Vom 8. bis 10. Oktober findet in Hamburg der »Internationale Antirepressionskongress« statt. marx21 sprach mit Christian Stache, Mitorganisator des Kongresses, über die Hintergründe und das Programm.
marx21: Christian, du gehörst zu den Organisatoren des Internationalen Antirepressionskongress 2010 in Hamburg. Warum macht ihr einen Kongress zu diesem Thema?
Christian Stache: Insgesamt nimmt die staatliche Repression gegen abweichende politische Positionen zu. Das brutale Vorgehen der Polizei bei den Protesten gegen das Großprojekt Stuttgart 21 ist ein gutes Beispiel, das zeigt, wie aktuell das Thema ist. Können die Herrschenden ihre Interessen nicht im Konsens durchsetzen, folgt der Griff zur Gewalt: Knüppel, Tränengas und Wasserwerfer. Der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht und uns veranlasst hat, den Kongress auf den Weg zu bringen, war die Kriminalisierung von Tierrechts- und Tierbefreiungsaktivisten und ihrer Kampagnenarbeit in Österreich seit Mai 2008. Dreizehn von ihnen stehen nun seit März dieses Jahres im größten politischen Prozess der Alpenrepublik in der Nachkriegszeit vor Gericht. Erwiesenermaßen hatten sich Unternehmensfunktionäre mit Vertretern des österreichischen Bundesinnenministeriums beraten, kurz bevor die Repressionswelle einsetzte, die vom Sicherheitsapparat der EU unterstützt worden ist.
Diese beiden Fälle staatlicher Repression gegen politische Dissidenten sind für uns exemplarisch für die Totalisierung der staatlichen Sicherheitspolitik und der kapitalistischen Ökonomie in der westlichen Welt. Die Herrschenden versuchen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989/90 einerseits, ihre Macht- und Kontrollbefugnisse auszuweiten, indem sie bürgerliche Grundrechte wie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit erheblich einschränken, Präventivmaßnahmen ergreifen oder Bundeswehreinsätze im Inneren ermöglichen. Andererseits wollen sie die infolge verschärfter globaler Konkurrenz zusehends für Störungen anfällige kapitalistische Ökonomie »vernetzten Sicherheit«, die alle Politik unter das Primat der Sicherheit stellt, vor Verlusten schützen bzw. ihre Profite sichern. Nichts anderes geschieht gerade in Afghanistan, wo unter anderem deutsche Soldaten die Lizenz zum Töten offiziell erhalten haben. Diese Repression nach außen geht Hand in Hand mit der Repression nach innen und ist keineswegs nur defensiv. Die Kriege des neuen Imperialismus sind vielleicht sogar die brutalste Form der offenen Gewalt, die heute zur Erhaltung und Durchsetzung globaler Klassenherrschaft eingesetzt wird. Die Fragen, denen wir uns beim Kongress widmen wollen, sind keineswegs nur Konsensthemen. Sabine Schiffer wird z.B. darstellen, wie Islamophobie als Mittel der Kriegspropaganda funktioniert. Wir sollten nicht den Fehler machen anzunehmen, dass Kontroversen um Islamophobie, wie sie z.B. zur Kriegsvorbereitung gegen den Iran benutzt wird, und neokonservative bellizistische Ideologien in »der Linken« keine Rolle spielen.
Die Analyse und Kritik von Repression, wie sie der Kongress leisten soll und wie wir sie uns vorstellen, erschöpft sich nicht in der kollektiven Bearbeitung zahlloser Fälle, in denen die Polizei ermittelt. Wir wollen ergründen, wie sich die gesellschaftliche Totalität in den letzten 20 Jahren verändert hat und ob wir evtl. schon im globalen »Ausnahmezustand«, wie Giorgio Agamben den modernen Faschismus nennt, angekommen sind.
Was erwartet die Besucher auf dem Kongress? Welche Referenten werden kommen?
Wir haben für den Kongress eine Reihe Referenten gewinnen können, darunter kritische Wissenschaftler, Medienschaffende, Aktivisten, Künstler und praktizierende Juristen. Sie kommen aus den USA, Israel, Österreich, England, der Schweiz und der Bundesrepublik. Zusätzlich sind wir auch von anderen unterstützt worden, die nicht persönlich anwesend sein können. Noam Chomsky hat z.B. eine Grußbotschaft für den Kongress aufgenommen.
