Vor 103 Jahren wurde der internationale Frauentag das erste Mal begangen. Damals bedeutete es, für das Frauenwahlrecht und gleiche Löhne auf die Straße zu gehen – heute schenken die Männer Blumen. Ist Frauenunterdrückung nicht mehr aktuell? Von Max Manzey und Catarina Príncipe
Im Jahr 1910 existierte in Europa nur ein Land, in dem Frauen das Wahlrecht hatten: Finnland. In großen Industrienationen wie Deutschland, England, Frankreich oder Italien hieß es hingegen für die Frauen, am Wahltag zu Hause zu bleiben.
Dieser Zustand brachte die Sozialistin Clara Zetkin beim Sozialistenkongress jenes Jahres in Kopenhagen dazu, angelehnt an eine Idee der Frauenbewegung in den USA, einen internationalen Frauentag auszurufen. Er fand erstmalig im März 1911 statt. An diesem Tag sollten die Forderungen der Frauenbewegung auf die Straße und in die Öffentlichkeit getragen werden: Einführung des Wahlrechts, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und freier Zugang zu den Universitäten für Frauen. Dabei war diese frühe Frauenbewegung eng verknüpft mit der Arbeiterbewegung und dem Kampf für den Sozialismus. So sagte Clara Zetkin in ihrem berühmt gewordenen Referat, das den Titel »Für die Befreiung der Frau!« trägt: »Die Emanzipation der Frau sowie des gesamten Menschengeschlechtes wird ausschließlich das Werk der Emanzipation der Arbeit vom Kapital sein. Nur in der sozialistischen Gesellschaft werden die Frauen wie die Arbeiter in den Vollbesitz ihrer Rechte gelangen.«
Das bedeutete jedoch nicht, dass nicht auch im Kapitalismus, im Hier und Jetzt, Reformen wie die Einführung des Frauenwahlrechts erkämpft werden könnten. Ganz im Gegenteil: Die starke Frauenbewegung, deren Aktivistinnen an den Frauentagen zu Zehntausenden auf die Straße gingen und an Diskussionen teilnahmen, erreichte die Einführung des Wahlrechts in verschiedenen Ländern. In Deutschland gelang es im Rahmen der Novemberrevolution von 1918. Auch in Russland war die Einführung des Frauenwahlrechts im Jahr 1917 die Errungenschaft einer Revolution. In Frankreich und Italien hingegen konnte es erst nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt werden.
Blumen schenken statt kämpfen
Wer am Frauentag auf eine Großdemonstration mit mehreren tausend Menschen gehen möchte, wurde in den vergangenen Jahren bitter enttäuscht. Der traditionelle Kampftag der Frauenbewegung, der inzwischen auch offiziell von den Vereinten Nationen anerkannt ist, gerät immer mehr in Vergessenheit. Statt für Gleichberechtigung und Frieden zu demonstrieren, werden heute Blumen verschenkt. Heißt das, dass es nichts mehr zu erkämpfen gibt?
Auch wenn Frauen heute wählen dürfen und beispielsweise mehr als die Hälfte der Studierenden weiblich ist, ist die Gleichstellung von Mann und Frau noch lange nicht erreicht. Denn wenn man die reale Arbeitssituation betrachtet, muss man feststellen, dass Frauen deutlich häufiger von Prekarität betroffen sind als Männer: Mehr als 80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten und zwei Drittel der Minijobber sind Frauen. Dies spiegelt sich im Bruttolohn wieder: Frauen verdienen laut einer Studie aus dem Jahr 2012 durchschnittlich 22 Prozent weniger als Männer, was sich allerdings nicht nur auf eine höhere Prekarisierung zurückführen lässt. Auch bei vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit liegt der Verdienst von Frauen durchschnittlich sieben Prozent unter dem der Männer.
Viele Errungenschaften stehen auf der Kippe
Der letzte große Angriff der Arbeitgeber betraf den Manteltarifvertrag im Einzelhandel und damit einen Arbeitsbereich, in dem überwiegend Frauen arbeiten. Mit dem Ziel, die Flexibilisierung und somit Verschlechterung der Arbeitsbedingungen abzuwehren, rief die Gewerkschaft ver.di über mehrere Monate ihre Mitglieder zum Streik auf. Auch wenn einige wesentliche Verschlechterungen dadurch abgewehrt werden konnten, hat sich die sowieso schon prekäre Arbeitssituation dadurch nicht verbessert. Ein großes Problem stellt der geringe gewerkschaftliche Organisationsgrad dar. Das ist in anderen, eher von Männern dominierten Branchen, wie der Metallindustrie, völlig anders.
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Viele Frauen sind darum auf die öffentliche Daseinsfürsorge ganz besonders angewiesen. Und auch da stehen viele Errungenschaften der letzten Jahrzehnte auf der Kippe: Überall wird gespart. Die Verteuerung des Gesundheitswesens und Rentenkürzungen treffen Frauen in besonderem Maße. Dies gilt auch bei Kindertagesstätten, Frauenhäusern und Gleichstellungsbüros – die Schuldenbremse wird diese Entwicklung drastisch beschleunigen. Dies wird auch dazu beitragen, dass Frauen noch mehr unbezahlte Arbeit machen müssen als ohnehin schon, zum Beispiel bei der Kindererziehung, bei der Hausarbeit oder im Pflegebereich. Es ist ein wesentliches Standbein der kapitalistischen Wirtschaft, die Reproduktionskosten zu Lasten der Frauen gering zu halten.
