Ein Deal mit der alten und wohl auch neuen chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet verhalf führenden Aktivisten der Studentenbewegung von 2011 zu Mandaten. Doch der Preis dafür könnte zu hoch gewesen sein, meint Pablo Pulgar Moya.
Der Sieg von Michelle Bachelet in der ersten Runde der chilenischen Präsidentschaftswahlen deutet zwar auf eine linke Mehrheit in der Bevölkerung hin, bedeutet jedoch noch lange keinen Wandel in Richtung einer linken Politik. Mit diesem Problem sind auch die vier Anführer der Studentendemonstrationen von 2011 konfrontiert, die jetzt ins Parlament gewählt worden sind.
Zwei von ihnen gehören der Kommunistischen Partei Chiles (PCCh) an und zwei kleineren Parteien. Die PPCh hatte eine Vereinbarung mit dem Wahlbündnis Bachelets getroffen, damit die weltbekannten Anführerinnen der Studentenproteste Camila Vallejos und Carol Kariola ins chilenische Parlament einziehen konnten.
Schweigen im Wahlkampf
Nach chilenischem Wahlrecht werden in jedem Wahlkreis jeweils zwei Abgeordnete direkt gewählt. Üblicherweise ziehen auf diese Weise ein Kandidat des rechten und ein Kandidat des sozialdemokratisch geführten Blocks ein; kleinere unabhängige Parteien sind benachteiligt. Das Abkommen der PPCh beinhaltete, dass Vallejos und Kariola auf aussichtsreichen Plätzen kandidieren konnten und im Gegenzug Wahlkampf für Bachelet machten.
Während des Wahlkampfs sagte Vallejos: »Bachelet ist die beste Chance, um nun die Rechte zu schlagen«. Als Camila Vallejos Sprecherin der chilenischen Studentenbewegung war, hatte sie jedoch noch versichert, niemals Wahlkampf für Bachelet machen zu wollen. Gabriel Boric, Repräsentant der Autonomen Linken (IA), gewann sein Mandat übrigens ohne Übereinkunft mit Bachelet.
Sicherung des neoliberalen Modells
Nueva Mayoría, das Wahlbündnis von Bachelet, steht für eine Fortsetzung der Politik der letzten 23 Jahre, nämlich die Sicherung des neoliberalen Modells, das unter Diktator Pinochet von 1973-90 durchgesetzt wurde. Trotz ihres Mottos einer Sozialisierung des chilenischen Reichtums trieb Bachelet bereits in ihrer ersten Legislaturperiode von 2006-10 Privatisierungen voran.
Bachelets Sozialpolitik schaffte Ungleichheiten nicht dauerhaft ab. Die Schwächsten der Gesellschaft erhalten eine Sozialhilfe, die diese zwar finanziell unterstützt, aber an ihrer Lage langfristig nichts ändert. Dagegen kämpften auch die Anführer der vergangenen Studentenbewegung. Heute drohen sie Teil dieser Politik zu werden.
Bachelet auf der anderen Seite
Bachelet, die den zweiten Wahlgang mit Sicherheit gewinnen wird, hat bisher nichts anderes als ihre charakteristische Politik angeboten. Die Vereinbarung der Studentenführer widerspricht ihren alten Forderungen.
Die Demonstrationen gegen das profitorientierte Bildungswesen ab 2006 wurden von einer Diskussion über die negativen Folgen des neoliberalen Wirtschaftsmodells begleitet. Der jetzige Einzug dieser jungen Anführer ins Parlament ist aber dadurch geprägt, dass die ehemals starke Kritik an Bachelets damaliger Politik unter Verschluss bleibt.
Unterminiertes Vertrauen
Viele Studenten sind sehr erstaunt, dass ihre Anführer nun Bachelet unterstützend ins Parlament eingezogen sind, während sie vor einigen Monaten noch die Flagge gegen ihre Politik gehisst hatten. Das Vertrauen vieler Studenten und Arbeiter in die Führungsfiguren ist unterminiert.
Ein kleiner Teil der sozialen Bewegungen reagierte schon im Vorfeld, indem er linkere Kandidaten für das Präsidentenamt wie Marcel Claude (Todos a la Moneda) und Roxana Miranda (Partido Igualdad) unterstützte. Diese fordern eine radikale Abkehr vom kapitalistischen Produktionsmodell und kokettieren bisher nicht mit den neoliberalen Maßnahmen Bachelets.
Chance für Antikapitalismus verpasst
Die nun gewählten Abgeordneten haben die Gelegenheit verpasst, den vielzähligen Bewegungen eine Plattform zu bieten und einen stärkeren Wandel zu fordern. Stattdessen milderten sie ihre politischen Ziele durch ihre Anpassung an Bachelet ab.
Zwar arbeiten in Bachelets Nueva Mayoría verschiedene linke Organisationen, um gemeinsam stärker zu sein und so ihrem Ziel der Abschaffung des chilenischen Kapitalismus näher zu kommen. Sie haben es bisher jedoch nicht vermocht, eine antikapitalistische Diskussion in diesem Rahmen überhaupt hörbar zu machen.
Strategie gescheitert
Die Strategie der Studentenführer ist wohl schon jetzt als gescheitert anzusehen: Erstens sind die sozialen Widersprüche in Chile schon jetzt enorm. Bachelet wird das Land in ihrer zweiten Amtszeit in die gleiche Richtung führen und hat die Studentenführer bereits im Vorfeld zum Schweigen gebracht.
Dennoch werden die nächsten Jahre aufgrund der anstehenden Bildungsreformen Jahre großer Demonstrationsbewegungen sein. Nach wie vor setzt Bachelet sich nicht für eine freie Bildung für alle ein, sondern lediglich für eine Ausweitung von Stipendien. Nach Zahlen der OECD hat Chile das teuerste Bildungssystem der Welt. Bachelet wird mit großer politischer Instabilität regieren.
Zweitens zeigt die Wahl, dass die linken Organisationen, Kooperativen, Arbeiter- und Studentengruppen viel zu lernen haben. Über Organisationsprobleme schrieb der Urvater des lateinamerikanischen Marxismus Juan Carlos Mariategui einmal: »Die revolutionäre Arbeit kann nicht isoliert, individuell und zerstreut geleistet werden.«
Zur Person:
Pablo Pulgar Moya ist Doktorand für Philosophie an der Universität Heidelberg, stammt aus Santiago de Chile und hat in Valparaiso studiert, wo er seit 2006 politisch aktiv war. Er ist Mitglied der SAV.
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