Die Teilnehmer des Kongresses erwartet von Freitag (8.10.) bis Sonntag (10.10.) ein vielfältiges Programm. Am ersten Abend werden die beiden emeritierten Professoren Wolfgang Fritz Haug und Georg Fülberth mit Dr. Jürgen Wagner und dem Antifaschist Rolf Becker im Rahmen einer Podiumsdiskussion die Fragen erörtern, ob es einen neuen modernen Faschismus gibt. Und wenn ja, wie dieser aussieht und inwiefern die aktuelle Faschismusforschung ihrem Gegenstand gerecht wird. Jürgen Reents, Chefredakteur der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland, wird die Debatte moderieren. Am Samstagabend hält der israelische Historiker Moshe Zuckermann einem Vortrag zum Leben und Werk Rosa Luxemburgs. Er wird seine Gedanken zur Repression im Zivilisationsprozess darlegen und über das Opfer sprechen, das Oppositionelle im Kampf gegen die Repression erbringen müssen.
Neben diesen theoretischen Veranstaltungen wird es zwei Seminare geben, die konkrete Probleme repressiver Politik aufgreifen. Der Friedensforscher Tobias Pflüger wird über den Zusammenhang von Repression und kapitalistischer Ökonomie in der Europäischen Union sprechen. Will Potter, Journalist aus den USA, berichtet über die antiökologische Hysterie in den USA, in deren Gefolge ökologische Bewegungen zum Staatsfeind Nummer 1 innerhalb der eigenen Grenzen avancierten.
Der Großteil der Veranstaltungen ist so angelegt, dass es immer viel Zeit für Diskussionen gibt. Zusätzlich bietet der Kongress mit Infoständen, veganem Essen und einem Rahmenprogramm am Samstagabend den Besuchern auch die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich zu vernetzen. Daher sind auch alle herzlich eingeladen, die nur an ausgewählten Programmpunkten interessiert sind, zum Kongressort an der Universität Hamburg zu kommen.
Was kann man tun, um den Kongress zu unterstützen?
Man kann einiges tun, um den Kongress zu unterstützen. Zum Beispiel kann man unsere Werbemails in seinem Bekanntenkreis weiterleiten, man kann unsere Kongressseite verlinken, das Kongressbanner auf die eigenen Internetseite stellen usw. Natürlich ist jedes Organisationsteam wie unsere Hochschulgruppe auf Hilfe vor Ort angewiesen. Wenn man also während des Kongresses einmal eine oder zwei Stunde Zeit hat, kann man sich auch gerne bei uns melden und uns unter die Arme greifen.
Die wichtigste Unterstützung ist aber die politische, die weit über den zeitlichen Rahmen des Kongress hinausweist. Wir wollen eine Abkehr von der Atomisierung, der Vereinzelung politischer Arbeit in lauter kulturkritische Ein-Punkt-Bewegungen, die sich vorrangig mit sich selbst und ihren subkulturellen Umfeldern befassen. Die Umwandlung und der Verfall emanzipatorischer Bewegungen zu affirmativen Kräften – wenn etwa Kriege für die »Befreiung« der Frauen legitimiert werden oder die Kritik des Antisemitismus zur Rechtfertigung für Antikommunismus verkommt – haben uns in der theoretischen Erkenntnis bestärkt, dass das Gemeinsame, das den Herrschenden die Integration der Opposition nicht erlaubt, unsere Ablehnung der kapitalistischen Produktionsweise ist. Die »globale Proletarisierung« (Roth) erfordert von uns, wie die US-afroamerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis sagte, »new roads of international solidarity« zu entwickeln. Die größte Unterstützung für uns und unseren Kongress bestünde darin, diese Wege in den nächsten Jahren mit uns gemeinsam zu erkunden.
Mehr Informationen im Internet:
- Kongressseite: www.antirepkongresshh2010.tk
Zur Person:
Christian Stache ist Mitglied des Wissenschaftlichen Hochschulzusammenschlusses zur Erforschung des Mensch-Natur-Verhältnisses an der Universität Hamburg und einer der Organisatoren des Internationalen Antirepressionskongress 2010 »New Roads of Solidarity« in Hamburg vom 8.-10. Oktober 2010.