Präsident Abbas hat beantragt, Palästina in die Uno aufzunehmen. Sein Schritt hat zwar für Aufmerksamkeit gesorgt, wird aber die Unterdrückung der Palästinenser nicht beenden, meint Paul Grasse
Am 23. September beantragte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas die Aufnahme des Staates Palästina als 194. Vollmitglied in die Vereinten Nationen. 80 Prozent der in den von Israel besetzten Gebieten lebenden Palästinenser unterstützen laut Umfragen diese Initiative. Die Palästinenser haben das Recht auf einen eigenen Staat. Abbas‘ Antrag ist jedoch zum Scheitern verurteilt.
In seiner Rede vor der UN-Generalversammlung griff Abbas Israel für seine Siedlungspolitik an, forderte den Bau der Mauer und die fortgesetzte Annexion palästinensischer Gebiete zu beenden. Mehrmals erinnerte er an das Rückkehrrecht der seit 1948 aus ihrer Heimat vertriebenen palästinensischen Flüchtlinge, das ihnen in der UN-Resolution 194 zuerkannt worden war.
Mit der beantragten Anerkennung Palästinas sucht Abbas einen Ausweg aus der Sackgasse von 20 Jahren ergebnisloser Verhandlungen mit Israel, deren Beginn die Geheimverhandlungen markierten, die 1993 zu den Verträgen von Oslo führten. Abbas war in der Vergangenheit bereit, sehr große Zugeständnisse an Israel zu machen. Seine Initiative nun signalisiert, dass er nicht länger bereit ist, als Bittsteller auf Israels Almosen zu warten.
Staat ohne Staat
Der Antrag hat jedoch unübersehbare Schwächen. Im Antrag stellt Abbas keine Vorbedingungen für die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen: Er fordert keinen sofortigen Stopp des Siedlungsbaus, er fordert nicht die Anerkennung Ost-Jerusalems als palästinensische Hauptstadt und auch nicht die Anerkennung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge durch Israel.
Zudem hat der Antrag eine rein symbolische Bedeutung, weil die Voraussetzungen für einen Staat im Falle der besetzten Gebiete schlichtweg nicht vorhanden sind: Weder gibt es ein zusammenhängendes Staatsgebiet noch politische Souveränität. Israel kontrolliert sämtliche Ressourcen und hat die volle Kontrolle über die Außengrenzen der besetzten Gebiete. Daran würde auch eine Mitgliedschaft in der Uno nicht das Geringste ändern.
Uno machtlos
Die USA, Israel und die EU lehnen den Antrag ab. Der Grund dafür sind die Stärken des Antrags, nicht seine Schwächen. Der Antrag hat die Frage Palästinas und der israelische Besatzung wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt. Indem er konkret die Festlegung auf die Grenzen von 1967 fordert, zwingt er all jene, die immer von der Zweistaatenlösung reden, zu konkreten Schritten in diese Richtung. Die USA haben sofort mit dem Entzug der Gelder für die Autonomiebehörde gedroht. Israel kündigte das Ende der Osloer Verträge an und drohte mit massiven Unterdrückungsmaßnahmen.
Seit 1947 war die Uno immer eher Teil des Problems der Besatzung gewesen und nicht Teil der Lösung. Der UN-Teilungsplan von 1947 war ein wichtiges Element der Legitimation der Vertreibung von über 70 Prozent der Palästinenser. Alle Resolutionen der Uno zur Unterstützung der Rechte der Palästinenser sind von Israel ignoriert worden. Die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates können mit einem Veto jede Resolution stoppen, ein Privileg, von dem die USA immer wieder Gebrauch machen. Das haben die USA auch in diesem Fall angekündigt.
Wie der Vatikan
Um den USA einen zu großen Gesichtsverlust zu ersparen, schlug das Nahostquartett (bestehend aus EU, USA, Russland und UN-Vertretern) einen »Kompromiss« vor, der eine Anerkennung Palästinas als Beobachterstaat mit dem Versprechen neuer Friedensverhandlungen beinhaltete. Einen solchen Status als Beobachterstaat hat auch der Vatikan. Palästina hätte dann kein Stimmrecht in der Vollversammlung.
Die Mitgliedsstaaten der UN haben keine Möglichkeit, am Sicherheitsrat vorbei Druck auf Israel auszuüben, auch wenn sie in ihrer Mehrheit Palästina bereits anerkannt haben und Abbas und seine Initiative voll unterstützen. Im Gegenteil: die Gelder des UN-Flüchtlingshilfswerks UNRWA, das die palästinensischen Flüchtlinge unterstützt, sind kürzlich drastisch gekürzt worden. Als Israel vor zwei Jahren Gaza angriff und Schulen der UNRWA genau wie auch Krankenhäuser bombardierte, gab es keine UN-Resolution, die Israel dazu bringen konnte, diese Angriffe einzustellen.
Abbas leere Hoffnungen
Trotz der fehlenden Chancen auf Erfolg und trotz des Druckes aus den USA, Israel und der EU ließ Abbas sich nicht davon abbringen, den Antrag zu stellen. Mahmud Abbas glaubt, auf diplomatischem Wege eine Symmetrie zwischen Israel und den Palästinensern herstellen zu können: Gäbe es einen Staat Palästina, so würde die israelische Besatzung einen Angriff auf einen Staat darstellen.
Die Politik der Uno wird jedoch nicht von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten bestimmt, sondern folgt den Interessen der im Sicherheitsrat vertretenen Mitglieder. So war es den USA und ihren Verbündeten möglich, mit dem Mandat der Uno Libyen zu bombardieren und Afghanistan zu besetzen. Bekommen sie kein UN-Mandat, wird trotzdem bombardiert: So konnten die mächtigsten Staaten der Welt den Irak angreifen, Jugoslawien und den Sudan zerschlagen, ohne Konsequenzen durch die UN fürchten zu müssen.
