Der Castor rollt – der Protest auch. Wer wissen will, wie saubere Energie produziert werden kann, darf Schwarz-Gelb nicht fragen. marx21 hat sich deshalb lieber mit Wolfgang Ehmke und Tadzio Müller unterhalten
marx21: Mit den jetzigen Protesten gegen den Castortransport will die Anti-Atombewegung weiter Druck für einen Atomausstieg machen. Was hat sie bisher erreicht?
Wolfgang Ehmke: Das Thema Energiepolitik und Atomausstieg ist seit fast zwei Jahren eines der beherrschenden bundespolitischen Themen. Ohne uns, Umweltverbände und Anti-AKW-Gruppen, wäre es nur ein Randthema. Wir wissen, dass der »Atomkompromiss«, der unter Rot-Grün mit den Oligopolen von RWE, Eon, EnBW und Vattenfall ausgehandelt wurde, keinen Biss hatte. Stillgelegt wurden seit dem Jahr 2000 die Atomkraftwerke Stade und Obrigheim, zum Teil sogar aus betriebswirtschaftlichen Gründen, weil die Ertüchtigung der Meiler zu teuer geworden wäre.
Jetzt stehen aber einige »Brocken« an, denn ob die Nachrüstung der Reaktoren aus den siebziger Jahren – dazu gehören die Siedewasserreaktoren Brunsbüttel, Isar 1, Philippsburg und Krümmel sowie die Druckwasserreaktoren Biblis A und B, Neckarwestheim 1 und Unterweser – sich rechnet, ist mehr als zweifelhaft. Kritiker wagen die Prognose: Der Atomausstieg wird unter Schwarz-Gelb eher Fahrt aufnehmen, so wie die Proteste gegen den blanken Lobbyismus schon lange in Gang gekommen sind.
Tadzio Müller: Die Anti-Atom-Bewegung ist in Deutschland eine der ganz zentralen »Schulen« des politischen Aktivismus. Vor allem wenn es um zivilen Ungehorsam, Formen der Massenmilitanz, des kollektiven Regelbruchs geht, ist eine ganz wichtige Erfahrung die Radikalisierung über die Proteste gegen die Atomkraft und vor allem gegen den Castor. Ohne Anti-Atom-Bewegung und Castor-Widerstand hätte es, meiner Meinung nach, kein »Block G 8« und keine erfolgreiche Blockade gegen den Naziaufmarsch in Dresden dieses Jahr gegeben. Außerdem würde es im Oktober keine Bankenblockade geben.
Jenseits der konkreten politischen Inhalte ist die Anti-Atom-Bewegung also ein zentraler Ort gesellschaftlicher Emanzipation und des Lernens eines anderen Lebens. Vor allem auch, weil dort die normalerweise isolierten Protestspektren und -subkulturen tatsächlich mit lokal kämpfenden Bevölkerungen in enger Verbindung stehen. Es handelt sich eben nicht nur um eine Protestszene, sondern um eine im Alltagsverstand weiter Bevölkerungsteile tief verwurzelte gesellschaftliche Kraft.
Seit den Castor-Transporten Ende 2008 gibt es ein Revival der Anti-Atom-Bewegung. Bisheriger Höhepunkt war die Menschenkette mit 150.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in diesem April. Dennoch will Schwarz-Gelb die AKW-Laufzeiten verlängern. Was tun?
Wolfgang Ehmke: Die politische Klasse versteht nur eine Botschaft: die der Straße. Ginge es um gute Argumente gegen die Atomkraft, hätten wir den Kampf längst gewonnen.
Tadzio Müller: Ich stimme Wolfgang zu: Druck auf der Straße aufbauen – ungehorsam, entschlossen, massenhaft. Ich möchte aber im Gegensatz zu ihm noch weitergehen. Denn dieses Jahr gibt es eine sehr spannende Entwicklung im Wendland, nämlich den Versuch, eine Aktionsform, die traditionell eher im autonomen Spektrum zu Hause war – das »Schottern«, also das aktive Unterhöhlen der Gleise – in einer offenen Kampagne anzukündigen und dafür mit Aktionstrainings und Veranstaltungen zu mobilisieren. Erfahrungen mit Bündnisarbeit und Massenmilitanz, die bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm und gegen die Nazis in Dresden gemacht wurden, werden auf den Castor zurückübertragen und zugleich weitergedacht.
Ein zweiter Punkt noch: Angesichts der Tatsache, dass ein großer Teil des politischen Rückenwindes für die Atomindustrie sozusagen aus der Klimadebatte weht (Stichwort: Atomkraft als »Klimaretter«), ist es meiner Meinung nach wichtig für die Anti-Atom-Bewegung, sich aktiv in die weitere energiepolitische Debatte einzubringen und beispielsweise die junge Klimabewegung einzubinden, ebenso die Gewerkschaften, die gerade – wie zum Beispiel die IG Metall – den Erneuerbare-Energien-Sektor organisieren. Nur wenn wir als Bewegungen auch breit in die Energiedebatte eingreifen, können wir in allen Sektoren punkten.
