Mit dem Verbot der Regierungspartei und dem Rücktritt des Präsidenten erreicht der Konflikt in Thailand einen neuen Höhepunkt. Der Sozialist Giles Ji Ungpakorn berichtet aus Bangkok über die Hintergründe der Auseinandersetzungen.
Am Dienstag den 2. Dezember hat das Verfassungsgericht die demokratisch gewählte Regierungspartei in Thailand zum zweiten Mal aufgelöst und die Regierung zum Rücktritt gezwungen. Zuvor verweigerten Militär und Polizei, Anweisungen der Regierung, die beiden internationalen Flughäfen zu räumen. Diese waren von bewaffneten Faschisten der PAD (»Volksbündnis für Demokratie«) blockiert worden. Das monarchistische Bündnis gegen die Regierung setzt sich aus der faschistischen PAD, dem Militär, der Polizei, den Gerichten, den wichtigsten Medien, der »Demokratischen Partei«, der überwiegenden Zahl der Akademiker aus der Mittelschicht und der Königin zusammen. Sie alle stehen hinter diesem »Justizputsch«. Ein prominenter Abgeordneter der „Demokratischen Partei« ist einer der Anführer der Flughafenblockaden. Die PAD-Anhänger mit ihren gelben T-Shirts (Farbe des Königs) haben »bewaffnete Wächter«, die schon öfter politische Gegner erschossen haben. Sie wenden Gewalt an und fordern nun, gemeinsam mit der Polizei Streife zu fahren. Die PAD hat die Gesetze dauernd gebrochen, trotzdem sind ihre Mitglieder „unberührbar«. In den seltenen Fällen, in denen PAD-Führer vor Gericht mussten, wurden sie auf Kaution freigelassen und begingen die gleichen Verbrechen wieder.
Die Mehrheit der sehr armen thailändischen Bevölkerung sieht sich einem doppelten Angriff ausgesetzt. Zum einen versuchen die monarchistischen Eliten alles, um ihnen ihre demokratischen Grundrechte zu nehmen. Zweitens kommt es als Folge der Flughafenblockladen zu massenhaften Arbeitsplatzverlusten in der Tourismusindustrie. Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und der Elektronikindustrie sind ebenso betroffen, und zusätzlich sehen wir uns einer ernsten Weltwirtschaftskrise gegenüber. Die Eliten kümmert es nicht, wenn die Wirtschaft zerstört wird und Thailand wieder zu einem verarmten Dritte-Welt-Land wird. Denn auch in solchen Ländern können diese Eliten weiterhin das gleiche Leben wie Reiche in der entwickelten Welt führen. Die PAD-Demonstranten sind kommen mehrheitlich aus der Mittelschicht. Im Gegensatz zu Arbeitern müssen sie nicht zur Arbeit, daher der andauernde Protest.
Ständig erzählen uns die Konservativen, die Armen seien „zu dumm für das Wahlrecht«. Im Jahr 2006 putschte die Armee und schrieb die Verfassung neu, um den demokratischen Spielraum einzuengen und auch, um sich selbst von allen Missetaten freizusprechen. Die Wähler haben sich wiederholt mit überwältigender Mehrheit für die Regierungspartei entschieden, egal, ob sie wie damals Thai Rak Thai hieß oder wie heute Peoples Power Party. Jetzt sammeln sich Politiker der nun aufgelösten Peoples Power Party in der neuen Pua Thai Party. Wird es eine faire Wahl geben? Oder werden die Eliten dafür sorgen, dass ihre Leute gewinnen?
Was sind die Wurzeln der aktuellen Krise?
Der wahre Grund für die Krise ist nicht die Korruptheit der früheren Thaksin-Regierung. Es geht nicht um die Stimmenkäufe, Bürgerrechte oder die „Herrschaft des Gesetzes«. Politiker aller Parteien, die „Demokraten« eingeschlossen, sind dafür bekannt, Stimmen zu kaufen. Die Eliten, seien es Politiker, hohe Beamte oder Militärs, blicken auf eine lange Tradition ekelhafter Korruption zurück. Selbst wenn sie kein Gesetz gebrochen haben, wurden sie auf dem Rücken der Arbeiter und Kleinbauern reich. Die Demokratische Partei ist voll mit solchen Millionären.
Ironischerweise hat gerade die Thai Rak Thai dabei geholfen, die Bedeutung der Stimmenkäufe zu reduzieren, weil sie die erste Partei seit Jahrzehnten ist, die eine Politik verfolgte, die den Armen zugute kam. Sie führte eine allgemeine Gesundheitsvorsorge ein und richteten keynesianistisch motivierte Hilfsfonds für Dörfer ein. Solche Maßnahmen lagen der Wahlentscheidung der Leute zugrund.
