Am 1. Oktober veröffentlichte die Frankfurter Rundschau ein Interview, in dem Stefan Liebich DIE LINKE zur Erarbeitung einer »inhaltlichen Basis« für eine rot-rot-grüne Koalition aufforderte. Wörtlich sagte er: »Dazu müssen SPD und Grüne ihre Tabus ablegen. Und wir müssen an unserer Substanz arbeiten.«
Es ist absurd, die eigene Substanz für eine rot-rot-grüne Koalition ausgerechnet in dem Moment in Frage zu stellen, da SPD und Grüne jeweils Gespräche über eine mögliche gemeinsame Regierung mit der CDU/CSU führen.
Die Grünen stehen vor einem Schwenk nach rechts. Unter dem Druck des wirtschaftsfreundlichen Flügels tastet sich die Partei in Richtung einer unverhüllten Kooperation mit dem Kapital vor.
Das Angebot ist abenteuerlich
Die SPD-Führung um Steinmeier und Gabriel ist bereit, eher im Koalitionspoker mit der Union weitere Zugeständnisse an die Konservativen zu machen, als sich mit der LINKEN auf die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zu einigen. Entsprechende Angebote durch DIE LINKE wurden als »taktische Spielchen« abgekanzelt.
Den Sozialdemokraten und Grünen in einer solchen Situation anzubieten, die eigene Substanz zu schleifen, ist abenteuerlich. Würde die LINKE den Ratschlag von Stefan Liebich befolgen, dann bewegten wir uns auf einer schiefen Ebene: Die Union als stärksten Gewicht zieht Grüne und SPD nach rechts, und wir wiederum lassen uns von SPD und Grüne in dieselbe Richtung mitnehmen.
Die Bundeswehr wird zur Interventionsarmee
Stefan Liebich benennt in dem Interview keine Tabus, die Grünen und SPD seiner Meinung nach aufgeben müssten, damit es eine Basis für eine rot-rot-grüne Koalition geben könne. Kein Wort von der Rücknahme der Rente mit 67 oder Hartz IV. Kein Wort zu den europäischen Bankenrettungsprogrammen, die mit Unterstützung von rot-grün die deutschen Steuerzahler Milliarden kosten – und die Sozialstaaten in Südeuropa zerrütten.
Dafür wird er sehr konkret, wenn es um DIE LINKE geht. »Ein Kriegseinsatz wie in Afghanistan« werde es mit uns nicht geben. Aber wir sollten Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen, wenn es um Nothilfeeinsätze gegen Hunger oder die Überwachung von Waffenstillstandsabkommen ginge.
Damit ignoriert Stefan Liebich den Umbau der Bundeswehr zu einer international agierenden Interventionsarmee. Die LINKE lehnt nicht den einen oder anderen Einsatz ab, weil er schlecht konzipiert oder schlecht begründet ist. Wir lehnen die strategische Gesamtausrichtung ab, wonach Deutschland als eine Mittelmacht in internationalen Einsätzen militärische Stärke zeigen will, um für das deutsche Kapital geopolitischen Einfluss, Markt- und Rohstoffzugänge zu sichern.
Militäreinsätze beenden keine Hungerkatastrophen
Es ist die Taktik der Bundesregierungen Kohl, Schröder und Merkel gewesen, diese Interessen als humanitäre Anliegen zu verschleiern. So begann die Bundeswehr 1994 in Somalia im Rahmen eines humanitären UN-Einsatzes. Am Ende wurden die UN-Truppen zur Partei im innersomalischen Bürgerkrieg, machten sich an Kriegsverbrechen schuldig und wurden aus dem Land gejagt. Militär ist grundsätzlich ungeeignet, um Hungerkatastrophen zu bekämpfen.
Stefan Liebich führt das Beispiel Ruanda von 1994 klagend an und fragt »Was machen wir bei einem Genozid wie in Ruanda 1994?« Dabei lässt er sowohl offen, wofür er sich damals konkret ausgesprochen hätte. Auch erwähnt er nicht, dass französische Truppen in Ruanda eingegriffen hatten – auf Seiten derjenigen, die den Völkermord an Tutsi und gemäßigten Hutu zu verantworten hatten. Dies war der Grund, warum die diplomatischen Beziehungen zwischen der Regierung unter dem Tutsi Kagame und Paris nach 1994 jahrelang unterbrochen waren.
Stefan hält in dem Interview an einer roten Linie fest und schließt eine Zustimmung der LINKEN bei einem »Kriegseinsatz wie in Afghanistan« aus. Eigentlich sollte das schon ausreichen, um jede weitere Spekulation um rot-rot-grün zu beenden. Denn bis heute haben SPD und Grüne es nicht vermocht, sich gegen diesen Einsatz zu stellen. Auch als Parteien in der Opposition. Wenn die Realität in Afghanistan diese Parteien nicht von ihrem kriegerischen Kurs abbringen konnte, dann werden es Koalitionsverhandlungen mit der LINKEN auch nicht tun. Das einzige, was in solchen Verhandlungen unter die Räder zu kommen droht, ist unsere eigene prinzipielle Haltung gegen jede Form militärischer Auslandsinterventionen.
DIE LINKE ist nicht wie die anderen Parteien
Im Übrigen dürfen wir nicht vergessen: Auch der Kriegseinsatz in Afghanistan wurde begonnen, ohne dass er als solcher bezeichnet wurde. Vielmehr hieß es, es ginge um den Aufbau des Landes, um den Kampf gegen Al-Kaida und für die Rechte der Frau. Es ist die Aufgabe der LINKEN, solchen Beschönigungen etwas entgegenzusetzen und zu sagen, was am Ende bei solchen Einsätzen herauskommt.
Es ist unsere Substanz als Partei der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens, die den erneuten Einzug der LINKEN in den Bundestag möglich gemacht hat. Sie steht nicht zur Disposition. Wir sind bereit, gemeinsame Anliegen mit Rot-Grün wie die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes oder eine stärkere Besteuerung der Reichen gemeinsam mit unseren außerparlamentarischen Partnern durchzusetzen.
Aber das bundesdeutsche Parteienspektrum braucht keine dritte Partei, die sich ein linkes Programm gibt, um es dann im Tauschhandel um Posten und Positionen stückweise aufzugeben.
Christine Buchholz ist friedenspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.