Union und FDP erwägen eine Brennelementesteuer. Damit sollen marode Atommülllager saniert werden. Löst das die Probleme?
Wolfgang Ehmke: Die heiß umkämpfte Brennelementesteuer würde nur eines von vielen Steuerprivilegien der Atomstromer berühren. Es ist richtig, die Steuervorteile aufzuheben, man denke nur an die Mineralölsteuer oder die Kohlendioxid-Zertifikate der Kohle- und Gasverstromer. Aber das größte Steuerprivileg, die rund 29 Milliarden Euro, die die vier großen Energiekonzerne für den Rückbau von Atomanlagen und die nukleare Entsorgung steuerfrei angehäuft haben, das wird nicht einmal erwähnt: Das Geld gehört in einen öffentlich-rechtlichen Fonds. Die Idee, dass die Konzerne neben der Brennelementesteuer einen freiwilligen Beitrag zur Investition in die regenerativen Energien leisten, ist angesichts des lukrativen Marktes auf diesem Feld ja wohl ein Witz.
Der von der ehemaligen rot-grünen Regierung beschlossene Atomausstieg hat bisher nicht zum Abschalten von AKWs geführt und wird von Schwarz-Gelb und Energiekonzernen infrage gestellt. Was ist schief gelaufen?
Wolfgang Ehmke: Der entscheidende Punkt war, dass die Übertragbarkeit der Stromkontingente von alten auf neue, aber auch von neuen auf alte Atomkraftwerke als Kern des »Atomkompromisses« verabredet wurde. Mit dieser Flexibilität ausgestattet, jonglieren die Konzerne und retten sich über Legislaturperioden hinweg. Es gibt eine erkennbare Grenze: Die Ertüchtigung einiger älterer AKW kommt zu teuer, und in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Atomkraft haben sich einige unserer Argumente durchgesetzt: Sicherheit steht gegen Profitinteressen der AKW-Betreiber, die Atommüllendlagerung wird verbunden mit dem Absaufen des Atommülllagers Asse II und der Instabilität des Lagers in Morsleben. Klar wird: Hier halten sich die Konzerne schadlos. Die geschätzten Kosten für die »Sanierung« der beiden havarierten Endlager liegen bei über fünf Milliarden Euro.
Außerdem ist klar, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien durch die Atomkraft und die Kohlekraftwerke blockiert wird. Intelligente Lösungen für die Speicherung und Netze sind vorhanden, aber die Investitionen werden genau von denselben Konzernen aufgrund ihres Profitstrebens gescheut. Jetzt geht es aber voran, Atomkraft gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Wäre da nicht weltweit die Tendenz, dass Schwellenländer mit staatlicher Unterstützung nukleare Teilhabe anstrebten.
Tadzio Müller: Abgesehen von den konkreten Inhalten, die Wolfgang beschrieben hat: Es ging dort um die alten Fragen der Beziehung von Bewegung und Partei, und der Institutionalisierung der Gewinne von Bewegungen. In dem Moment, als die rot-grüne Regierung an die Macht kam, sank der Druck der Bewegungen. Das ist natürlich oft so, weil die Struktur von Bewegungen und das Formulieren von Politikdetails sich oft nicht so gut vertragen. Aber das führt dann eben dazu, dass die Details in Hinterzimmern von der Lobby formuliert werden. Daher auch der alte Punkt, dass vermeintlich »progressive« Regierungen oft mehr Mist durchsetzen können als konservative – Letzteren schauen wir mehr auf die Finger.
Nicht nur wegen längerer AKW-Laufzeiten wird über die künftige Form der Energieversorgung diskutiert, sondern auch wegen der Klimaerwärmung durch den Einsatz fossiler Energien. Welche Alternativen zu Kernenergie und fossilen Energieträgern gibt es? Kann man überhaupt gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen?
Tadzio Müller: Ich mache es mir mal einfach und zitiere aus der Pressemitteilung des Sachverständigenrats der Bundesregierung für Umweltfragen (SRU), der ja nicht des »Ökoradikalismus« verdächtig ist: »Deutschland kann im Jahr 2050 zu hundert Prozent klimaschonend mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt werden.« Und weiter: »Die Bundesregierung muss jetzt die Weichen für den Umbau des Energiesystems stellen.« – »Für die Übergangszeit sind weder Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke noch neue Kohlekraftwerke erforderlich. Die Brücke zu den erneuerbaren Energien steht bereits«.
Mit verschiedenen Szenarien zeigt der SRU, dass eine vollständig erneuerbare Stromversorgung bis 2050 zu wettbewerbsfähigen Kosten möglich ist. Dabei ist Versorgungssicherheit zu jeder Stunde des Jahres gewährleistet.
Deutlicher geht’s wohl kaum. Und das Umweltbundesamt kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Der SRU sowie das Umweltbundesamt machen ganz klar, dass wir die Entscheidungen in den kommenden Jahren treffen müssen. Wenn schon der SRU die Systemfrage stellt, sollten wir als Bewegung doch kaum dahinter zurückbleiben!
(Die Fragen stellte Frank Eßers)