Um ihre Unterstützung für den Ausbau des Frankfurter Flughafens zu zeigen, hat die hessische CDU/FDP-Landesregierung dort eine Kabinettssitzung gemacht. In ihrer Antwort auf die Regierungserklärung des Wirtschaftsministers Florian Rentsch (FDP) greift LINKE-Fraktionsvorsitzende Janine Wissler seine Politik als menschenfeindlich an
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
nach den Bildungs- und Sicherheitswochen hat die Landesregierung jetzt die Wirtschaftswochen ausgerufen und zum Auftakt eine Kabinettssitzung am Frankfurter Flughafen gemacht. Das ist bezeichnend, denn der Titel ihrer Regierungserklärung ist »Wachstumspolitik« und gerade am Frankfurter Flughafen zeigt sich, welch fatale Auswirkungen ihre sogenannte Wachstumspolitik hat.
Kommenden Montag findet die 49. Montagsdemonstration am Flughafen statt. Seit weit über einem Jahr demonstrieren jeden Montag tausende Menschen gegen die Verlärmung der Region und ich möchte den BIs gratulieren zu ihrer Ausdauer und ihrer Hartnäckigkeit.
Landebahn und Lärm
Die Menschen in der Rhein-Main-Region können es nur als Drohung auffassen, wenn der Ministerpräsident gestern erklärt, der Flughafen brauche »auch in Zukunft Entwicklungsperspektiven«. Was soll das heißen? Noch eine Landebahn, noch mehr Flüge, noch mehr Lärm?
Die Menschen fühlen sich verraten und enttäuscht. Die Mediation hatte keine andere Funktion als die Region einzulullen und ruhig zu stellen.
Deswegen sage ich auch an die Adresse der SPD: Was die Menschen brauchen, sind keine neuen Arbeitskreise und Gesprächsrunden, was die Menschen brauchen, sind konkrete Lösungen. Die SPD hat ein Gutachten vorgelegt, mit dem sie ihr Nichtstun im Falle einer Regierungsübernahme ankündigt, weil rechtlich nichts mehr zu machen sei.
Mehr Flugbewegungen
Es ist feige, wenn eine Partei, die sich immer für den Flughafenausbau ausgesprochen hat, sich jetzt hinter einem juristischen Gutachten versteckt. Wer einen Flughafen ausbaut, damit es mehr Flugbewegungen gibt, der kann sich doch danach nicht ernsthaft darüber wundern, dass es mehr Lärm gibt.
DIE LINKE bleibt dabei: Wo ein politischer Wille, da auch ein juristischer Weg. Natürlich können falsche Entscheidungen korrigiert werden, sie müssen korrigiert werden, wenn sie solch fatale Auswirkungen haben. Fluglärm lässt sich nicht aussitzen.
Weniger Lebensqualität
Herr Wirtschaftsminister, mich würde schon interessieren: Wo sind eigentlich die 100.000 neuen Arbeitsplätze, die der Region versprochen wurden, wenn die neue Landebahn gebaut wird? Herr Minister, ihre sogenannte Wachstumspolitik bedeutet vielleicht wachsende Gewinne für die Luftverkehrswirtschaft, für die Menschen bedeutet sie ein Schrumpfen ihrer Lebensqualität.
Es ist zynisch, wenn die Landesregierung sich hinstellt und sagt, man habe gemeinsam mit der Luftverkehrswirtschaft einen »fairen Ausgleich« zwischen dem Flughafen und den Anwohnern geschaffen. Das können sie doch nicht ernsthaft den Menschen erklären, die ihre Fenster nicht mehr öffnen können, deren Kinder Konzentrationsprobleme haben und die nachts regelmäßig geweckt werden, weil ein Ferienflieger mal wieder zu spät losgeflogen ist.
Steuerzahler tragen Lärmschutz
Die »Allianz für Lärmschutz« ist eine Farce. Den Großteil der Kosten für den Lärmschutz tragen nicht etwa die Verursacher, nein, dafür müssen die Steuerzahler aufkommen. Das nennt man: Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren.
Der Lärm muss an der Quelle reduziert werden: durch eine Reduzierung der Flugbewegungen. Die Landesregierung setzt stattdessen auf Wegzugsprämien. Wir sagen: Der Lärm muss weichen, nicht die Menschen.