Die „Demokraten« und die konservativen Eliten hassen das Bündis zwischen der Unternehmerpartei Thaksins und den Armen. Sie hassen alleine schon die Idee, dass eine Regierung öffentliche Mittel verwendet, um das Leben der Armen zu verbessern. Deshalb ist das regierungsfeindliche Bündnis auch gegen die Demokratie. Die PAD hat vorgeschlagen, die Anzahl der gewählten Angeordneten zu reduzieren, außerdem will sie das Prinzip „eine Mensch, eine Stimme« loswerden. Die wirkliche Wurzel der heutigen Probleme sind also die Verachtung der Eliten für die Armen sowie ihre Verachtung für die Demokratie. Sie sind jederzeit bereit, sich über jedes Gesetz hinwegzusetzen, wenn das gerade ihren Interessen dient.
Was ist die Lösung?
Führende Geschäftsleute und die monarchistischen Eliten fordern eine nicht gewählte nationale Regierung. Der Führer der „Demokratischen Partei« bietet sich „freiwillig« als Ministerpräsident so eines Regimes an! So eine nationale Regierung würde den „Justizputsch für die Reichen« vollenden. Sie wäre ein Sieg für die PAD und eine Niederlage für die Wähler.
Die „Red Shirts« (oder Rothemden, wegen der roten T-Shirts), die von Regierungspolitikern organisiert werden, sind momentan die einzige Hoffnung für die Demokratie in Thailand. Sie haben sich zu einer Massenbewegung der Armen für Demokratie entwickelt. Diese Bewegung verstehen wir als „Zivilgesellschaft«, nicht die PAD-Faschisten. Die Akademiker in Thailand können diese simple Tatsache nicht erkennen. Aber die Rothemden sind keine einheitliche Kraft. Viele haben noch Illusionen in den ehemaligen Ministerpräsidenten Thaksin. Sie übersehen seine grausamen Menschenrechtsverletzungen im Süden des Landes genauso wie den „Krieg gegen Drogen«. Diese Menschenrechtsthemen werden allerdings auch von der PAD und ihren Freunden völlig ignoriert.
Während dieser ganzen dreijährigen Krise hat die Mehrheit der thailändischen NGOs (besonders das NGO-Koordinationskomitee) völlig versagt, die Demokratie zu verteidigen. Viele freuten sich sogar über den Militärputsch von 2006. Viele unterstützten die Militärverfassung. Jetzt sind sie entweder verstummt oder sie plappern die Forderungen des Armeechefs nach, der letzte Woche den Rücktritt der Regierung verlangte. Keinen Moment lang haben sie versucht, eine soziale Bewegung für die Demokratie in Thailand aufzubauen. Viele Mitglieder der NGOs sind selbst davon überzeugt, dass die Armen zu ungebildet zum Wählen seien, dass sie nicht über genug Information verfügten. Die einzigen positiven Ausnahmen sind Betreiber des alternativen Onlinebildungsprojekts Midnight University in Chiang-Mai, einige Flügel der Arbeiterbewegung, neuere NGOs und „Turn Left«.
Die ökonomische Krise
Millionen von Arbeitsplätzen werden durch die Weltwirtschaftskrise und die Unruhen in der Gesellschaft in Thailand vernichtet. Viele Menschen werden in die Armut zurückgeworfen. Die „Demokratische Partei«, die konservativen Eliten und die meisten NGOs haben keine Ideen für eine Politik, die den Lebensstandard der Armen zumindest schützen könnte, oder aber es ist ihnen einfach egal. Sie singen Loblieder auf die Politik der (wirtschaftlichen) „Unabhängigkeit«, die der König vertritt, sowie auf die Notwendigkeit von „Steuerdisziplin«. Mit anderen Worten, die Armen sollen gefälligst den Gürtel enger schnallen und lernen, mit ihrer Armut zu leben, während die Reichen weiter im Luxus schwelgen.
Wir brauchen dringend massive öffentliche Ausgaben für die Infrastruktur, den Schutz von Arbeitsplätzen und eine ernsthafte Ausweitung der Sozialleistungen. Die Mehrwertsteuer sollte gesenkt oder ganz abgeschafft werden, und die reichen Eliten sollten ohne Ausnahme mit direkten Steuern belegt werden. Das aufgeblasene Militärbudget muss drastisch gekürzt, die Löhne der Arbeiter müssen erhöht werden. Arme Bauern müssen geschützt werden. Das alles kann nur unter demokratischen Verhältnissen erreicht werden. Das ist der Grund, warum wir uns gegen diesen zweiten „Putsch für die Reichen« wehren müssen.
Zum Autor:
Giles Ji Ungpakorn ist außerordentlicher Professor an der Politischen Fakultät der Chulalongkorn Universität in Bangkok (Thailand). Mehr Informationen auf Englisch/Thailandisch unter http://www.pcpthai.org/ oder http://wdpress.blog.co.uk/
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