Der syrische Diktator Baschar al-Assad hat von Wladimir Putin gelernt. Im Kampf gegen die Sezessionsbewegung in Tschetschenien war der russische Präsident vor einigen Jahren bereit, das Land zu zerstören. Wir erinnern uns: Seine Armee hat die Provinzhauptstadt Grosny mit ihren 250.000 Einwohnern dem Erdboden gleichgemacht.
Wer jetzt durch syrische Städte fährt, aus denen sich die syrische Armee zurückziehen musste, wird sich an die Bilder von Grosny erinnert fühlen: Ganze Viertel ohne ein intaktes Haus, Straßenzüge vollständig zerstört. Und um gleich jedes Missverständnis auszuräumen: Das ist nicht das Werk von »aufständischen Terroristen«, wie das syrische Staatsfernsehen behauptet. Es ist unverkennbar das Werk einer massiven Bombardierung mit Waffen, über die nur Assads Armee verfügt.
Wahlloses Töten, die Taktik der verbrannten Erde, Kollektivstrafe für die Bevölkerung, Massenmord – das sind die klassischen Mittel der Aufstandsbekämpfung, wenn sich herausstellt, dass die Unterstützung für die Aufständischen in der Bevölkerung ein »normales«, »polizeiliches« Vorgehen nicht mehr zulässt. Meistens sind es Besatzungsarmeen, die so vorgehen. Aber es gibt zwei Gründe, warum in diesem Fall ein einheimischer Herrscher diese Mittel anwendet, um sich an sein Amt zu klammern.
Warum Assad so hart gegen seine Bevölkerung vorgeht
Erstens ist die syrische Bevölkerung tief gespalten. Die Mehrheit unterstützt zwar den Aufstand, aber es gibt immer noch signifikante Teile, die hinter Assad stehen und sein Vorgehen gutheißen. Das ist hauptsächlich deshalb der Fall, weil es dem Regime gelungen ist, Angst vor ethnischen Konflikten nach einem Sieg der Rebellen zu schüren. Hinzu kommt, dass ein Teil der Mittelschicht um seine sozialen Privilegien fürchtet. Auf der anderen Seite ist es den Aufständischen politisch nicht gelungen, die Unterstützung für Assad derart erodieren zu lassen, dass das Regime nicht mehr handlungsfähig wäre.
Zweitens erhält das Regime massive Unterstützung aus dem Ausland. Der syrischen Armee wäre längst die Munition ausgegangen ohne den ständigen Nachschub aus Russland. Putin liefert, was immer gebraucht wird – für den Herrscher in Moskau zählt nur der Zugang zum Mittelmeer, den er über die syrische Hafenstadt Tartus erhält. Schon in Tschetschenien hatte er gezeigt, dass er bereit ist, für strategische Interessen hunderttausende Menschen zu opfern. Damals ging es um die Kontrolle über die Ölpipeline von Baku nach Westen.
Aber auch unter den westlichen Eliten ist die Kritik an Assads Methoden leiser geworden. Selbst dem letzten Geheimdienstchef ist mittlerweile klargeworden, dass ein von den Rebellen ausgehender »Regime Change« nicht zu einem pro-westlichen Marionettenregime führen würde. Zu stark sind die demokratischen Organe der Revolution, die lokalen Koordinierungskomitees. Zu stark ist die Abneigung gegen die westliche Politik in der Region, gegen die Unterstützung Israels, gegen die Invasion im Irak, gegen die Tradition, sich genehme Diktatoren zu halten. Jede demokratische Regierung in Syrien wird pro-palästinensisch und anti-imperialistisch sein.
Ein erfolgreicher Aufstand in Syrien würde anderen Bewegungen neuen Mut geben
Außerdem könnte ein Sieg des Aufstandes in Syrien allen Unzufriedenen in Katar, in Saudi-Arabien oder im Jemen Mut geben, es noch einmal selbst zu versuchen. Würde die Revolution jedoch gewaltsam erstickt, dann würde sich die Resignation wie ein bleierner Teppich über die ganze Region legen. Die Nachricht an alle anderen wäre: Wenn ihr es auch versucht, wird es euch nicht anders ergehen. Ihr werdet massakriert und eure Städte werden zerstört. Die Waffen dafür hat der Westen, allen voran die Bundesregierung, bereits an die entsprechenden Staaten geliefert.
Das bedeutet keineswegs, dass die westlichen Regierungen zu glühenden Assad-Fans geworden sind. Sie hätten lieber einen Herrscher in Syrien, der nicht so eng mit Russland und dem Iran zusammenarbeitet. Aber internationale Politik ist kein Wunschkonzert. Daher lautet ihre Schlussfolgerung: Lieber zusehen, wie Assad die Revolution in Blut ertränkt, das Land zerstört und Syrien als politischer Faktor in der Region verschwindet, als eine erfolgreiche Revolution zuzulassen. Wie sagte der US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger bereits in den 1980er Jahren über den irakisch-iranischen Krieg? »Wir wünschen uns, dass beide Seiten verlieren.« Konsequenterweise lieferte Washington damals Waffen an beide Seiten. Auch heute sieht es so aus, als ob der Westen bereit sei, das militärische Patt zwischen der Armee und den Rebellen aufrechtzuerhalten. Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte, Präsident Obama könne gut mit einem langen Bürgerkrieg in Syrien leben. Bisher haben die Aufständischen jedenfalls keine Waffen erhalten, mit deren Hilfe sie dem schweren Kampfgerät der Armee etwas entgegensetzen könnten.
