Laut aktuellen Umfragen hat der rechtsradikale Front National Chancen, bei der Europawahl in Frankreich stärkste Partei zu werden. Die Ursachen sind Kürzungen der sozialdemokratischen Regierung und Rassismus von allen großen Parteien. Von Hans Krause
In einer Umfrage vom Oktober erreichte der Front National 24 Prozent, die konservative UMP 22, die sozialdemokratische PS 19, der liberale Mouvement Démocrate elf und die Linkspartei zehn Prozent. Laut derselben Umfrage haben 42 Prozent der Franzosen eine »gute Meinung« von der Front National-Vorsitzenden Marine Le Pen. Beim sozialdemokratischen Präsidenten Francois Hollande sind es nur 35 Prozent.
So beliebt waren die Rechtsradikalen noch nie. Bei den Wahlen des Jahres 2007 kamen sie nur auf rund vier Prozent. Im Jahr 2012 waren es bereits 14 Prozent. Aufgrund des französischen Wahlrechts ist die Partei trotzdem nur mit zwei Abgeordneten im Parlament vertreten. Eine davon ist Le Pens 23-jährige Nichte.
Enttäuschung über Sozialdemokratie
Warum wollen plötzlich so viele Menschen in Frankreich die radikale Rechte wählen? Ein Grund ist die große Enttäuschung der Menschen über die sozialdemokratische Regierung.
Hollande hatte bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr eine Kampagne mit vielen sozialen Versprechungen geführt und damit den Amtsinhaber Nicolas Sarkozy knapp geschlagen. Er ist der erste sozialdemokratische Präsident seit dem Jahr 1995. Dementsprechend löste sein Wahlsieg große Begeisterung und Hoffnung auf ein Ende der marktliberalen und kriegerischen Politik aus. Am Wahlabend feierten Zehntausende vor der sozialdemokratischen Parteizentrale, Autokorsos fuhren hupend durch die Großstädte.
Hohe Arbeitslosigkeit
Doch Hollande hätte seine Wahlversprechen kaum schneller und gründlicher brechen können. Die offizielle Arbeitslosenquote ist mit elf Prozent doppelt so hoch wie in Deutschland. Nach offiziellen Angaben haben von den jungen Menschen 26 Prozent keine Arbeit.
Doch statt Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst zu schaffen, wie im Wahlkampf versprochen, erhöht Hollande die Mehrwertsteuer ab Januar auf zwanzig Prozent und die Mindestbeitragszeit für den Erhalt der vollen Rente auf 43 Jahre. Dies ist wegen der hohen Arbeitslosigkeit jedoch für kaum jemanden zu erreichen.
Opposition von links
Die französische Linkspartei Parti de Gauche macht Opposition von links und ruft am 1. Dezember zu einer landesweiten Demonstration »Für die Steuerrevolution« auf – zentrale Forderung ist eine höhere Besteuerung von Konzernen und Reichen.
Doch wesentlicher Profiteur der sozialdemokratischen Politik ist der Front National. Er führt gegen Hollande eine rechte Kampagne, welche die unverantwortlichen Kürzungen in Krankenhäusern und die enge Bindung der Politiker an »die Kapitalisten« verurteilt. Als Schuldige werden meist Konzerne, Millionäre und Ausländer in einem Satz genannt. Im Anschluss daran fordert die Partei den Ausstieg aus dem Euro, »um Frankreich wieder aufzurichten«.
Hetze des Front National
Diese Parolen kommen bei manchen Französinnen und Franzosen auch deshalb so gut an, weil Hollande seinen Sozialabbau mit der Schuldengrenze der Staaten des Euroraumes rechtfertigt. Er behauptet, der Abbau der Schulden könne nur durch Kürzungen erreicht werden. Noch vor einem Jahr hatte Hollande im Wahlkampf jedoch angekündigt, stattdessen Steuern für Banken, Konzerne und Millionäre zu erhöhen.
Auch die Hetze des Front National gegen Ausländer wird immer beliebter, weil die etablierten Parteien sich daran teilweise beteiligen. So wird die UMP im Dezember einen Gesetzesentwurf einbringen, der das jetzige Recht aufheben soll, wonach in Frankreich geborene Kinder von Migranten mit dem Erreichen der Volljährigkeit automatisch die französische Staatsbürgerschaft erhalten. Dieses Geburtsortprinzip durch das Abstammungsprinzip zu ersetzen, ist eine uralte Parole des Front National.
Bewegung gegen Abschiebung
Während die UMP rassistische Politik fordert, setzen die Sozialdemokraten sie an der Regierung um. Letzten Monat gingen tausende Schüler auf die Straße, weil die 15-jährige Roma Leonarda Dibrani während eines Schulausflugs von der Polizei verhaftet und in den Kosovo abgeschoben wurde. Sie kann dort nicht zur Schule gehen und spricht auch nicht die Amtssprache Albanisch.
Innenminister Manuel Valls erklärte die Abschiebung ausdrücklich für richtig und begründete dies mit rassistischen Vorurteilen: »Nur wenige Roma-Familien sind bereit, sich in Frankreich zu integrieren. Die meisten müssen zurückgeschickt werden«, so Valls.
Die Linkspartei versucht zu kontern: Sie missbilligt die Abschiebungen der Regierung und hat Demonstrationen dagegen mitorganisiert.
Gegen Verschleierung
Doch nicht in allen Punkten kann die französische Linke Paroli bieten: Als das Parlament im Jahr 2010 beschloss, Frauen zu verbieten, auf der Straße den islamischen Ganzkörperschleier zu tragen, enthielten sich die meisten Abgeordneten der Linkspartei, statt dagegen zu stimmen. Ihre Begründung lautete, dass religiöse Überzeugungen nicht in der Öffentlichkeit gezeigt werden sollten. Tatsächlich verbietet das Gesetz aber nicht grundsätzlich religiöse Symbole wie das christliche Kreuz, sondern ausschließlich die islamische Verschleierung – meist von Frauen getragen, die aus dem Ausland stammen.
Laut französischem Innenministerium hat die Polizei seitdem 661 Geldstrafen gegen muslimische Frauen wegen Verschleierung verhängt. Erst im Juli dieses Jahres hatten Polizisten in Trappes eine Frau auf der Straße angeschrien, bedroht und nach einer Rangelei verhaftet, weil sie verschleiert war.
Gefahr von rechts
Der Aufstieg des Front National zeigt, welche Gefahren von rechts drohen, wenn Regierungen die europäische Wirtschaftskrise auf Kosten der Menschen bewältigen wollen. Werden dazu noch Migrantinnen und Migranten diskriminiert und abgeschoben, können rechtsradikale Parteien damit Erfolg haben, Ausländer für die Armut der Menschen verantwortlich zu machen.
Linke dürfen nicht für eine vermeintlich fortschrittliche »europäische Idee« eintreten, die den Menschen in Europa in Wirklichkeit nur Sozialabbau bringt. Ebenso wenig sollten sie eine Politik gegen Muslime unterstützen, die sich nur vorgeblich allgemein gegen Religion richtet. Beides kann den Rechten eine Chance bieten, sich als angebliche Rebellen gegen die etablierte Politik darzustellen, wie es der Front National geschafft hat.
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