Konsequentes Nachtflugverbot
Nicht der Lärmschutz ist einzigartig in der Welt, wie sie behaupten, Herr Minister. Einzigartig ist aber die politische Dummheit, einen Flughafen inmitten eines Ballungsraums immer weiter auszubauen.
Deswegen bleiben wir dabei: Wir brauchen ein konsequentes achtstündiges Nachtflugverbot, eine Deckelung der Flugbewegungen und die Stilllegung der neuen Landebahn.
Fliegen ist die umweltfeindlichste Art der Fortbewegung, nicht nur wegen des Lärms auch wegen der Schadstoffe. Deshalb muss die Privilegierung des Flugverkehrs endlich ein Ende haben.
Millionengrab Kassel-Calden
Aber Sie belassen es ja nicht bei einem Flughafen. Kassel-Calden soll im April den Betrieb aufnehmen. An dieser Stelle hat die FDP offenbar keinerlei Probleme mit Staatswirtschaft. Angebot und Nachfrage können ja keine Rolle gespielt haben. Denn von Nachfrage kann im Fall von Kassel-Calden keine Rede sein. Kaum eine Fluggesellschaft hat Interesse, und wenn doch, dann nur wegen hoher Subventionen.
Das Wall Street Journal sprach von einem »Flughafen, den in Deutschland keiner braucht« und einem »Politikerdenkmal«. Alle Welt macht sich über das Desaster am Berliner Flughafen lustig, aber ich finde, dass Kassel-Calden auch Potential hat, zur Lachnummer und vor allem zum Millionengrab zu werden.
Schutzschirm und Personalabbau
Statt 150 Millionen Euro wird der Bau von Kassel-Calden 270 Millionen Euro kosten, also fast doppelt so viel. Klar ist, dass Calden mindestens bis 2018 ein Verlustgeschäft sein wird, auf etwa acht bis zehn Millionen pro Jahr wird das Defizit geschätzt.
Das muss man sich mal vorstellen: Die Stadt Kassel, die gerade unter den sogenannten kommunalen Schutzschirm geschlüpft ist, und jetzt an allen Ecken kürzt, wird in den nächsten Jahren also einen defizitären Flughafen subventionieren, während Stadtteilbibliotheken schließen und städtisches Personal abgebaut wird.
Und was sagt der Flughafen-Chef Jörg Ries dazu? Der erklärt, ein Flughafen müsse sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen, es gehe auch darum, die Wirtschaft vor Ort anzukurbeln.
Teurer als BER
Ein Flughafen muss sich also nicht rechnen. Krankenhäuser werden privatisiert, wenn sie rote Zahlen schreiben, aber für Calden plant man die Defizite einfach ein. Das Wall Street Journal hat ausgerechnet, dass Kassel-Calden sogar teurer ist als Schönefeld, wenn man die Investitionen mit den erwarteten Fluggästen ins Verhältnis setzt.
Denn teilt man die Kosten beider Flughäfen durch die Zahl der angepeilten Fluggäste für zehn Jahre, kostet in Berlin jeder Fluggast den Steuerzahler 14 Euro. In Kassel-Calden sind es pro Passagier 54 Euro. Und das wohlgemerkt, wenn die Passagierprognosen im Fall von Kassel-Calden stimmen.
Mehr Straßen, mehr Verkehr
Herr Minister, sie betreiben eine Verkehrspolitik wie ein Geisterfahrer. Sie schlagen allen Ernstes zur Verkehrsentlastung neue Straßen vor, statt sich mal Gedanken über eine Verkehrswende und eine Reduzierung von Verkehrsströmen zu machen. Die Erfahrung zeigt doch: Wer Straßen baut, wird noch mehr Verkehr ernten.
Und Artenvielfalt und Naturschutz sind keine Lächerlichkeiten, Herr Minister. Umweltschutz und Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht aufgeweicht werden, weil sie nervig für Investoren sind.
An ihrem Dialogforum im Internet, das Sie in der Presse groß angekündigt haben, haben sich bisher lediglich sechs Bürger beteiligt. Das ist kein Wunder, wer den Umgang der Landesregierung beispielsweise mit der Mediation erlebt hat, der weiß, dass Bürgerbeteiligung für die Landesregierung in erster Linie belästigend ist und höchstens als Feigenblatt taugt.