Unterstütztung für Assad von der libanesischen Hisbollah
Seit Kurzem greift auch die libanesische Miliz Hisbollah offen in den syrischen Bürgerkrieg ein und unterstützt Diktator Assad. Das hat die EU umgehend zum Vorwand genommen, sie auf die Terrorliste zu setzen. Assad hingegen nimmt die Unterstützung durch Hisbollah gerne an, verleiht sie ihm doch den Anschein des Antiimperialisten. Denn anders als seine Baath-Partei hat die libanesische Miliz in den vergangenen Jahren ernsthaft gegen Israel gekämpft.
Doch das Baath-Regime war nicht immer mit der Hisbollah befreundet, die als Abspaltung der pro-syrischen Amal entstand. Damals wurde sie vom Iran unterstützt, unter anderem, um ein Gegengewicht zum syrischen Einfluss im Libanon zu bilden. Die von Syrien aufgerüsteten Amal-Milizen bekämpften Mitte der 1980er Jahre die palästinensische Befreiungsorganisation PLO und töteten tausende Palästinenser in den libanesischen Flüchtlingslagern. Die Hisbollah hingegen unterstützte die PLO bei ihrer Verteidigung gegen die Amal-Milizen. Als letztere den Bürgerkrieg im Libanon zu verlieren drohten, marschierte die syrische Armee 1988 ein und erzwang, in enger Abstimmung mit den USA und Israel, einen instabilen Kompromiss.
Die Herrscher in Damaskus änderten ihre Haltung zur Hisbollah erst im Zuge einer Annäherung an den Iran. Aber auch der Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung im Westjordanland und im Gazastreifen in den späten 1980er Jahren, die erste Intifada, spielte eine Rolle, da mit ihr die verbale Unterstützung der Palästinenser opportun wurde. Volle Unterstützung erhielt die Hisbollah aus Damaskus aber erst, als die syrische Armee nach der Affäre um die Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri im Jahr 2006 gezwungen wurde, aus dem Libanon abzuziehen. Die Hisbollah hatte sich da bereits zum Sprachrohr der verarmten Mehrheit entwickelt und durch militärische Erfolge gegen die israelische Besatzung Südlibanons als wichtigste politische Kraft etabliert.
Nationale Befreiungsbewegungen bleiben politisch beschränkt
So sehr Sozialisten in aller Welt, nicht zuletzt auch im Libanon, die Errungenschaften der Hisbollah bei der Verteidigung der PLO und im Kampf gegen die israelische Besatzung würdigen, sollte man nie die politische Beschränktheit dieser nationalen Befreiungsorganisation vergessen. Hassan Nasrallah führt sie wie ein Alleinherrscher. Seine Priorität ist nicht die Befreiung der Palästinenser oder der Sieg über den Imperialismus in der Region, sondern die Stärkung seiner Position im politischen Geschehen im Libanon. Dafür, so Nasrallahs Rechnung, braucht er die Unterstützung aus Damaskus. Deswegen unterstützt die Hisbollah Assad.
Über diesen Kurs gibt es jedoch einen scharfen Konflikt innerhalb der Organisation. Auch in den schiitischen Städten des Libanons findet man die Parolen der arabischen Revolutionen an den Wänden, allen voran: Das Volk will den Sturz des Regimes. Nasrallah ist Teil dieses Regimes im Libanon, Teile seiner Anhänger sehen das sehr kritisch.
Unter den palästinensischen Organisationen unterstützt nur eine Splittergruppe, die Volksfront zur Befreiung Palästinas – Generalkommando (PFLP-GC), das Regime in Damaskus. Alle anderen haben offiziell eine neutrale Haltung oder sie unterstützen, wie zum Beispiel Hamas, die Aufständischen. Ein Grund dafür sind sicherlich die Erfahrungen der Palästinenser mit dem Baath-Regime. Zumindest den Älteren ist das Massaker im libanesischen Flüchtlingslager Tel az-Zataar im Jahr 1976 noch sehr präsent. Dort ermordeten rechte Milizen im Windschatten der ersten syrischen Invasion tausende Palästinenser.
Die ausländische Unterstützung für Assad verhindert Verhandlungen
Auch gegenwärtig haben die Bewohner von Flüchtlingslagern ihre Erfahrungen mit der syrischen Armee machen müssen, etwa in Jarmuk. Das dortige Camp wird seit Dezember 2012 belagert und bombardiert, weil gerade die jungen Palästinenser sich an den Protesten in den umliegenden Stadtvierteln beteiligt hatten. Von den ursprünglich 135.000 Bewohnern sind nur noch 40.000 im Lager – und die meisten auch nur deshalb, weil die Armee ihnen die Flucht unmöglich macht.
Weil Assad dank der ausländischen Unterstützung seine militärische Stellung im Bürgerkrieg verbessern konnte, ergeben Verhandlungen keinen Sinn. Jede echte Einigung würde den Übergang zu einer frei gewählten Regierung beinhalten, an der er und sein Familienclan vermutlich nicht beteiligt wären. Assad beharrt jedoch auf der uneingeschränkten Herrschaft. Bevor er die aufgibt, begnügt er sich lieber mit einem Teil des Landes und der militärischen Zerstörung des Restes.
von Stefan Ziefle, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik der LINKEN. Foto: flickr.com/jan_jaja
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