Die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe war gut für die Investoren und schlecht für die Bewohner der Stadt. Jetzt wurden die vormals geheimen Privatisierungsverträge öffentlich – und werfen Fragen über die Rolle der LINKEN auf. Von Werner Halbauer
Zum Text: Der Artikel ist eine Vorabveröffentlichung der marx21 Winter Ausgabe. Das neue Heft ist ab 10. November 2010 erhältlich. Hier kostenfreies Probe Heft bestellen.
Im Jahr 1999 verkaufte das Land Berlin für 3,3 Milliarden Mark einen Anteil von 49,9 Prozent an seinen Wasserbetrieben. Der damalige CDU/SPD-geführte Senat versprach goldene Zeiten für die Stadt: Die Wasserbetriebe sollten zum überregionalen Versorgungsdienstleister umgebaut werden – und damit zum potenziellen Goldesel für den gebeutelten Haushalt der Stadt. Der Preis für diese Vision war eine ungewöhnliche Konstruktion: Die neuen Minderheitseigner, RWE Aqua und Veolia Wasser, erhielten die vollen Kontrollrechte über das operative Geschäft der Wasserwerke. Diese nutzten sie dann auch sofort, allerdings nicht in die vom Senat versprochene Richtung: Die Wasserbetriebe trennten sich weitgehend von jenen Teilen ihres Geschäfts, mit denen sie in Konkurrenz zu anderen Unternehmen standen – etwa der Telekommunikation oder der Abfallverwertung. Stattdessen konzentrierten sie sich auf ihr Monopol, das Berliner Wasser. Statt der versprochenen neuen Arbeitsplätze wurden Stellen abgebaut. Derzeit arbeiten bei den Wasserbetrieben – inklusive der übrig gebliebenen Tochtergesellschaften – nur noch 5283 Mitarbeiter. Im Jahr 1999 waren es noch 6265.
Auch für die Berliner Bevölkerung war der Verkauf ein schlechter Deal – die Wasserpreise stiegen um 30 Prozent, so stark wie in keiner anderen Stadt. Die Ursache dafür waren nicht etwa gestiegene Betriebskosten, sondern eine in den Verträgen festgeschriebene Gewinngarantie für die privaten Investoren. Die Kosten dafür wurden in die Wassertarife eingerechnet. Sprich: Sie wurden von den Berlinern bezahlt. Der Unmut darüber ist groß. Doch der Vertrag zwischen Berlin und den Konzernen war geheim. Und gegen etwas, das niemand kennt, kann man keinen Kampf führen. Deshalb hatte die Bürgerinitiative »Berliner Wassertisch« ein Volksbegehren eingeleitet, das auf die Offenlegung der Geheimverträge abzielte. Mit großem Erfolg – statt der benötigten 172.000 kamen 280.000 Unterschriften zusammen. Getragen wurde die Kampagne von einem breiten Bündnis mit vielen Aktiven, darunter zahlreichen Mitglieder der LINKEN in Berlin.
Just als die Bürgerinitiative ihren Sieg feierte, platzte die Bombe: Die taz veröffentlichte die ihr zugespielten Geheimverträge auf ihrer Redaktionshomepage.
