Frage: Es gibt im Moment viel Kritik an Israel. Manchmal verwandelt sich diese Kritik schon in Hass. Was denken sie darüber?
Ich glaube nicht an Hass. Ich glaube nicht, dass Hass ein gutes politisches Werkzeug ist, um die Welt zu verbessern. In dieser Situation denke ich, dass sich die Israelis durch die dummen und gefährlichen Entscheidungen, die sie getroffen haben, selbst in diese Ecke manövriert haben. Sie hätten sich anders entscheiden sollen. Sie hätten sich anders entscheiden können.
Wir haben Fernsehbilder von den Kommandosoldaten gesehen, die sich auf das große Schiff abseilten und zusammengeschlagen wurden. Also, sagen die Soldaten, mussten wir uns verteidigen. Die Frage ist: Haben die Passagiere versucht, zu den Hubschraubern hochzuklettern oder sind die Soldaten heruntergekommen? In internationalen Gewässern. Die Frage beantwortet sich selbst: Wer hat wen angegriffen? Und ich sage ihnen eins: Wenn ich auf meinem Boot in internationalen Gewässern angegriffen würde, würde ich wenigstens versuchen, mich zu verteidigen.
Sie sagen, es gibt viel Hass. Das ist vielleicht verständlich, aber bedauerlich. Ich glaube nicht an diesen Hass. Aber vielleicht kann er die Israelis dazu zwingen, erstens diese Blockade zu beenden und zweitens einen Dialog zu beginnen, um die Probleme zu lösen, die wir haben.
Lassen Sie es mich gleich sagen: Ich bin sehr kritisch gegenüber den Handlungen der Hamas in Gaza. Ich bin kein unkritischer Freund der Hamas. Aber wir müssen mit ihnen sprechen. Wir müssen den Dialog führen, um diese unerträgliche Lage zu beenden. Es tut mir leid, dass es den Hass gibt, aber ich denke, die Israelis müssen vor ihrer eigenen Tür kehren. Wir haben mit dem Hass nicht angefangen.
Frage: Ihr Schriftstellerkollege Leon de Winter sagte, die Passagiere auf den Schiffen hätten Lieder gesungen wie »Tod den Juden«, als sie in Zypern ausliefen. Haben Sie davon etwas mitbekommen?
Hand aufs Herz: Nein. Auf der ganzen Reise habe ich keine vergleichbaren Ausdrücke gehört. Nie. Ich kann für das Schiff sprechen, auf dem ich war. Und ich habe es auch nicht aus der Ferne gehört. Wenn das gesungen worden wäre, wäre das fürchterlich falsch gewesen. Ich wäre sehr wütend, wenn das wahr wäre. Denn das verließe den gemeinsamen Boden unserer humanitären Mission.
Frage: Wie würden sie ihre politische Haltung gegenüber Israel vor diesen Geschehnissen beschreiben? Würden sie sich vor dem Hintergrund ihrer politischen Sozialisation als Antizionisten bezeichnen?
Ich wurde in demselben Jahr geboren, in dem Israel gegründet wurde: 1948. Ich habe mein ganzes Leben mit diesem Konflikt gelebt. Und ich will nicht damit sterben. Ich hoffe, dass ich noch eine Lösung dafür erlebe. Was ist die Lösung dieses Konflikts? Ganz ehrlich: Wir können eins sagen – die heutige Lage ist unerträglich, sie ist nicht die Lösung. Dann müssen wir also diskutieren, ob sie überhaupt in zwei Staaten liegt oder ob wir nach einer südafrikanischen Lösung suchen müssen. Ich weiß es nicht.
Es ist die Aufgabe der Israelis und die Palästinenser, sie zu finden, mit unserer Unterstützung, in einem Dialog, nicht in einem Krieg. Ich muss glauben, dass es eine Lösung gibt. Ich glaube, dass wir durch den demokratischen Dialog eine Lösung für jeden Problem auf der Welt finden können. Natürlich bin ich kein Antisemit, auch wenn manche mich so beleidigen. Aber ich bin gegen die heutige Politik Israels gegenüber den Palästinensern. Dagegen bin ich, denn das ist eine Art von Apartheidpolitik. Ich war gegen die Apartheid in Südafrika und ich bin heute gegen die Apartheid.
Frage: Sie haben gesagt, dass sie weit weg waren von dem Ausbruch der Gewalt. Aber inzwischen müssen sie doch auch das Videomaterial vom Deck der »Marmara« gesehen haben, auf dem wir Aktivisten israelische Soldaten angreifen sehen. Was ist ihre Reaktion auf dieses Material? Würden sie sagen, dass es naiv war, an der Aktion teilzunehmen?
Ich kann ihnen versichern, dass ich nicht naiv bin. Wenn man seit 25, 30 Jahren in Afrika lebt, dann macht einen das jedenfalls nicht naiv. Zu den anderen Fragen: Ich bin vor zwei Tagen spät in der Nacht zurückgekehrt und habe seitdem fast Tag und Nacht mit Ihren Kollegen gesprochen. Ich habe nicht sehr viel Videomaterial gesehen. Ich habe ein paar Minuten gesehen.