Fortbildung für die CDU
Herr Minister, sie haben am Wochenende in einem Interview gesagt, man merke der Union an, dass die Wirtschaftskompetenz gerade nach dem Weggang von Roland Koch und Friedrich Merz nicht mehr vorhanden sei. Das ist natürlich schon hart gegenüber dem Kollegen Arnold. So gesehen sind die Wirtschaftswochen ja auch eine Art Fortbildungsveranstaltung für die CDU.
Herr Minister, sie kennen die CDU besser als ich, und wenn für sie Roland Koch, dessen sogenannte Leuchttürme gerade einstürzen, die letzte Wirtschaftskompetenz der CDU war, dann sagt das schon eine Menge über das Unvermögen der CDU aus. Herr Rentsch, ihren eigenen Wirtschaftssachverstand haben sie im Stiftungsvorstand der EBS hinreichend unter Beweis gestellt.
Niedriglöhne in Hessen
Herr Minister, ihre Regierungserklärung ist eine einzige Lobhudelei auf die Landesregierung. Sie bejubeln sich sogar dafür, dass Hessen in der Mitte Deutschlands liegt. Und sie sagen, Hessen gehe es so gut wie nie zuvor. Da frage ich sie: Wer ist denn Hessen? Meinen sie die entlassene Verkäuferin bei Schlecker, die noch immer keinen neuen Arbeitsplatz gefunden hat? Meinen sie die wachsende Zahl von Niedriglöhnern in Hessen?
Sie behaupten, es sei den Menschen in Hessen nie so gut gegangen wie heute. Kein Wort darüber, dass selbst im reichen Hessen jedes fünfte Kind in Armut aufwächst. Die FDP kann den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung fälschen, die Realität ändert sie dadurch nicht.
Verfremdete Statistik
Sie freuen sich, dass die Erwerbslosenquote auf dem niedrigsten Stand seit 1992 ist, aber sie verschweigen, dass man die Statistiken von heute mit denen von 1992 überhaupt nicht vergleichen kann, denn viele Erwerbslose werden schlicht nicht mehr mitgerechnet.
Erwerbslose, die krank sind, einen Ein-Euro-Job haben oder an Weiterbildungen teilnehmen, werden nicht als arbeitslos gezählt. Erwerbslose, die älter als 58 sind, erscheinen nicht in der offiziellen Statistik. Wenn private Arbeitsvermittler tätig werden, zählt der von ihnen betreute Erwerbslose nicht mehr als erwerbslos, obwohl er keine Arbeit hat.
Mehr Erwerbslose
Zudem steigt die Zahl der Erwerbslosen in Hessen wieder leicht, wie die Regionaldirektion der Arbeitsagentur mitteilte. Das hat seine Ursache auch in den Pleiten von Firmen wie Schlecker, Neckermann und manroland, bei denen die Landesregierung untätig zusah.
Herr Minister, sie haben gesagt, Arbeit sichere den Wohlstand jedes Einzelnen. Schön wär’s, kann ich da nur sagen. Die Realität sieht leider anders aus. 300.000 Menschen arbeiten in Hessen im Niedriglohnsektor, das ist ein Fünftel aller Beschäftigten und das sind die Zahlen ihres Ministeriums.
Armut im Alter
Bei Frauen ist es bereits ein Drittel. Das sind Menschen, die Arbeit haben, aber davon nicht leben können, geschweige denn Wohlstand erreichen. Das sind Menschen, die im Alter in Armut leben werden, weil sie zu wenig in die Rentenkasse einbezahlt haben und sich private Vorsorge nicht leisten können.
Auch in Hessen sind die Minijobs auf dem Vormarsch: In einigen ländlichen Kreisen liegt der Anteil der 400-Euro-Jobber an der Gesamtzahl aller Beschäftigten zwischen 26 und 29 Prozent. Das sind alles Jobs, von denen man bei weitem nicht leben kann, es sind Zusatzeinkünfte, die bestenfalls das Haushaltsgeld aufbessern.
Befristete Stellen
Immer mehr Menschen haben es schwer, eine unbefristete Stelle zu finden. Sie leben in permanenter Unsicherheit und die befristeten Arbeitsverhältnisse werden zudem um ein Viertel geringer entlohnt als die unbefristeten.