Wo ist die Frauenbewegung?
Die Frauenunterdrückung hat jedoch nicht nur eine ökonomische Dimension: Der alltägliche Sexismus wurde in jüngster Zeit von der »#aufschrei«-Kampagne thematisiert. Auslöser war der Vorwurf der jungen Journalistin Laura Himmelreich gegenüber dem FDP-Politiker Rainer Brüderle, sie durch sexistische Sprüche und Übergriffe belästigt zu haben. Dies führte zu einer regen Debatte über Altherrenwitze und die täglichen Diskriminierungen von Frauen bei der Arbeit und in der Freizeit.
Und noch schlimmer: Im Jahr 2012 registrierte die Polizei 8.031 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher. Die Frauenunterdrückung ist heute also hochaktuell. Doch von einer starken Bewegung, wie es sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit der ersten Welle des Feminismus gab, sind wir heute offensichtlich weit entfernt. Woran liegt das?
Das Abflauen der Arbeiterbewegung in den 1970ern
Auf der Suche nach einer großen Frauenbewegung muss man gar nicht so weit in der Geschichte zurückgehen. In den 1960er Jahren existierte eine zweite feministische Welle, die sich ebenfalls auf den marxistischen Ansatz stütze, Frauenunterdrückung als ein Resultat der Klassenausbeutung im Kapitalismus zu betrachten. Die ersten Feministinnen der 68er-Bewegung waren davon überzeugt, dass der Kampf gegen die Frauenunterdrückung nur Hand in Hand mit dem Kampf gegen den Kapitalismus und für eine sozialistische Gesellschaft möglich sei. Und sie hatten Erfolg: Frauen und Männer kämpften gemeinsam für die Abschaffung einer Niedriglohngruppe für Frauen und verknüpften dies mit Forderungen nach dem Ausbau von Kindergartenplätzen und für das Recht auf Abtreibung. Auch die Auseinandersetzung mit alltäglichem Sexismus und Unterdrückungsmechanismen, eingeleitet durch einen Konflikt innerhalb des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), spielten dabei eine wichtige Rolle.
Das veränderte sich mit dem Abflauen der Arbeiterbewegung in den 1970er Jahren und der damit einhergehenden nachlassenden Orientierung der Frauenbewegung auf die Arbeiterbewegung. Andere Theorieansätze gewannen bei den Feministinnen an Einfluss, etwa jene, die den zentralen Konflikt nicht länger zwischen den Klassen, sondern zwischen Mann und Frau verorteten. Männliches Verhalten wurde per se als gewalttätig und egoistisch identifiziert und die Lösung der Frauenunterdrückung nun als ein individueller Weg in die Führungsetagen der Unternehmen verstanden.
Alice Schwarzer: Feminismus für Besserverdiener
Aus dieser Tradition stammt Alice Schwarzer, die Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift »Emma«. Im Jahr 2005 machte die bekannteste Vertreterin der neueren Frauenbewegung Wahlkampf für Angela Merkel – für jene Frau also, die heute durch die Austeritätspolitik für die Verelendung weiter Teile Südeuropas mitverantwortlich ist, unter der Frauen durch den Abbau des Sozialstaats und den steigenden Sexismus in der Krise ganz besonders leiden.
Offensichtlich haben also Frauen, je nach ihrer sozialen Stellung, unterschiedliche Interessen. Und nicht nur das: Im Kampf für höhere Löhne und ein Ende der Ausbeutung im Kapitalismus haben Frauen sogar ein gemeinsames Interesse mit ihren männlichen Kollegen. Der bürgerliche Feminismus von Schwarzer und Co. setzt sich hingegen für eine weibliche Elite und nicht für die Mehrheit der Frauen ein.
In den vergangenen Jahren gab es neuere Formen einer Frauenbewegung, die sich insbesondere gegen (sexuelle) Gewalt und für körperliche Selbstbestimmung einsetzte. Slutwalks und Kampagnen wie »One Billion Rising« brachten weltweit Menschen auf die Straße und setzten direkt an den alltäglichen Unterdrückungserlebnissen von Frauen an.
Ein Neubeginn am 8. März 2014?
Angesichts der nach wie vor ausgeprägten Unterdrückung von Frauen durch ökonomische Diskriminierung und Sexismus ist eine neue Welle des Feminismus, die wieder einen klassenkämpferischen Standpunkt einnimmt, absolut notwendig. Einen Schritt dorthin will das Bündnis »Frauen*kampftag 2014« machen. Dieses Bündnis, an dem unter anderem der Studierendenverband Die Linke.SDS und die Partei DIE LINKE beteiligt sind, ruft für den 8. März zu einer Großdemonstration in Berlin für einen »politischen und sichtbaren Frauen*kampftag« auf. Dabei wäre es wichtig, die neueren Proteste gegen Sexismus und Gewalt mit den gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen im Einzelhandel, an der Charité und im öffentlichen Dienst in Verbindung zu setzen.
Im aktuellen Aufruf erinnert das Bündnis an den ersten Frauenkampftag des Jahres 1911 und stellt sich damit in eine Tradition, die auf dem Weg zur Frauenbefreiung schon wichtige Schritte gegangen ist, aber auch noch viel vor sich hat.
Max Manzey ist Mitglied im Bundesvorstand von Die Linke.SDS.
Catarina Príncipe ist aktiv bei Die Linke.SDS an der Humboldt-Universität in Berlin.