Darauf sehe ich keine Personen die Seile hoch zu den Soldaten in den Hubschraubern klettern. Ich sehe Soldaten mit Maschinenpistolen, die sich abseilen und Menschen, die sie angreifen. Was ich auch tun würde, wenn ich auf einem Schiff in internationalen Gewässern angegriffen würde. Ich habe nicht gesehen, was für Waffen sie benutzen, aber ich habe keine Schusswaffen gesehen.
Und schließlich weiß ich heute, dass die zehn Toten keine Israelis sind. Kurz bevor ich nach Berlin aufgebrochen bin, hat mir einer der Schweden erzählt, die an Bord jenes Schiffes waren, dass er Tote mit Kopfschüssen in die Stirn gesehen hat, was nicht passiert, wenn ein Soldat um sein Leben kämpft. Dann ist er nicht mehr so zielsicher. Wir müssen abwarten, was die Zeugen darüber erzählen. Wir wissen es noch nicht.
Frage: Denken sie darüber nach, Israel zu verklagen? Wussten die Soldaten, wer sie sind, als sie sie an Land brachten? Wir reagierten sie?
Ich denke, wir sollten uns fragen, ob es nicht möglich ist, zumindest das israelische Militär vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen. Ich denke, das wäre möglich, denn sie haben uns angegriffen, einen Akt der Piraterie begangen und Menschen entführt – in internationalen Gewässern. Für mich ist es zu früh, um zu sagen, ob das getan werden muss. Aber es ist möglich und dann sollte es vielleicht auch gemacht werden.
Als wir in der Nacht unterwegs waren, da waren wir sicher, dass die Israelis genau wussten, wo wir waren und wer an Bord war. Der Mossad hat einen sehr guten Ruf als sehr geschickter Geheimdienst. Als sie mich an Land gebracht haben, kam sofort ein Mann vom israelischen Außenministerium und wich nicht mehr von meiner Seite. Natürlich wussten sie, wer ich bin.
Frage: Sind sie sich darüber im Klaren, dass die IHH, die türkische Organisation, die die »Marmara« ausgestattet hat, in der ganzen Welt als Finanzier des islamischen Terrorismus bekannt ist? Das müssen sie gewusst haben, bevor sie ausliefen, denn dieses Schiff führte die Flotille an. Wie können sie sagen, dass sie nicht wussten, was auf diesem Schiff geschah, wenn es von einer Organisation gechartert war, die in Deutschland als Finanzier von terroristischen Operationen bekannt ist? Kennen sie Lenins Wort von den nützlichen Idioten? Denken sie nicht, dass die Hamas ein oder zwei Seiten Lenin gelesen hat?
Ich nehme hin, dass sie sehr aggressiv sind. Wenn sie das wollen. Mir ist das egal.
Antwort: Ich bin nicht aggressiv, ich stelle nur eine Frage.
Fragen können auch aggressiv sein. Aber ich werde ihnen antworten, wenn sie etwas Geduld haben. Als das Projekt aufgebaut wurde, war eine der ersten Grundlagen, dass es ausschließlich mit humanitären Mitteln arbeiten sollte. Wenn ihre Anschuldigungen sich als wahr herausstellen sollten, kann ich ihnen versichern, dass ich sehr wütend sein und entsprechen reagieren werde.
Als zweites werde ich eine Frage beantworten, die sie nicht gestellt haben. Nur um sicherzugehen, dass sie wissen, wer ich bin. Ich bin sehr kritisch gegenüber der Hamas und dem, was sie im Gazastreifen tut. Bevor wir aufbrachen, bekam ich Fragen wie diese gestellt: »Denken sie nicht, dass es naiv ist, zu glauben, dass die Hamas kein Kapital aus dem schlägt, was sie ins Land bringen?« Ich antwortete: »Natürlich kann ich nicht garantieren, dass das nicht geschieht.« Aber ich sage ihnen eins: Wenn das Haus brennt, müssen sie Wasser holen. Woher das Wasser kommt, ist eine nachrangige Frage. Natürlich kann ich nicht garantieren, dass die Hamas nichts getan hätte.
Nein, ich glaube nicht, dass ich ein nützlicher Idiot bin. Wenn jetzt Menschen auf der ganzen Welt von Israel verlangen, die Blockade von Gaza sofort zu beenden, denke ich: Wow, das ist sehr gut. Das war jedenfalls eins der Ziele, die wir hatten. Mal sehen, was wir noch schaffen. Nein, ich glaube nicht, dass ich ein nützlicher Idiot bin. Ich ziehe es vor, keiner von diesen nützlichen Idioten zu sein, die überall herumsitzen und jetzt zynisch behaupten, dass Solidarität nichts wert sei. Zu denen möchte ich lieber nicht gehören. Ich bin einigermaßen schlau und ich weiß auch, wie ich das einsetzen kann.