Armut und Hunger könnten weltweit besiegt werden. Doch die G8-Regierungen machen Politik für Konzerne und gegen die Armen.
Um 750 Millionen Euro will Kanzlerin Merkel im nächsten Jahr die deutsche Entwicklungshilfe aufstocken, sagte sie kurz vor Beginn des G8-Gipfels in Heiligendamm. Erst nach langer und hartnäckiger Kritik der G8-Gegner hat sie sich dazu durchgerungen. Trotz dieses Versprechens werden die G8 Armut und Hunger in Afrika nicht beseitigen helfen.
"In der G-8-Agenda wird Afrika als eine Art Rohstofflager angesehen", kritisierte Michael Frein, Handelsexperte des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) vor dem Gipfeltreffen. Die Industrieländer wollten vor allem ihren Zugang zu den Rohstoffen sichern. Zu Beginn des G8-Treffens äußerte er sich nochmals deutlich: "Die G8-Politik nützt den Konzernen und schadet den Armen."
Die Forderung der G8 nach strengerem Patentschutz ist laut EED "problematisch“. Denn "95 Prozent der Patentinhaber kommen aus einem Industrieland. Die G8 drängen nun die Entwicklungsländer zu einem stärkeren Schutz der Patente des Nordens. Bereits heute findet via Lizenzgebühren ein Netto-Kapitaltransfer von Süd nach Nord statt. Leidtragende eines strengen Patentschutzes sind beispielsweise AIDS-Kranke, die sich die teuren patentgeschützten Medikamente nicht leisten können." Diese Politik sei mit dem Kampf gegen Aids in Afrika, den die G8-Staaten versprochen haben, nicht vereinbar.
Ungerechte Verteilung
Die G8 stehen für ein kapitalistisches System, das unvorstellbaren Reichtum auf der einen Seite und unsägliches Elend auf der anderen produziert. Laut der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung FAO leiden in der Welt mehr als 850 Millionen Menschen an chronischer Unterernährung. Täglich sterben weltweit 25.000 Menschen an Hunger. Seit 1995 ist die Zahl der Hungernden laut FAO um 28 Millionen Menschen gestiegen. Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt von weniger als 1 Euro und 72 Cent pro Tag. Besonders in afrikanischen Ländern südlich der Sahara hat das Elend zugenommen.
Im krassen Gegensatz zur Armut vieler, haben einige wenige ungeheuren Reichtum angehäuft. Die 1000 reichsten Menschen der Welt verfügen über 3500 Milliarden US-Dollar. Die Hälfte davon würde ausreichen, um alle Schulden der Entwicklungsländer zu tilgen. Die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung besitzen 85 Prozent des Weltvermögens. Wer zu dieser Gruppe gehört, besitzt im Durchschnitt 40mal mehr als der Weltdurchschnittsbürger. Die Hälfte der erwachsenen Weltbevölkerung hingegen besitzt nur 1 Prozent des Weltvermögens.
Der US-amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs, der seit 2002 Sonderberater der UNO ist, kritisiert die G8 scharf. Die G8 habe versprochen, die Hilfe für Afrika von 25 Milliarden US-Dollar im Jahr 2004 auf 50 Milliarden im Jahr 2010 zu erhöhen. Sie müsse das Versprechen halten.
"Um diesen Betrag ein wenig einzuordnen: Allein die Summe des Weihnachtsgeldes an der Wall Street belief sich im vergangenen Jahr auf 24 Milliarden Dollar", sagte Sachs kürzlich gegenüber dem Sender Deutsche Welle. "Die Ausgaben für den Irak-Krieg, der außer Gewalt nichts bewirkt, belaufen sich auf mehr als 100 Milliarden Dollar im Jahr. Die G8 könnte ihre Zusagen leicht erfüllen, wenn die reichen Länder auch nur das geringste Interesse daran hätten", so Sachs weiter.
Gipfel-Gegner fordern von der G8 zu Recht, alle Schulden der Entwicklungsländer zu streichen. Denn es ist ein Mythos, dass Geld nur vom reichen Norden in den armen Süden fließt. Nach Angaben der Weltbank strömten im Jahr 2004 über 333 Milliarden US-Dollar an Kreditrückzahlungen aus dem Süden in den Norden. Das war mehr als dreimal so viel wie die kombinierte Entwicklungshilfe aller Industriestaaten zusammen.
In den Medien kursieren derzeit zwei Theorien über die Ursachen von Armut und Verschuldung. Die erste besagt, dass korrupte Regierungen die Entwicklungshilfe zweckentfremden und Afrika sich deshalb nicht entwickeln könne. Die zweite besagt, dass es in den armen Ländern keinen funktionierenden Markt gäbe. Würde dort die Marktwirtschaft gefördert, könnte auch die Armut überwunden werden.
