Angela Merkels Wunschkandidat Nikos Anastasiades hat die Wahlen auf Zypern gewonnen. Doch die meisten Menschen auf der Mittelmeerinsel lehnen seine Kürzungspolitik ab. Von Leandros Fischer
»Ich bin zuversichtlich, dass wir [Angela Merkels] Unterstützung haben werden, wenn wir die notwendigen Reformen durchführen. Ich bin auch sicher, dass wir die deutsche Opposition überzeugen können. Wir bitten um eine ehrliche Behandlung. Wir werden alles tun, um unsere Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen,« so der neue Präsident der Republik Zypern gegenüber der Bild-Zeitung am 26. Februar 2013.
Mit dem Sieg von Nikos Anastasiades in der Stichwahl letzten Sonntag dürfte die EU zufrieden sein. Denn die Verhandlungen zwischen der scheidenden Regierung und der Troika gestalteten sich bisher schwierig: der Vorgänger, der linke Demetris Christofias, lehnte Privatisierungen als Gegenleistung für Hilfsgelder aus dem Europäischen Rettungsschirm (ESM) ab.
Gutes Ergebnis dank schlechter Beteiligung
Doch der Sieg von Anastasiades sollte kein Grund für Ruhe in Brüssel und Berlin sein. Er erreichte zwar ein historisch hohes Ergebnis von 57 Prozent – allerdings wegen einer schlechten Wahlbeteiligung mit weniger Stimmen als sein Vorgänger vor fünf Jahren. Anastasiades konnte nur dank einer Rekordwahlenthaltung von rund 20 Prozent die Wahl gewinnen. Bei der ersten Runde eine Woche zuvor hatte Anastasiades entgegen den meisten Wahlprognosen die absolute Mehrheit sogar verfehlt.
Anastasiades ist ein langjähriger Verfechter des Neoliberalismus. Während des Wahlkampfes äußerte er sich allerdings nur mehr als vage zu konkreten Reformen und bestritt teilweise sogar, dass er für Privatisierungen stehe, obwohl das für seine Freunde in Brüssel und Berlin längst als Selbstverständlichkeit gilt. Denn Umfragen in den letzten Wochen zeigten, dass bis zu 80 Prozent der Zyprioten die Privatisierung von staatlichen Betrieben vehement ablehnen.
Eine linksreformistische Volkspartei
In den deutschen Medien werden der Amtsvorgänger Demetris Christofias und seine »Fortschrittliche Partei des Werktätigen Volkes« (AKEL) als »kommunistisch« bezeichnet. In großen Teil des linksradikalen Spektrums der Insel wird sie dagegen als »sozialdemokratisch« oder als »die PASOK Zyperns« bezeichnet.
In Wahrheit ist sie weder eine kommunistische Partei, noch eine typische sozialdemokratische Partei. AKEL ist eine linksreformistische Volkspartei und die älteste Partei der Insel, mit einem engen und organischen Draht zur Gewerkschaftsbewegung. Ihr aktuelles sozioökonomisches Profil ähnelt in seiner Betonung von Wachstum und Sozialstaatlichkeit dem von Parteien wie der LINKEN oder der Front de Gauche in Frankreich. Auf Parteitagen wird oft von Marx und Lenin gesprochen und der Sozialismus als »das endgültige Ziel der Menschheit« beschworen.
Konflikt mit der Türkei
Doch die AKEL ist seit der Unabhängigkeit Zyperns von Großbritannien 1960 im politischen System eingebettet. Ermöglicht wurde dies durch die langjährige Blockfreiheit Zyperns im Kalten Krieg, einen gut ausgeprägten Korporatismus, einen immer noch starken staatlichen Sektor und eine vor allem durch den Konflikt mit der Türkei hervorgerufene Sozialpartnerschaft.
Seit 1974 ist Zypern nach einem Einmarsch türkischer Truppen in einen griechischen und einen türkischen Teil geteilt, letzterer wird jedoch von keinem anderen Land außer der Türkei anerkannt. Der deutlich kleinere Norden Zyperns ist somit wirtschaftlich mit dem türkischen Festland integriert. Seit Beginn der Regierungszeit Erdogans in der Türkei ist die Neoliberalisierung der Wirtschaft im Norden Zypern deutlich weiter fortgeschritten als im Süden.
