Seit dem Sommer streikten Beschäftigte des Sparkassen-Callcenter »S-Direkt« in Halle für einen Tarifvertrag – mit großem Erfolg! Am 2. November, nach 117 Streiktagen, musste die Geschäftsführung unterzeichnen. marx21 sprach mit Iris Kießler-Müller, Vorsitzende der ver.di-Betriebsgruppe
marx21.de: Nach 117 Tagen Streik habt ihr es geschafft, in der S-Direkt einen Tarifvertrag durchzusetzen. Was bedeutet das für euch? Habt ihr bis zum Ende an den Erfolg geglaubt?
Iris Kießler-Müller: Es ist natürlich eine sehr lange Zeit, 117 Tage, keiner von uns hat erwartet, dass es so lange dauern würde, einen Tarifvertrag zu erstreiken. Für uns bedeutet der Abschluss sehr viel. Wir haben etwas erreicht, was uns keiner zugetraut hätte. Alle dachten anfangs, lass die Spinner mal machen, da passiert eh nichts, denn die Geschäftsleitung und der Aufsichtsrat sitzen das aus.
Aber keiner hat mit unserem starken Willen gerechnet. Von Woche zu Woche sind wir zusammen gewachsen, es entstand eine starke Kommunikation unter den Streikenden. Jeder unterstützte den Anderen, wenn Zweifel aufkamen. Von den 250 Streikenden sind in den 4 Monaten 2 Kollegen an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt, weil sie den riesigen Druck nicht gewachsen waren. Nein, keiner hat an ein Scheitern des Streikes geglaubt, alle waren sich die ganze Zeit einig, ohne Tarifvertrag gehen wir nicht wieder arbeiten.
Welche eurer Forderungen habt ihr durchgesetzt? Gibt es Wermutstropfen?
Die meisten Forderungen haben wir durchsetzen können. Alle werden ab 1.12.2012 mehr Lohn erhalten. Ein gemeinsames 13. Monatsgehalt leider nicht. Der Urlaub ist von 25 auf 27 bzw. für ver.di-Mitglieder auf 28 Tage gestiegen, das nenne ich Erfolg. Die 5-Tage-Woche soll eingeführt werden, allerdings sehe ich da für den Arbeitgeber zu viele Schlupflöcher im Tarifvertrag, das wird ein hartes Stück Arbeit. Die eigentliche Lohnanpassung kommt dann zum 1.1.2014. Alles in allem ein Erfolg, denn jetzt haben wir einen Tarifvertrag, auf dem wir auch aufbauen werden. Ein Grundstein, wenn man so sagen will.
Worin siehst du rückblickend das Erfolgsrezept für euren Streik?
Aus Wut, Empörung, teilweise Hass haben wir einen starken Willen geformt, etwas zu verändern, das hat die Leute zusammengeschweißt. Im Vorfeld des Streikes: die ständige Kommunikation untereinander. Wichtig sind eine starke Betriebsgruppe, ein starker Betriebsrat und ver.di, die einen unterstützen.
Unser Erfolg war auch die ständige Präsenz, ob täglich im Streikzelt, bei Flashmobs, Demos, unsere vielen Fahrten innerhalb Deutschlands – Strike on tour – je mehr wir gemeinsam unternahmen, umso stärker wurden wir.
Wie hat der Streik die Belegschaft verändert und wie steht jetzt eure Gewerkschaftsgruppe da?
Die Streikenden haben Rückgrat bekommen und Wissen. Die, die weiter gearbeitet haben, sind verunsichert. Es wird interessant zu sehen sein, wie sich das entwickeln wird. Das Gemeinschaftsgefühl ist bei den Streikenden sehr ausgeprägt. Jeder kann zu jedem kommen, egal in welcher Abteilung er arbeitet. Die Angst ist weg.
Unsere Gewerkschaftstruppe muss weiter von innen heraus agieren und leben. Dieses Prinzip hatten wir schon vor dem Streik gelebt, denn wir sind ver.di… Jetzt müssen wir uns neu formieren, es wird Veränderungen geben, aber ich bin da sehr zuversichtlich. Gewerkschaftsarbeit ist harte Arbeit und da braucht man ein gutes Team.
Meinst du, eurer Kampf kann richtungsweisend für die Callcenterbranche sein? Bisher gibt es dort kaum Tarifverträge und die Kolleginnen und Kollegen wenig gewerkschaftlich organisiert?
Alles hat irgendwo einen Anfang, wir haben den in unserer Branche gemacht. Ich bin davon überzeugt, das es noch mehr Callcenter in Deutschland gibt, die auch einen Mindestlohn haben wollen. Wir stehen mit unseren Erfahrungen zur Verfügung. Ein Kollege sagte mir zu Beginn unseres Streikes, wir krempeln ein Unternehmen um, Wochen später sagte er mir, wir verändern eine ganze Branche, und genau so ist es. Man muss sich organisieren und miteinander reden, das ist der Anfang.
Mehr im Internet:
- ver.di-TV: S-Direkt – Das Finale
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