Die Entwicklung in der Ukraine bewegt viele Menschen. Mehrere Tausend Menschen sind in den letzten Wochen auf Initiative der »Friedensbewegung 2014« auf der Straße gewesen. Volkhard Mosler hat sich die Proteste angeschaut und Bedenkliches entdeckt
Mit der Zuspitzung des Ukrainekonfliktes wächst die Sorge vor einem militärischen Konflikt, in den auch Deutschland mit hineingezogen werden könnte. So nimmt es nicht Wunder, dass es eine Stimmung zum Protest gegen die Kriegsgefahr gibt.
Seit einigen Wochen hat eine Initiative »Friedensbewegung 2014« (FB 2014) einigen Zuspruch. Das erklärte Ziel der Kundgebungen ist der Erhalt des Friedens in Europa und in der Welt. Allerdings haben die Kundgebungen eine zweite Agenda, die sich dem politisch wenig erfahrenem Teilnehmer nicht ohne Weiteres erschließt. Diese Agenda besagt, dass Deutschland eine Kolonie der USA sei und dass der Weltfrieden nur durch die Erlangung der nationalen Unabhängigkeit und Souveränität Deutschlands zu erhalten ist.
Die programmatischen Kernpunkte, die sich wie ein roter Faden durch die Reden der politischen Veranstalter ziehen, sind:
- Alleinige Verantwortung der USA und die von ihr kontrollierten NATO als kriegstreibende Macht.
- Unterschlagung der EU als imperialistischer Block mit eigenen Interessen.
- Die Rolle der BRD als bloßer Vasallenstaat der USA
- Forderung nach »Volkssouveränität«
- Unkritische Verteidigung der Politik Putins und Russlands
- Die Überlebtheit der Kategorien »links« und »rechts« zur Kennzeichnung des politischen Spektrums
- Das nationale Selbstbestimmungsrecht der russisch-sprachigen Minderheit in der Ost-Ukraine
- Gegen die »Diktatur der Medien« (kontrolliert von der Finanzoligarchie)
Politisch knüpfen die Organisatoren an die Tradition des Nationalbolschewismus in der Weimarer Republik an, deren Kern sich 1919 aus der Hamburger KPD entwickelt hatte. Deren führende Vertreter kamen ursprünglich vom äußersten linken Flügel der KPD und traten für einen revolutionären Volkskrieg gegen die Siegermächte des ersten Weltkriegs und die hinter diesen versammelte Macht des «anglo-amerikanischen Finanzkapitals« ein.
Dazu wollten sie ein Bündnis von deutscher Arbeiterbewegung und deutschem Kapital mit Sowjet-Russland herstellen. In einem solchen Befreiungskrieg gegen den Versailler »Diktatfrieden« sahen sie eine Etappe zu einem deutschen Sozialismus.
Ein klassenübergreifendes Bündnis
Mit ihrer »Friedensbewegung 2014« versucht deren Führung ähnlich wie die Nationalbolschewisten ein klassenübergreifendes Bündnis des ganzen deutschen Volkes aufzubauen. Der ehemals linke Publizist Jürgen Elsässer sagte zum Beispiel auf einer Kundgebung in Berlin: »Wir sind die 99 Prozent«. Er knüpfte damit an eine Formel der Occupy-Bewegung an.
Aber im Unterschied zur Klassenorientierung der Occupy-Formel, die mit dem einen, verbliebenem Prozent die herrschenden Klassen des jeweils eigenen Landes meinte, sieht Elsässer in dem »einen Prozent« eine fremde Macht, nämlich eine »internationale Finanzoligarchie«, die vermittels der amerikanischen Zentralbank, der Federal Reserve, auch Deutschlands Eliten kontrolliert.
Eine rassistische Deutung des Ukraine-Konfliktes
Elsässer fügte hinzu: »Warum soll es Antisemitismus sein, »wenn man darüber spricht, wie diese winzig kleine Schicht von Geldaristokraten die Federal Reserve benutzen, um die ganze Welt ins Chaos zu stürzen?« Und Elsässer wurde noch deutlicher, als er dann rhetorisch fragte, wer denn dieser Finanzoligarchie angehöre und nannte dann neben zwei Königshäusern (englisches und saudi-arabisches) noch »die Herren Rockefeller, Rothschild, Soros, Chosorkowski«.
Ist es ein Zufall, dass es sich bei drei der vier Genannten um Menschen jüdischer Herkunft handelt? Elsässers Rede ist ein Dokument der nationalistischen und rassistischen Deutung des Ukraine-Konfliktes. Elsässers Rede wurden von den prominenten Organisatoren von FB 14 nirgendwo kritisiert.
Wie geschaffen für den AfD-Europawahlkampf
Viele, ja vielleicht die Mehrheit der Teilnehmer/innen an den Veranstaltungen von FB 14 mögen aus Sorge um den Weltfrieden auf die Straße gehen. Der Charakter einer Bewegung wird allerdings nicht durch die Motive ihrer passiven Basis bestimmt, sondern durch ihr politisches Erscheinungsbild, das wiederum wesentlich geprägt wird durch die Parolen und Reden ihrer Führer.