Deshalb brauchen wir endlich einen gesetzlichen Mindestlohn, die Leiharbeit und der Missbrauch von Werkverträgen müssen verboten werden, Minijobs und Niedriglöhne müssen bekämpft werden
Menschen schaffen Reichtum
Der Ministerpräsident hat gerade gestern richtig festgestellt, dass die Wirtschaftskraft Hessens nicht naturgegeben sei, sondern von den Menschen tagtäglich erarbeitet werde. Dem kann ich völlig zustimmen. Werte werden nicht an den Börsen geschaffen.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schaffen tagtäglich den gesellschaftlichen Reichtum. Und deshalb müssen die Beschäftigten auch angemessen am Wirtschaftswachstum beteiligt werden. Ich würde mir wünschen, dass ein Wirtschaftsminister sich als Anwalt Beschäftigten versteht.
Landesregierung schweigt zu Stellenabbau
Wann immer Maßnahmen zur Regulierung der Banken vorgeschlagen werden, dann schreien sie auf und warnen vor Arbeitsplatzabbau am Finanzplatz Frankfurt. Aber wenn die Commerzbank ankündigt, 6.000 Arbeitsplätze abzubauen, dann hört man keinen Piep von dieser Landesregierung.
Wo war die Landesregierung als die Arbeitsplätze bei Neckermann wegfielen? Oder als die Beschäftigten von manroland vor der Staatskanzlei protestierten?
Wahlkampfkulisse für FDP
Jetzt, acht Monate vor der Landtagswahl, kündigt die Landesregierung die Wirtschaftswochen an, in denen sie in die Betriebe gehen will und sich vor Ort ein Bild machen. Schlimm genug, wenn Sie das extra betonen müssen.
Und ich wette, sie werden getreu Ihres Mottos »Stärken stärken« nur in Betriebe gehen, die als Kulisse für Ihren Wahlkampf dienen, wo es rund läuft, und wo sich der FDP-Wirtschaftsminister sich für anderer Leute Arbeit feiern lassen können. Da ist dann keine Rede mehr davon, dass der Staat sich raushalten soll.
Zeit zum Handeln verpasst
Sonst vertritt diese Landesregierung ja immer die Auffassung, der Staat solle sich aus dem Wirtschaftsgeschehen raushalten, und wenn es schlecht läuft, dann bleiben Sie ja auch meist bei dieser Linie, wie bei den jüngsten Firmenpleiten. Goethe hätte gesagt: »Die Zeit zum Handeln jedes Mal verpassen, nennt Ihr, die Dinge sich entwickeln lassen.«
Aber wenn es gut läuft, dann waren es natürlich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Landesregierung und ihre zukunftsweisenden Konzepte, weil sie sich besonders gut rausgehalten hat.
Stimmung eingetrübt
Nun freuen sie sich über die angeblich so rosige Wirtschaftslage in Hessen. Aber die Wirtschaft ist selbst gar nicht so begeistert. Der letzte IHK-Konjunkturbericht war überschrieben mit den Worten »Hessische Wirtschaft: Euro-Krise dämpft Erwartungen.«
Die Stimmung bei den Unternehmen habe sich »eingetrübt«, ist dort zu lesen. Zum ersten Mal seit 2009 liege der Anteil an Unternehmen, die von schlechteren Geschäften ausgehen, wieder über dem Anteil an Unternehmen, die von einer Verbesserung ausgehen.
Risiko Schwarz-Gelb
Und als größte Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung nennen 56 Prozent der Unternehmen die Inlandsnachfrage, 45 Prozent die Energiepreise und dann folgen mit 41 Prozent die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, für die sie sich gerade so gelobt haben.
Die IHK spricht sogar vom Risikofaktor Wirtschaftspolitik. Ich will also nur mal feststellen, dass die Bundes- und Landesregierung offenbar das drittgrößte Risiko aus Sicht der hessischen Unternehmen sind.
Dass sich die Unternehmen Sorge um die Binnennachfrage machen, ist logisch. Schwarz-Gelb verfolgt eine einseitige Exportorientierung und sie rühmen sich mit den hohen Exportüberschüssen in Hessen. Was sie nicht erwähnen, ist, dass es die Beschäftigten sind, die den Preis für die Gewinne der Exportwirtschaft zahlen durch sinkende Löhne.
Hochschulen überfüllt
Herr Minister, sie sprechen von einer hervorragenden Infrastruktur und nennen als Beispiel dafür die hessischen Hochschulen. Sie sollten vielleicht mal eine andere Hochschule als die EBS besuchen.