Sozialpartnerschaft in Zypern
Streiks endeten in Zypern traditionell mit Dialog und einem Ausgang »ohne Sieger und Verlierer.« Die Gewerkschaften sind mit 150.000 Mitgliedern bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 800.000 sehr stark. Die Kaufkraft und der Sozialstaat waren verglichen mit Griechenland immer besser ausgeprägt, nicht zuletzt aufgrund eines boomenden Dienstleistungssektors. Dieser wuchs neben dem Tourismus in den 80er Jahren, als der Bürgerkrieg im benachbarten Libanon zur Übersiedlung des libanesischen Bankensektors nach Zypern führte und in den 90ern mit der Ankunft von Kapital aus der ehemaligen Sowjetunion, das noch heute die Vorteile der niedrigen Gewerbesteuer von 10 Prozent genießt.
Dadurch entstand ein starker Dienstleistungssektor, der der Wirtschaft zu Wachstum verhalf. Er führte jedoch auch zur Aufblähung des lokalen Bankensektors, der schließlich in die Balkanländer, sowie Griechenland expandierte. Während die Wirtschaft boomte und auch den Arbeitnehmern zugute kam, konnte die AKEL ihre Institutionalisierung mit einer linken Rhetorik verknüpfen.
Ausbau des Sozialstaats
Diese Situation änderte sich in den vergangenen fünf Jahren. 2008 schickte die AKEL zum ersten Mal in ihrer 80-jährigen Geschichte einen eigenen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen. Hauptbegründung der Kandidatur waren weniger soziale Forderungen, sondern die andauernde Spaltung Zyperns.
Dennoch baute Christofias, der erste aus der Arbeiterschicht stammende Präsident, in einer Zeit europaweiter Kürzungen den Sozialstaat aus – laut den Rechten der Hauptgrund für die aktuelle Staatspleite. Milde Versuche seitens der Regierung, eine Spitzensteuer einzuführen, sowie das mächtige Wirtschaftsimperium der griechisch-orthodoxen Kirche zu besteuern, scheiterten am Parlament, in dem alle Parteien außer der AKEL dagegen stimmten.
Ankunft der Eurokrise
Dann erreichten der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und vor allem der Eurokrise in Griechenland Zypern. Zypriotische Banken waren in Geschäfte mit toxischen griechischen Staatsanleihen verwickelt, was mehrere Pleiten zur Folge hatte. Diese führten schließlich zum Beitritt Zyperns unter den ESM. Christofias musste den Bankensektor wegen der davon abhängigen Wirtschaft und weil sich Zypern anders als zum Beispiel Island in der Eurozone befindet und wenig Spielraum für eine unabhängige Fiskalpolitik besitzt, rekapitalisieren.
Einfach war es für die Troika dennoch nicht. Die Verhandlungen stockten, weil sich Christofias, trotz der Akzeptanz von Lohn- und Rentenkürzungen, dem Druck für Privatisierungen, Streichungen vom Weihnachts- und Urlaubsgeldern und der Abschaffung der automatischen Lohnanpassung an die Lebensmittelkosten widersetzte.
Hier ist vermutlich der Hintergrund der populistischen Kampagne gegen die »russische Geldwäsche« die vor allem in den Reihen der SPD in den letzten Wochen entflammte zu suchen – fast ironisch wirkende Anschuldigungen angesichts der Tatsache, dass Deutschland in internationalen Transparenz-Rankings auf Platz 14 landete, Zypern dagegen auf Platz 7.
Mangelnde Bereitschaft zum Kampf
Der nach eigenen Worten »stolze Kommunist« Christofias antwortete darauf in den letzten Monaten vor allem mit antineoliberaler Rhetorik. Er beschimpfte die Finanzmärkte öffentlich als » Diebe dieser Welt« und bezeichnete als einziger EU-Regierungschef die Krise als eine kapitalistische Krise. Schwierig, sich solche Äußerungen aus dem Mund eines Steinbrücks oder eines Hollandes vorzustellen.
Hier zeigte sich der widersprüchliche Charakter der AKEL am deutlichsten: Ihre Schwächen in der Regierungszeit lagen weniger im Bereich der konkreten Projekte und Reformen, sondern in der mangelnden Bereitschaft und Unfähigkeit, diese angesichts eines verwurzelten und institutionalisierten Widerstandes zu erkämpfen. Jeder Rückzug mit der naiven Hoffnung, die rechten Kräfte zu beruhigen, führte zu einem noch heftigeren Angriff und schließlich zum ESM.
Das Ende der Sozialpartnerschaft
Die jüngsten Wahlen waren ohne Zweifel auch diejenigen, die in der Geschichte der Republik die größte Klassenpolarisierung aufzeigten. Privatisierungen und Sparmaßnahmen und nicht die Zypernfrage waren zentrale Themen.