Knallharte Interessen
Auch im Falle Israels ist die unverbrüchliche Unterstützung durch die Schutzmacht USA und auch durch die EU inklusive Deutschlands keine Frage des Rechts, sondern knallharter Interessen. Israel liegt im Zentrum der weltgrößten Ölvorkommen. Es ist vollkommen von der Unterstützung durch den Westen abhängig und damit absolut loyal. Mit dem Erfolg der arabischen Revolutionen ist Israel isoliert und die USA nachhaltig geschwächt worden, die sich beide immer enger Verbundenheit mit den arabischen Diktatoren erfreuten.
Je mehr diese Säule westlicher Vormachtstellung in der Region ins Wanken gerät, desto wichtiger wird die Partnerschaft des Westens mit Israel. Deshalb sind die EU und die USA gern bereit, bei israelischen Verbrechen wegzuschauen oder sie sogar als Teil von Israels »Sicherheitsarchitektur« zu dulden oder gar zu legitimieren, wie das Wegschauen nach dem Angriff auf die Mavi Marmara 2010 bewiesen hat.
Israel baut weiter
Ein Teil dieser Sicherheitsarchitektur war es immer, dass Israel keinen palästinensischen Staat an seiner Seite dulden wird. Israel brauche »verteidigungsfähige« Grenzen, lautet das Argument. Dieses Konzept beinhaltet die Fortsetzung der Besatzung großer Teile der Westbank, volle militärische Souveränität Israels über die besetzten Gebiete und den Anspruch auf ganz Jerusalem als israelische Hauptstadt.
Israel behält sich das Recht vor, ungeachtet aller UN-Resolutionen weiter Siedlungen zu bauen: Noch im September beschloss die Knesseth, das israelische Parlament, den Bau von 1100 weiteren Wohnungen in einer Siedlung. In Kürze wird die Knesseth sogar über einen Antrag auf Annexion der Westbank entscheiden. Eine Zweistaatenlösung ist weder mit Israel noch mit den USA oder der EU zu machen. Das deutlich gemacht zu haben, ist vielleicht der größte Effekt des Antrags auf Mitgliedschaft Palästinas in der Uno.
Revolution ohne Revolte?
Abbas hat geglaubt, den »arabischen Frühling« auf diplomatischer Ebene auf Palästina übertragen zu können. Die arabischen Revolutionen sind jedoch eine Massenbewegung mit Demonstrationen und Streiks, mit militanten Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht.
Die arabischen Revolutionen, besonders der Sturz des ägyptischen Diktators Mubarak, haben Israel in der Region nachhaltig isoliert. Die Gaspipeline, durch die Israel mit billigem ägyptischem Erdgas versorgt wird, ist vor wenigen Tagen zum fünften Mal in die Luft gesprengt worden. Israel hat seine Botschafter aus dem benachbarten Jordanien abgezogen, die israelische Botschaft in Kairo wurde gestürmt. Jordanien und Ägypten zählten bisher zu den engsten regionalen Verbündeten Israels. Aus der Türkei, wurde der Botschafter Israels nach massiven Protesten gegen die israelische Besatzung ebenfalls ausgewiesen.
Im Frühjahr versuchten tausende palästinensischer Flüchtlinge die Grenzanlagen auf den besetzten Golanhöhen zu stürmen. Im Frühjahr gewann ein Manifest von Studenten aus Gaza breite Unterstützung, die sowohl einen konkreten Kampf gegen die Besatzung forderten, als auch den Konservatismus der Hamas und die Kollaboration der PA scharf angriffen.
Aufstand auch in Palästina
Dadurch steht auch Mahmud Abbas unter großem Druck. Er war seit dem Anfang der Verhandlungen vor zwanzig Jahren am Ausverkauf palästinensischer Rechte beteiligt. Abbas rüstete seine Sicherheitskräfte gegen die Hamas auf und provozierte in Gaza einen Bürgerkrieg, den die gewählte Hamas-Regierung gewann. Im Januar 2011 veröffentlichte der Fernsehsender Al Jazeera hunderte Dokumente aus Abbas‘ Büro, die belegten, dass Abbas bereit war, die Rückkehr der Flüchtlinge in Frage zu stellen, einen großen Teil Ostjerusalems Israel zu überlassen und die großen israelischen Siedlungen in der Westbank per Landtausch mit Israel anzuerkennen.
Die Ablehnung der Anerkennung Palästinas durch die UN kann daher dazu führen, die Konflikte zwischen den palästinensischen Fraktionen zu beenden, zwischen denen, die den letzten Rest an Hoffnung auf die UN und Hilfe von außen nun verloren haben und denen, die sie schon längst nicht mehr hatten. Das kann dem Widerstand der Palästinenser Aufwind verleihen und den Boden für einen neuen Aufstand, für eine neue Intifada bereiten. Als Teil des arabischen Frühlings.
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- Reisebericht »Elf Tage in Israel und Palästina«: Die LINKE-AktivistInnen Cigdem Kaya, Derya Kilic und Serdar Agit Boztemur sind am 12. September auf Einladung des AIC (Alternative Information Center) und aufgrund ihrer journalistischen Tätigkeit nach Bethlehem (Palästina) gereist. Sie berichten von der Stimmung hinsichtlich des Antrags von Palästinenserpräsident Abbas auf Vollmitgliedschaft in der Uno