Der Historiker Götz Aly kämpft gegen die soziale Gleichheit. Erst machte er die Forderungen der Arbeiterbewegung für den Holocaust verantwortlich, jetzt greift er die 68er an. Von Arno Klönne
Den Ludwig-Börne-Preis für politische Publizistik erhält in diesem Jahr Götz Aly. Im Vorjahr war Joachim Gauck der Auserwählte. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete, Aly sei ausgezeichnet worden, weil er, den Gründen für den Holocaust nachforschend, »zu dem Schluss gekommen« sei, »dass das Streben nach sozialer Gleichheit, das sich seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland ausbildete, sich letztendlich gegen die Juden richtete«.
Die Medien in der Bundesrepublik verbreiten nun diese Erklärung für den mörderischen Antisemitismus des Nazi-Systems. Die FAZ fügte noch aktualisierend hinzu, Aly, »der Unerschrockene«, werde gewürdigt wegen »seines Plädoyers für Freiheit von Bevormundung«. Historisch verantwortlich für den Holocaust ist demnach die deutsche Sozialdemokratie, und die Lehre für die Gegenwart heißt: Raus aus der unmündig machenden Sozialstaatlichkeit.
Die echten Förderer vergessen
Anlass zur Preisverleihung an Aly ist vor allem sein Buch »Warum die Deutschen? Warum die Juden?« Er bringt darin durchaus stichhaltige Materialien zur Ideengeschichte des Antisemitismus im deutschen Kaiserreich, sucht nach Hintergründen dafür und wird fündig: Die Arbeiterbewegung war die Schuldige, mit ihrem »Gleichheitswahn«, der »Sozialneid« gegen das Judentum erzeugt habe.
Zur Verfahrensweise von Aly ein Börne-Zitat: »Die Wahrheit dient oft nur als Leiter zur Lüge. Man wendet ihr verächtlich den Rücken, sobald die Höhe erreicht ist.« Von einer Ideologie der Gleichheit kann im Hinblick auf die faschistische Ideologie überhaupt keine Rede sein, prinzipiell ging diese von menschlichen Rangstufen und und einer Hierarchie der Existenzrechte aus. Außerdem unterschlägt Aly die Rolle bürgerlicher und feudaler Interessenten, Förderer und Freunde beim Aufstieg und Machtzugriff der NSDAP.
Aly wäscht Altnazis rein
Götz Aly führt seinen Kampf nicht nur gegen die historische Sozialdemokratie, er eifert auch gegen die neue Linke, die der 1960er Jahre und die von heute. Und da kommt ihm die Nominierung von Beate Klarsfeld zur Bundespräsidentschaft gerade recht.
Deren handgreifliche Kritik am ehemaligen NS-Propagandisten Kiesinger als Bundeskanzler deutet er in einem aktuellen Zeitungskommentar als psychopathologische Tat: Klarsfeld, und darin sei sie typisch gewesen für andere jüngere Antinazis um 1968, habe sich »in die Identifizierung mit den Opfern des NS geflüchtet » und so die moralische Legitimation gesucht, »auf den westdeutschen Nachkriegsstaat verbal oder physisch einzuschlagen«. Im »Privaten« habe das Motiv gelegen, in der Unfähigkeit, den »innerfamiliären Nebel zu durchbrechen«, der über der Geschichte des »Dritten Reiches« gelegen gewesen habe, und so sei der altbundesrepublikanische Staat mitsamt Kiesinger zum »Ersatzobjekt« der Abneigung geworden.
Folgt man dieser Deutung, ist die westdeutsche politische Klasse in der Zeit von Kiesinger und Co. Reingewaschen. Es gab dann keinen Grund, sich mit der »unbewältigten Vergangenheit« in der damaligen Gegenwart auseinanderzusetzen, in deren Machtstrukturen und bei deren Akteuren.
Wehren gegen die wieder Etabierten
Der erwähnte Kommentar von Aly erschien in der Frankfurter Rundschau. Wer sich die Mühe macht, in deren Ausgaben aus den 1960er Jahren nachzublättern, kann unschwer herausfinden, dass Aly, so wie er heute publiziert, Geschichte fälscht. Die Zeitung brachte zu jener Zeit ständig kritische Berichte über das ungehinderte Fortwirken von Funktionsträgern des NS-Systems in den Institutionen von Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik.
Und die meisten derjenigen, die gegen diese fatale Kontinuität angingen und deshalb vielfach als »Nestbeschmutzer« diffamiert wurden, hatten nicht etwa familienpsychische Probleme zu lösen. Sie kamen aus der Opposition gegen den deutschen Faschismus, hatten überlebt und mussten sich nun wehren gegen die wieder etablierten ehemaligen NS-Parteigänger. Das war die Zeit, zu der in aller westdeutschen Öffentlichkeit Widerstand gegen die hitlerdeutsche Politik als »Landesverrat« gewertet wurde. Das will Aly vergessen machen.
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In der aktuellen Ausgabe von marx21 setzt sich Arno Klönne ausführlich mit Götz Alys Buch »Warum die Deutschen? Warum die Juden?« auseinander.
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