Die Hochschulen sind völlig überfüllt und platzen aus allen Nähten wegen des Andrangs der Studierenden. Gerade gestern haben die Universitätspräsidenten eine Pressekonferenz abgehalten, wo sie dargelegt haben, wie dramatisch die Situation ist, und dass die Mittel pro Student sinken. Die EBS mag zwar auch finanzielle Probleme haben, Herr Minister, aber das ist nicht dem Andrang von Studierenden geschuldet, im Gegenteil, da will ja niemand hin.
Die Schwachen fördern
Herr Wirtschaftsminister, nun besteht ja Anlass zur Hoffnung, dass ihre erste Regierungserklärung auch ihre letzte ist. Und deshalb will ich mal skizzieren, was ich mir wünschen würde, in einer Regierungserklärung eines hessischen Wirtschaftsministers oder einer Wirtschaftsministerin zu hören, vielleicht schon mal als Anregung für potentielle Bewerber.
Sie sagen, sie wollen die Stärken stärken. Ich würde gerne mal in einer Regierungserklärung hören, dass sich die Landesregierung auch über die Schwachen Gedanken macht und dafür kämpft, dass die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Ballungsgebieten und ländlichen Regionen nicht immer weiter auseinandergeht.
Wir brauchen eine Landesregierung, die die Energiewende endlich entschlossen vorantreibt und sich nicht als Lobbyist der Energiekonzerne versteht.
Gegen Privatisierung
Herr Minister, ich hätte mir ein klares Bekenntnis gegen die Privatisierung von Wasser und anderen öffentlichen Gütern gewünscht. Sie hätten dem Nestlé-Konzernchef öffentlich widersprechen können, wenn dieser behauptet, der Zugang zu Wasser sollte kein öffentliches Recht sein.
Ich wünsche mir einen Wirtschaftsminister, der die Schaffung von Wohnraum als Kernaufgabe des Staates ansieht. Hessen braucht endlich ein wirksames Tariftreue- und Vergabegesetz, damit Unternehmen, die Lohndumping betreiben und Umweltstandards unterlaufen, nicht noch mit öffentlichen Aufträgen belohnt werden.
Ich wünsche mir einen Verkehrsminister, der sich für die Beschäftigten im ÖPNV einsetzt und Lohndumping unterbindet, statt Wettbewerb auf deren Rücken zu fördern. Ich wünsche mir einen Wirtschaftsminister, der der systematischen Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben den Kampf ansagt.
Das wäre im Übrigen auch ein Beitrag zum Kampf gegen den befürchteten Fachkräftemangel, den sie gerne beklagen. Sie wollen stattdessen die verzweifelte Lage junger Spanier ausnutzen, um diese hier als Lohndrücker einzusetzen.
Fachkräfte ausbilden
Wenn sie mehr Fachkräfte wollen, müssen Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, statt Frauen durch das Betreuungsgeld und fehlende Kita-Plätze vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Wer Fachkräfte will, muss Fachkräfte ausbilden.
Ich wünsche mir einen Wirtschaftsminister, der sich einsetzt dafür, dass jeder junge Mensch einen Ausbildungsplatz bekommt und der gerade die großen Unternehmen dazu verpflichtet, sich dieser Verantwortung nicht zu entziehen. Und ich wünsche mir einen Wirtschaftsminister, der den Unternehmen auf die Finger schaut, dass sie gut ausbilden und den Jugendarbeitsschutz einhalten.
Konversion der Rüstungswirtschaft
Eine sinnvolle Wirtschaftsförderung wäre es, wenn das Land ein Programm zur Förderung von Belegschaftsübernahmen und Rekommunalisierungen auflegen würde. Das wäre ein Beitrag zur Demokratisierung der Wirtschaft.
Gerade in Hessen wäre ein Konversionsprogramm für die Rüstungswirtschaft ein sinnvoller Beitrag für Frieden und Abrüstung.
Menschen statt Profite
Meine Damen und Herren, wir leben in einem kranken Wirtschaftssystem, in dem Banken und Versicherungen mit Nahrungsmitteln spekulieren, während auf anderswo Menschen verhungern. Das gehört auch zur Verantwortung für den Finanzplatz Frankfurt.
Ich wünsche mir einen Wirtschaftsminister, für den Menschen wichtiger sind als Profite und die kapitalistischen Verwertungsinteressen von Fraport, Lufthansa, der Deutschen Bank oder E.on, der die Verfassung ernst nimmt, in der es heißt, die Wirtschaft solle dem Wohle des gesamten Volkes dienen.
(Rede vom 29.01.13)
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