Schon vor dem vereitelten Terroranschlag von Detroit führte die US-Regierung einen verdeckten Krieg im Jemen. Die US-Friedensaktivistin Elizabeth Schulte über die Hintergründe der neuen Pläne der Obama-Administration
Die Regierung der USA hielt für die Menschen im Jemen eine beängstigende Botschaft bereit: In seiner wöchentlichen Rundfunkansprache verkündete Präsident Barack Obama die Eröffnung einer neuen Front im US-amerikanischen Krieg gegen Terror, indem er einen Attentatsversuch auf ein Flugzeug am 25. Dezember, mit einer Al-Qaida-Gruppe im Jemen verknüpfte. Ein junger Nigerianer, Umar Faruk Abdulmutallab, hatte versucht, auf einem Flug von Amsterdam nach Detroit Sprengstoff zu zünden. »Wir wissen, dass er in den Jemen reiste, ein Land, das mit niederschmetternder Armut und tödlichen Aufständen zu kämpfen hat. Es scheint, dass er Mitglied eines Al-Qaida-Ablegers wurde. Und diese Gruppe, die 'al-Qaida der arabischen Halbinsel', hat ihn ausgebildet und mit diesem Sprengstoff ausgerüstet und ihn angewiesen, das Flugzeug nach Amerika anzugreifen«, sagte Obama.
Am selben Tag besuchte General David Petraeus den jemenitischen Diktator Ali Abdullah Saleh. Die USA haben vor, gemeinsam mit der britischen Regierung eine spezielle Polizeieinheit zur Bekämpfung von Terrorismus im Jemen zu finanzieren. Am folgenden Tag ordneten die USA und Großbritannien die Schließung ihrer Botschaften in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa an. Die Falken stellten sich sofort hinter die Regierung Obama und drängten auf ein schnelles Eingreifen im Jemen als Teil des Kriegs gegen Terrorismus: »Jemen wird jetzt zu einem Mittelpunkt dieses Kampfes«, sagte der Chef des Heimatschutzes, Joe Lieberman, »wir sind verstärkt dort im Einsatz – und müssen es sein – besondere Operationen, Green-Berets-Kampftruppen, Geheimdienst.«
Nach seiner Reise in den Jemen sagte Lieberman in einem Interview mit dem australischen Sender ABC News: »Jemand aus unserer Regierung hat mir in Sanaa, der Hauptstadt des Jemens, gesagt, dass der Irak der Krieg von gestern ist, Afghanistan der Krieg von heute. Wenn wir nicht vorbeugend handeln, wird Jemen der Krieg von morgen sein. Das ist die Gefahr, vor der wir stehen.« Die Regierung Obama scheint sich auf einen schnellen und tödlichen Angriff auf den Jemen vorzubereiten. US-Beamte versuchen uns weiszumachen, dass es dabei um den Schutz der USA vor terroristischen Angriffen geht. Tatsächlich war der Jemen bereits seit einiger Zeit im Visier der USA, nur dass es jetzt offen ausgesprochen wird.
Schon lange ehe ein mit Sprengstoff ausgerüsteter junger Nigerianer ein Flugzeug in die USA bestieg, führten die USA einen verdeckten Krieg im Jemen. Am 17. Dezember 2009 feuerte die US-Armee auf Anweisung Obamas Marschflugkörper auf zwei angebliche Stützpunkte von al-Qaida im Jemen ab. Erst nach einigen Tagen gaben US-Beamte ihre Verwicklung in diese Angriffe zu, nachdem zunächst Nachrichtensender im Jemen die jemenitische Luftwaffe dafür verantwortlich gemacht hatten.
ABC News berichtete, dass Obama gleich nach den Luftangriffen Saleh anrief, um ihm zu »gratulieren«. Die jemenitische Opposition gibt an, dass bei den Angriffen in der Provinz Abjan 63 Menschen getötet wurden, darunter 28 Kinder. Parallel zu den Luftangriffen führten jemenitische Sicherheitskräfte Razzien in drei weiteren Orten durch, bei denen laut Berichten 120 Menschen getötet wurden. Auch hier waren nach Angaben von Oppositionsführern viele Zivilisten darunter.
US-amerikanische Drohnen haben seit einem Jahr verdeckte Angriffe auf angebliche Al-Qaida-Stützpunkte im Jemen durchgeführt. CIA-Agenten halten sich dort auf ebenso wie US-amerikanische Spezialeinheiten, die auch jemenitische Streitkräfte ausbilden. Vor dem Weihnachtsvorfall auf dem Flug nach Detroit hatten die USA bereits Pläne, die Ausgaben für die Terrorismusbekämpfung im Jemen von 67 Millionen Dollar im Jahr 2009 auf 190 Million in diesem Jahr zu erhöhen, berichtete das »Wall Street Journal«. Im Jahr 2006 betrug die öffentlich benannte Summe zur Finanzierung der Terrorismusbekämpfung nur 4,6 Millionen Dollar, nicht eingeschlossen Gelder für geheimdienstliche Tätigkeiten.