Alle große Medien hetzten in den letzten Jahren gegen die Regierung. Betroffen davon waren vor allem die angeblich »privilegierten« Angestellten im öffentlichen Dienst. Wie auch in anderen ehemaligen Kolonien bildeten diese jahrzehntelang eine Art Arbeiternehmerelite die fast ausschließlich für rechte Parteien stimmte.
Wackelige Unterstützung für Anastasiades
Im aktuellen Wahlkampf machte Anastasiades gegen diese, eine traditionelle Stammwählerschaft seiner konservativen DISY-Partei, Stimmung. Trotzdem stimmte die überwältigende Mehrheit von ihnen aus einer traditionellen antikommunistischen Abneigung gegen die Linke für ihn. Doch diese Unterstützung wird in aller Wahrscheinlichkeit nicht von Dauer sein.
Anfang Januar kamen Angela Merkel und José Manuel Barroso nach Zypern, um »ihren Mann« für die Präsidentschaft zu unterstützen. Anastasiades versprach, seine enge Freundschaft mit Merkel würde zum Ende der Geldwäschevorwürfe führen – ebenfalls ein wohl kaum ernst gemeintes Versprechen angesichts der vor kurzem enthüllten Verwicklung der Anwaltskanzlei von Anastasiades in einer Affäre mit russischem Schwarzgeld.
Wichtige Wahl für Merkel
Die Wahl von Anastasiades war für Angela Merkel strategisch wichtig. Der Gegenkandidat, der von der AKEL unterstützte unabhängige Technokrat Stavros Malas, forderte Wachstum statt Austeritätspolitik, betonte seine strikte Ablehnung der Privatisierung öffentlicher Betriebe wie der Telekom und versprach, die Einnahmen von den neulich entdeckten Erdgasvorkommen vor der Küste Zyperns für die Wiederherstellung von gekürzten Gehältern anstatt für die Rückzahlung der Schulden zu verwenden. Eine Bedrohung angesichts der Tatsache, dass deutsche Konzerne wie die Telekom Interesse am profitablen zypriotischen Staatsmonopol in der Branche haben.
Zudem ist Zypern das einzige Land Europas, das dem NATO-»light«-Programm »Partnerschaft für den Frieden« noch nicht beigetreten ist. Als erste Tat nach der Wahl versprach Anastasiades einen Beitrittsantrag zu stellen und schloss eine volle NATO-Mitgliedschaft nicht aus; Christofias hatte zuvor einen parlamentarischen Beschluss dazu mit seinem Vetorecht blockiert.
Gute Basis für Abwehrkämpfe
Trotz einer feindseligen Medienlandschaft und obwohl der linke Kandidat Malas nur von der AKEL unterstützt wurde, bekam er 10 Prozent mehr als das durchschnittliche Wahlpotenzial der AKEL. Das zeigt, dass 42 Prozent der Bevölkerung die Basis eines Abwehrkampfes gegen die neoliberalen Angriffe der neuen konservativen Regierung bilden könnten. Unter den gegebenen Umständen ein sehr gutes Ergebnis.
Auch die 20 Prozent Nichtwähler sollten nicht unterschätzt werden. Sie dürften einen Großteil einer wachsenden linksradikalen Szene beinhalten, die aus Protest gegen die AKEL-Politik die Wahl leider boykottierte und so den Sieg für Anastasiades und Merkel leichter machte. Zentral ist nun die Bildung einer gemeinsamen Front der Linken innerhalb und außerhalb der AKEL gegen die bald kommenden Sparpakete, gegen Privatisierung und für eine öffentliche Kontrolle der Erdgasvorkommen. Nur durch den Weg der Einheit kann es zur Entstehung einer kämpferischen Linken auf Zypern kommen, die mit den alten sozialpartnerschaftlichen Traditionen bricht.
Um erfolgreich zu sein, muss eine Vernetzung mit dem europaweiten Kampf gegen Sparpakete vorangetrieben werden – keine Selbstverständlichkeit in einem Land, das sich geographisch näher an Beirut und Kairo als an Athen befindet. Umso dringender sind diese Aufgaben angesichts der faschistischen Gefahr durch den seit einigen Jahren auf Zypern aktiven Ableger der griechischen »Goldene Morgenröte«.
Zur Person:
Leandros Fischer stammt aus Zypern und ist im Studierendenverband die Die Linke.SDS aktiv
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