Doch Armut und Verelendung haben andere Ursachen, die in der Entstehung des Kapitalismus wurzeln. Der Kapitalismus hat sich von Anfang an ungleich entwickelt. Als industrielle Zentren etablierten sich zuerst Länder wie Großbritannien, Frankreich und Belgien. Sie begannen Ende des 19. Jahrhunderts mit der Eroberung der Welt und der Unterwerfung anderer Länder. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stießen die USA und Deutschland auf der Weltbühne dazu.
Der Kolonialismus leitete Reichtum in Form von Rohstoffen und Arbeit in die führenden kapitalitischen Staaten. Eroberte Länder wurden auch militärisch besetzt. Die Mehrheit der betroffenen Menschen litt unter schrecklicher Armut und Ausbeutung.
Ihre Lage verbesserte sich durch erfolgreiche koloniale Befreiungsbewegungen. In einer Reihe von Ländern wurden nach dem 2. Weltkrieg die westlichen Unterdrücker vertrieben, so zum Beispiel in China, Indien und vielen afrikanischen Ländern. Viele der neuen Herrscher versuchten, durch staatliche Maßnahmen eine eigenständige industrielle Entwicklung einzuleiten. Dazu nahmen sie auch Kredite bei den Industrieländern auf. Aber die zunehmende Krisenhaftigkeit der Weltwirtschaft seit Mitte der 70er Jahre machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.
In den 80er Jahren war dann dieser Entwicklungspfad endgültig verbaut. Unter dem damaligen US-Präsidenten Reagan flossen große Geldmengen in die Aufrüstung der USA. Da diese durch Kredite finanziert wurde, stiegen die internationalen Zinsraten enorm an: von 6 Prozent auf bis zu 17 Prozent. Da die Schulden der Entwicklungsländer oft an den Zinssatz des US-Dollar gekoppelt waren, erhöhte sich die Zinslast der verschuldeten Staaten. Zudem sanken die Weltmarktpreise für viele Rohstoffe und damit die Einnahmen der vom Export dieser Rohstoffe abhängigen Staaten.
Regierungen armer Staaten müssen seitdem regelmäßig neue Kredite aufnehmen, nur um die Zahlungen auf ihre Kredite aus der Vergangenheit leisten zu können. Doch die von der G8 dominierten internationalen Finanzinstitutionen Weltbank und Internationaler Währungsfond (IWF) knüpfen neue Finanzhilfen an so genannte Strukturanpassungsprogramme (SAP). Die Schuldnerstaaten werden über die SAP gezwungen, die öffentlichen Ausgaben zu begrenzen, was Sozialabbau bedeutet. Die verschuldeten Ländern sollen ihre Märkte weiter für westliche Konzerne öffnen und privatisieren.
Zerstörerische Konkurrenz
Die Programme des IWF haben die Schuldnerstaaten auch zu einer Exportorientierung ihrer Wirtschaft gezwungen, um auf dem Weltmarkt Devisen einzunehmen. Doch auf dem Weltmarkt gehen die armen Länder oft unter. Sie können oft nicht mit den Produkten aus Industrieländern und deren Preisen konkurrieren. Die Öffnung ihrer Märkte, wie sie die SAP festlegen, bedeutet, dass einheimische Industrien von der Konkurrenz durch westliche Konzerne verdrängt werden.
Dort wo die Dritte-Welt-Staaten keine Konkurrenz durch die Industrieländer haben, werden sie gezwungen, sich gegenseitig in Grund und Boden zu konkurrieren. Der IWF drängte zum Beispiel viele Länder, ihre Kaffeeproduktion für den Export auszuweiten. Vietnam vervielfachte daraufhin seine Produktion – mit dem „Erfolg“, dass die Weltmarktpreise für Kaffee ins Bodenlose fielen. In den vom Kaffeeexport abhängigen Ländern wurde die Armut dadurch noch verschärft.
Nach diesem Muster erzwang der IWF in der gesamten Welt wirtschaftspolitische Strategien, die jene am härtesten getroffen haben, die ohnehin schon zu den Ärmsten gehören.
Die Schuldenfalle, in der viele arme Länder sitzen, entspringt dem globalen Kapitalismus, wie er sich in den vergangenen 30 Jahren entwickelt hat. Das Hauptmerkmal dieser Entwicklung ist die Entfesselung der Marktkräfte und die Schleifung der letzten Schutzeinrichtungen für die Armen der Welt.
Unter Kanzlerin Merkels G8-Präsidentschaft sollen die zerstörerischen Kräfte der Marktwirtschaft weiter entfesselt werden. Nichts anderes steht hinter dem so genannten „Freihandel“, dessen Ausdehnung Merkel wünscht. Die Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm sind deswegen nicht nur berechtigt, sondern auch nötig.
(Frank Eßers)