Die Krise in Greichenland nimmt kein Ende. marx21 traf zwei Gewerkschafterinnen, um mit ihnen über die aktuelle Situation für die Bürger in Griechenland zu sprechen. Ein Interview über Spardiktat, Streiks und Solidarität. Im August waren die beiden Gewerkschafterinnen Argiro Baduva (Vorstand des Gewerkschaftsbundes der Lehrerinnen Griechenlands, DOE) und Alkistis Tsolakou (Software-Ingenieurin, Betriebsratsvorsitzende bei Nokia-Siemens Hellas) auf Einladung der DGB Jugend Hessen-Thüringen auf »Solidaritäts-Tour« zu Gast in Hessen und Thüringen. Bei 8 Abendveranstaltungen und zahlreichen Treffen und Terminen mit Aktivisten, Gewerkschaftern und Politikern haben die beiden nicht nur aus erster Hand über die Lage in Griechenland, das Leben unter dem Spardiktat und das Protestieren gegen die Politik der Troika berichtet, sondern vor allem auch für internationale Solidarität geworben. marx21 hat Argiro und Alkistis im Hanauer Büro der Linken getroffen, nach ihrem Besuch mit der IG Metall bei der streikerprobten Belegschaft der Hanauer Vaccumschmelze und am Rande des Gespräches mit hessischen Bundestagsabgeordneten der LINKEN. marx21: Ihr seid zurzeit in Hessen auf Einladung der DGB-Jugend Hessen-Thüringen auf Veranstaltungstour. Was habt ihr bisher für Erfahrungen machen können? Was gab es für interessante Begegnungen? Alkistis Tsolakou: Sehr interessant fanden wir ein Treffen bei VW. Es war eindrucksvoll, zu erfahren, wie die jungen Arbeitnehmer ihre Forderungen gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen. Es war überhaupt bisher sehr anspruchsvoll, jeden Abend eine Versammlung mit jungen Menschen in verschiedenen Städten zu machen. So ein großes Interesse hatten wir nicht erwartet. In Rüsselsheim hatten wir z.B. ein Treffen mit Berufsschülern. Die Schüler haben uns etwas erzählt, dass an die Situation in Griechenland erinnert: Die Region Rüsselsheim hat hohe Schulden, die abgebaut werden müssen und durch Kürzungen finanziert werden sollen. Wie ist zurzeit die Situation für die Bürger in Griechenland? In Griechenland finden immer stärkere Kürzungen statt. Gehälter und Pensionen im öffentlichen Dienst wurden mittlerweile ungefähr um die Hälfte gekürzt. Die Arbeitslosenrate liegt bei 27 %, bei jungen Leuten bei 56 %. Sowohl die Lohnuntergrenze als auch das Arbeitslosengeld sollen noch weiter gesenkt werden. Viele Tarifverträge wurden aufgekündigt. Steuern werden angehoben, so wurde die MwSt von 13 auf 23 % erhöht. Es gibt mittlerweile eine Emmigrationswelle vor allem junger, gut ausgebildeter Menschen die keine Hoffnung haben in Griechenland Arbeit zu finden. Ein zunehmendes Problem ist die zunehmende Obdachlosigkeit und Armut, immer mehr Menschen suchen im Abfall nach Essensresten und die Selbstmordrate nimmt zu. Man weiss von vielen Menschen, die sich das Leben genommen haben, dass sie es getan haben, weil sie ihr Leben nicht mehr finanzieren konnten und ganz konkret in ihren Abschiedsbriefen die Krise und die Kürzungspolitik dafür verantwortlich machen. Wie ist die aktuelle Situation in Hinblick auf Streiks und Proteste? Argiro Baduva: In den letzten 1,5 Jahren fanden über 25 – zum Teil sehr erfolgreiche – Generalstreiks statt. Es streiken Menschen aus dem privaten und öffentlichen Sektor, manchmal bis zu einer Million Menschen. Es sind jetzt viele Menschen dabei, nicht noch nie gestreikt haben. Die Medien zeigen aber vor allem gewalttätige Ausschreitungen, die vielen friedlichen Demonstrationen werden nicht gezeigt. Es ist sicher, dass auch Ausschreitungen von der Polizei provoziert wurden. Alkistis Tsolakou: Im Sommer kann man nicht streiken! Es ist viel zu heiß! Deshalb hört man aktuell nicht so viel davon. Manche wollen vielleicht auch nach den Wahlen der neuen Regierung Zeit geben. Die Menschen werden aber sehr schnell feststellen, dass die Regierung die Probleme nicht lösen kann, dann werden sie wieder auf die Strasse gehen. Der Präsident will mehr Zeit von der EU. Hilft das? Alkistis Tsolakou: Das macht keinen Unterschied. Aber die Regierung erkauft sich Zeit zum Regieren. Es gibt Wissenschaftler die sagen, die längere Zeit zum Schuldenabbau bedeutet ja auch, dass die Zinsen und damit die Schulden noch mehr steigen. Was wäre die Alternative zu dieser Politik ? Alkistis Tsolakou: Es gibt viele Vorschläge, man braucht aber die richtige Regierung zur Umsetzung. Ohne eine Neuverhandlung über die tatsächlichen Schulden, die zurückgezahlt werden müssen, geht aber gar nichts. Ausserdem muss sich die Wirtschaft entwickeln können, es muss investiert werden, damit Arbeitsplätze entstehen. Erst dann sollte man Schulden zurückzahlen. In einer Wirtschaftsdepression Schulden zurückzuzahlen ist unmöglich. Das Steuersystem muß verändert werden, das Geld muss von den Reichen geholt werden. Wer von den Armen stiehlt, bleibt arm. Haben die Griechen Verständnis für die Reichen, die ihr Geld ins Ausland abziehen oder gibt es ein Unmut darüber? Alkistis Tsolakou: Die Stimmung ist dafür, dass die Reichen zur Kasse gebeten werden sollten. Aber grundsätzlich werden wir von den Medien nicht vollständig darüber informiert, über welche Mengen von Geld es hier geht. Auch über die Steuervorteile der Reeder wird nicht informiert. Wenn die Menschen nicht informiert sind, werden sie dagegen nicht protestieren. Wie ist die Situation des Sozial- und Gesundheitswesens ? Stimmt es, dass Frauen, die zur Entbindung ins Krankenhaus gehen, zuerst einmal den Arzt bezahlen müssen, bevor er ihnen hilft ? Argiro Baduva: Das stimmt! Das System ist kollabiert und die Regierung hat dies zugelassen. So kann man anschliessend besser privatisieren. In öffentlichen Kliniken fehlt es an allem: an Medikamenten, Ärzten und Pflegepersonal. Z.B. waren einmal in den öffentlichen Kliniken Leukämiemedikamente aufgebraucht. Es gab einfach keine mehr und lebensnotwendige Therapien konnten nur noch in Privatkliniken durchgeführt werden, was bedeutet dass ein Großteil der Menschen sich das nicht leisten konnte. Welche Erwartungen habt Ihr an eine linke Parteien- und Gewerkschaftsbewegung in Deutschland und Europa? Alkistis Tsolakou: Ich stelle mir vor, dass z.B. alle Linken in allen Ländern am gleichen Tag vor ihrem jeweiligen Regierungssitz demonstrieren sollten. Argiro Baduva: Es ist ungeheuer wichtig, ein Informationsnetzwerk zu haben, um gemeinsam die Bevölkerung informieren und Alternativen vorstellen zu können. Nur mit Solidarität zwischen den Ländern kann man diese Krise überwinden. (Die Fragen stellten Lisa Hofmann und Natalie Dreibus)
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