Die wesentlichen Merkmale dieser Bewegung sind eine Mischung von krudem Antiamerikanismus, deutschem Nationalismus und unkritischer Russlandverehrung. Sie ist nicht Teil der Friedensbewegung, sie ist eine diffuse kleinbürgerlich-nationalistische Protestbewegung gegen die »herrschenden Verhältnisse«. Sie ist daher wie geschaffen für den parallelen Europawahlkampf der AFD.
Es nimmt daher kein Wunder, dass AFD und NPD inzwischen zur Unterstützung aufgerufen haben. Und umgekehrt hat sich Elsässer zwei Tage nach seiner Berliner Rede auf einer AFD-Veranstaltung bekannt, AFD-Wähler zu sein.
Faschisten unterstützen soziale Bewegungen
Die Linke, die Piratenpartei, Grüne, Attac und Friedensbewegung haben inzwischen vor dem reaktionären Charakter der Bewegung gewarnt. In der Tat: die Propaganda für Frieden ist der Propaganda für nationale Befreiung Deutschlands untergeordnet, sie ist die eigentliche politische Botschaft.
Das Problem ist nicht, dass Rassisten und Nazis diese Initiative inzwischen unterstützen. Faschisten zögerten auch in der Vergangenheit nicht davor, ökologische, soziale und andere emanzipatorische Bewegungen zu »unterstützen«.
Ein bekanntes historisches Beispiel ist der Berliner Verkehrsstreik von 1932, der von der NSDAP unterstützt wurde. Auch zu den Montagsdemonstrationen gegen Schröders Hartz-Gesetze hatten rechte und faschistische Gruppen aufgerufen, ebenso hatten verschieden rechte Gruppen versucht, Einfluss auf die Occupy-Bewegung von 2011 zu nehmen.
Eine Absage an Klassendenken
Die Metapher von der Überlebtheit des Links-Rechts-Schemas ist als Absage an Klassendenken zu verstehen, nicht nur als Angebot einer breiten politischen Front von ganz links bis ganz rechts. Das Bemühen um ein breites Volksbündnis schließt aber die rassistische und faschistische Rechte durchaus mit ein und deshalb besteht die Gefahr, dass FB 2014 dieser hilft, aus ihrer politischen Isolation auszubrechen.
Es gibt auch in der Linken Stimmen für Forderungen nach einem neuem Sicherheitsbündnis unter »Einschluss Russlands«. Sogar im Parteiprogamm der LINKEN (Erfurt 2011) findet sich ein entsprechende Bündnisforderung. Rosa Luxemburg schrieb 1914 am Vorabend des Weltkriegs dazu treffend, dass »keine Bündnisse kapitalistischer Staaten imstande sind oder auch nur den Zweck haben, den Frieden zu sichern…. Alle Bündnisse haben nur den Zweck, irgendeinen Außenstehenden desto besser abmurksen zu können.«
Deutschlands imperialistische Interessen
Eine gewissen Plausibilität erhält der Anti-Amerikanismus der FB 14 auch durch den schwelenden Konflikt zwischen der Merkel-Regierung und der Obama-Administration in Bezug auf die Steigerung der Sanktionen gegen Russland. Schon im Georgien-Krieg 2008 waren die USA mit Sanktionsforderungen an der damaligen Merkel/Steinbrück-Regierung gescheitert.
Dem liegen unterschiedliche wirtschaftliche und geopolitische Interessen des deutschen und amerikanischen Imperialismus im Verhältnis zu Russland zugrunde. Steinmeier hat sich letzte Woche gegen stärkere Sanktionen ausgesprochen, Merkel hat sich inzwischen bedingt dafür ausgesprochen.
Die Friedensbewegung braucht eigene Aktionen
Die unkritische pro-russische Einstellung von »FB 2014« kann auch politisch-kulturell an eine russophile, reaktionäre Richtung im deutschen Bürgertum zurückgreifen – der Ahnherr dieser Richtung war Reichskanzler Bismarck und Elsässer hat sich in seiner Rede nicht zufällig auf Bismarcks Russlandpolitik bezogen.
Eine kritische Beteiligung der Linken würde – zu recht – als linker Flankenschutz für eine rechte Politik wahrgenommen. Um die wirklich friedensbewegten Menschen, die an FB 2014-Kundgebungen teilnehmen, anzusprechen, wäre es wichtig, dass die Friedensbewegung und die LINKE bei einer weiteren Verschärfung des Ukraine-Konfliktes mit eigenen Aktionen in die Öffentlichkeit geht. Und es wäre wichtig, dass wir über den reaktionären Charakter der Führung von FB 2014 aufklären.
Volkard Mosler ist Redakteur von »Theorie 21«. Er spricht auf dem MARX IS MUSS Kongress 2014 über den Ukraine-Konflikt zum Thema »Nach der Krimkrise: Die Linke und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen«.
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