Iranischen Revolution 1979 und bietet, was fast jedem Spielfilm fehlt, der »nach einer wahren Geschichte« erzählt wird: eine historische Einordnung.
US-Botschaft gestürmt
Die eigentliche Handlung beginnt im November 1979 in der iranischen Hauptstadt Teheran. Wütende Demonstranten stürmen die US-Botschaft und nehmen 52 Geheimagenten, Soldaten, Diplomaten und Angestellte der Botschaft als Geiseln. Sechs US-Amerikaner können jedoch fliehen und sich in der kanadischen Botschaft verstecken.
In den USA ist der Auslandsgeheimdienst CIA ratlos über das weitere Vorgehen. Schließlich bringt Agent Tony Mendez (Ben Affleck) einen scheinbar absurden Plan vor: Er will selbst nach Teheran fliegen, die sechs Eingeschlossenen als Mitarbeiter einer Filmproduktion ausgeben, die im Iran nach Drehorten für ein Science-Fiction-Projekt namens »Argo« suchen, und sie so getarnt außer Landes bringen …
Spannendes politisches Drama
Der Film ist die Chronik unglaublicher wahrer Ereignisse im Thriller-Gewand. Dabei gelingt Regisseur und Hauptdarsteller Affleck (»State of Play«) etwas seltenes: Er packt seine Zuschauer emotional und treibt die Spannung im letzten Drittel bis an die Grenze zur Unerträglichkeit, obwohl das Happy End feststeht und überraschende Wendungen nicht möglich sind.
Gleichzeitig bleibt Zeit zum Lachen. Denn die Geschichte ist oft so skurril, dass sie, entstammte sie nicht der historischen Wirklichkeit, als lächerliche Räuberpistole abgetan würde.
Der oft schwierige Spagat zwischen politischem Drama und spannender Unterhaltung gelingt hervorragend. Schon bei der Stürmung der US-Botschaft am Anfang wird der Zuschauer ins Geschehen reingesaugt.
In der Mitte des Geschehens
Affleck lässt clever dokumentarische Aufnahmen in gespielte Szenen übergehen. Die Kamera wechselt ständig zwischen den aufgebrachten Demonstranten und den Angestellten der Botschaft, bleibt dabei immer in der Mitte des jeweiligen Geschehens, bis beide Gruppen zusammenkommen und die Botschaft besetzt wird.
Agent Mendez riskiert in Teheran sein Leben, um die Botschaftsangestellten zu befreien und ist eindeutig Sympathieträger des Films. Auch die mörderische Diktatur Khomeinis wird gezeigt.
Ohne Vorurteile gegen Muslime
Dennoch ist »Argo« weder USA-patriotisch noch schürt er rassistische Vorurteile gegen Muslime oder Iraner. Oft wird gezeigt, dass der Hass der Menschen auf die USA äußerst verständlich ist.
Etwa als ein CIA-Agent beiläufig erzählt, dass er in Iran mit der »Verschiffung des Folterapparates von unserem Freund, dem gestürzten Diktator« beschäftigt war. Ein andermal schreit ein Teheraner auf die Botschaftsangehörigen ein, dass der Schah seinen Sohn mit einer US-amerikanischen Pistole getötet habe.
Terrororganisation CIA
Auch die paramilitärischen Revolutionsgarden sind zwar unbarmherzige Jäger der Botschaftsmitarbeiter. Dabei handeln sie aber immer klug, bleiben den Gesuchten knapp auf den Fersen und wirken nie wie mittelalterliche Spinner, als die sie in unseren Medien oft dargestellt werden.
In der Nebenhandlung um das Hollywood-Team, das den angeblichen Film angeblich produziert, feuert der Regisseur dann satirische Breitseiten gegen die aufgeblasenen Herrscher der Filmindustrie, die US-Gesellschaft im allgemeinen und die als »Terrororganisation« bezeichnete CIA im Besonderen. Auch Mendez ist kein wirklicher Held, sondern lebt einsam von Frau und Sohn getrennt, schenkt sich ständig einen Whiskey ein und bewegt sich bestenfalls am Rande des Alkoholismus.
Auf Klassiker-Niveau
»Argo« nimmt den Zuschauer mit auf eine Achterbahn der Gefühle zwischen scharfer Satire und fesselnder Spannung ohne Schießerei oder Verfolgungsjagd. Hauptdarsteller und Regisseur Ben Affleck gelingt nach den in Deutschland weitgehend unbekannten Dramen »Gone Baby Gone« und »The Town« erneut ein großartiger Film, der zu Recht die Oscars für den besten Film, das beste adaptierte Drehbuch und den besten Schnitt gewann.
Wer Thriller mit politischem Inhalt mag, sollte »Argo« nicht verpassen. Der Film reicht an Klassiker der 70er-Jahre wie »Die drei Tage des Condor« heran.
Der Film:
»Argo«, 2012, Freigegeben ab 12 Jahren, 120 Minuten, ab 8. März auf DVD (ca. 10 Euro), Blu-Ray (ca. 14 Euro) oder kostenlos im Internet.
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