»Die US-Luftwaffe hat Gebiete im Osten und Süden des Jemens überflogen und Aufnahmen von Ausbildungslagern gemacht, die vermutlich von al-Qaida geführt werden«, berichtete Abdulelah Haidar Shaea, ein Experte für al-Qaida im Jemen, der britischen Tageszeitung »Guardian«. »Die jemenitische Luftwaffe hat diese Orte angegriffen. So wie im pakistanischen Wasiristan gab es durch das Eingreifen der USA zivile Opfer, was heißt, dass die Menschen sich aus Rache al-Qaida anschließen werden.«
Ist es also verwunderlich, wenn die USA, die hinter so viel Gewalt im Jemen stehen, als Ziel für Gewalt betrachtet werden?
Der Jemen ist von außerordentlicher Armut und politischer Korruption gekennzeichnet. Das Land verfügt kaum über natürliche Ressourcen. Die wenigen Ölfelder werden voraussichtlich bald austrocknen. Laut den Vereinten Nationen leben rund 45 Prozent der Jemeniten von weniger als 2 Dollar am Tag. Die Regierung Saleh hofft vermutlich, dass sie die Rückendeckung für den »Antiterrorkrieg« der USA nutzen kann, um ihre gefährdete Machtposition zu stützen.
Norden und Süden des Landes wurden zwar im Jahr 1990 offiziell vereinigt, die Regierung Saleh steht aber vor einer wachsenden Lostrennungsbewegung im Süden und einem Aufstand im Norden, der von schiitischen Huthis (benannt nach dem 2004 getöteten Führer Hussein Badreddin al-Huthi) geführt wird, militanten Mitgliedern der Saidi-Gruppierung; die Schiiten machen etwa ein Drittel der Bevölkerung des Landes aus. Im August beendete die Regierung Saleh ihren Waffenstillstand mit den Huthis und leitete die »Operation verbrannte Erde« ein. Im November bombardierten saudische Kampfflugzeuge angebliche Rebellenstützpunkte der Huthis im Grenzgebiet.
Der Journalist Patrick Cockburn wies darauf hin, dass die jemenitische Regierung »seit langem versucht hat, die schiitischen Rebellen im Nordjemen als Irans Handlanger zu darzustellen, um US-amerikanische und saudische Unterstützung zu erhalten. Die Organisation 'al-Qaida auf der arabischen Halbinsel' verfügt vermutlich nur über ein paar hundert Aktivisten im Jemen, aber die Regierung des langjährigen Machthabers Saleh möchte ihre verschiedenen Gegner als irgendwie mit al-Qaida verbunden darstellen.«
Das Eingreifen der USA im Jemen wird die Verhältnisse dort nur verschlimmern, die schon bestehenden Spaltungen vertiefen und Salehs korrupte Herrschaft noch weiter befestigen. Und es wird nichts dazu beitragen, den Terrorismus, der angeblich geschlagen werden soll, zu beenden. Tatsächlich heizt die Politik der USA diesen sogar noch an. Glenn Greenwald von Salon.com sagte in einem Interview für Democracy Now! am 31. Dezember: »Von Anfang an wurde der Mythos aufgebaut, dass es da eine bestimmte Gruppe von durch und durch bösen Menschen genannt ,die Terroristen‘ gibt, und um sie zu schlagen, gibt es nur eine Möglichkeit: sie alle zu töten. Und wenn du sie alle mit Bomben und Luftangriffen und so weiter umgebracht oder sie für immer weggesperrt hast, wenn du das mit der fest umrissenen Gruppe von ‚Terroristen‘ getan hast, dann gibt es keine Terroristen mehr und wir haben den Krieg gegen den Terror gewonnen […] Natürlich haben wir in den vergangenen neun Jahren tatsächlich den Terroristenpool vergrößert – und das ist eine Lektion, die wir nie lernen werden. Wir vergrößern sehr schnell die Zahl der Leute mit Sympathien für den islamischen Radikalismus, die bereit sind – die so wütend sind, dass sie nicht nur bereit sind, unschuldige Zivilisten zu töten, sondern ihr eigenes Leben dabei zu opfern.« Mit ihren Drohungen gegen den Jemen und der Eskalation des Kriegs in Afghanistan setzt die Regierung Obama nicht nur die Politik von Krieg und Eingreifen unter Präsident Bush fort, sondern weitet ihn sogar aus. Und mit verdeckten und weniger verdeckten Luftangriffen und Militäroperationen im Jemen folgt Obama der Bush-Doktrin des »vorbeugenden Kriegs« gegen jedes Land, das die USA für einen »gescheiterten Staat« halten.
Zum Text:
Veröffentlichung auf marx21.de mit freundlicher Genehmigung von Socialist Worker. Dort ist er zuerst auf Englisch erschienen. Übersetzung ins Deutsche von Rosemarie Nünning.