Im Wesentlichen bestätigen die Verträge die Kritiker der Vereinbarung: In ihnen ist festgelegt, dass das Land Berlin in jedem Fall die privaten Anteilseigner schadlos halten muss. Sie durften sich daher zuerst aus den Gewinnen der Wasserbetriebe bedienen – das Land musste nehmen, was übrig blieb. Fragen tauchen zur Rolle der LINKEN auf. Als die Vorgängerpartei PDS im Jahr 2001 in die Koalition mit der SPD eintrat, »erbte« sie das Problem der teilprivatisierten Wasserwerke ebenso wie ein Urteil des Landesverfassungsgerichts. Dieses hatte noch 1999 die Grundlage für die Gewinngarantie für verfassungswidrig erklärt – weil Monopolgewinne ohne Verbindung zu realen Betriebskosten nicht verhältnismäßig sind. In der aufgrund einer Klage der PDS-Fraktion vom Verfassungsgericht geforderten Novelle des Teilprivatisierungsgesetzes wurde im Jahr 2004 die Gewinngarantie aus dem Gesetz entfernt und stattdessen im Geheimvertrag eine Regelung für die 1999 garantierte Kalkulation inklusive der Renditegarantie gefunden. Sie wurde durch Wirtschaftssentor Harald Wolf (PDS) ausgehandelt. Darin wurde das stufenweise Ansteigen der Wasserpreise festgelegt, um die Gewinnforderungen der Konzerne zu bedienen, ohne dabei auf den Stadthaushalt zurückgreifen zu müssen. Der Landesvorstand der Berliner LINKEN hat nun, kurz nach diesen Enthüllungen, Stellung bezogen: »In der Novelle des Teilprivatisierungsgesetzes und der Verträge 2004 musste für die 1999 garantierte Kalkulation inklusive der Renditegarantie eine gebührenrechtlich zulässige und tragfähige Grundlage gefunden werden. Andernfalls wäre das Land aus den Verträgen von 1999 direkt in Anspruch und Haftung genommen worden. Die Aushandlung und Schaffung dieser Grundlage glich der Wahl zwischen Pest und Cholera. Es ist ein Mythos, dass das Land Berlin sich 2004 einseitig von den 1999 geschlossenen Verträgen und geschaffenen Tatsachen hätte lösen können.«
Diese Feststellung ist sachlich richtig: Die Geheimverträge hätten auch unabhängig vom Teilprivatisierungsgesetz Bestand gehabt. Ein Ausstieg aus den Verträgen hätte Regressforderungen der Konzerne nach sich gezogen. Umso wichtiger wäre es damals gewesen, den Schritt zu machen, den die Bürgerinitiative »Berliner Wassertisch« Jahre später erfolgreich vollzogen hat: die Mobilisierung der Öffentlichkeit gegen das skandalöse Vertragswerk, das schließlich nicht DIE LINKE zu verantworten hatte, sondern maßgeblich die CDU und SPD. Das hätte wahrscheinlich die Koalition erheblich belastet, weil dadurch das von Klaus Wowereit kultivierte linke Image der Berliner SPD beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Dieser Schritt wurde zugunsten von Geheimverhandlungen im Hinterzimmer unterlassen – zum Schaden der Partei jetzt. Denn statt der eigentlich Verantwortlichen aus der SPD und der CDU steht jetzt zusammen mit dem Wirtschaftssenator Harald Wolf DIE LINKE im Fokus der Empörung über die skandalösen Abmachungen – und trotz großer Anstrengungen der Mitgliedschaft, dem Volksbegehren zum Erfolg zu verhelfen.
Der Landesvorstand der LINKEN muss sich fragen lassen, warum er in Kenntnis dieses Sachverhalts das Volksbegehren für die Offenlegung der Verträge bisher nicht unterstützt hat. Die Veröffentlichung der Verträge durch die taz erfüllt noch nicht die Forderung des Volksbegehrens nach Offenlegung aller Geheimverträge und Nebenabreden des Wassergeschäfts. DIE LINKE ist aufgefordert, den Gesetzentwurf des Volksbegehrens im Abgeordnetenhaus einzubringen, denn erst, wenn auf einer gesetzlichen Grundlage alle Dokumente öffentlich zugänglich sind, kann juristisch gegen die Regelungen zugunsten der privaten Anteilseigner in den Geheimverträgen vorgegangen werden.
Insgesamt stellt sich die Frage, ob DIE LINKE gut beraten ist, sich mittels Regierungskoalitionen in Situationen hineinzumanövrieren, wo sie, wie selbst festgestellt, nur noch »die Wahl zwischen Pest und Cholera« hat. Die Verwicklungen rund um die Berliner Wasserbetriebe bezeichnen deutlich, wie begrenzt DIE LINKE unter den gegebenen kapitalistischen Rahmenbedingungen in Regierungen positiv tätig werden kann. »Sozialistische Politik ist es nicht, Gebühren zu erhöhen«, wusste der heutige Landesvorsitzende der Berliner LINKEN, Klaus Lederer, schon 2003 vor den Nachverhandlungen mit RWE und Veolia. Als Entschuldigung für eine Politik zulasten der Bevölkerung kann auch nicht akzeptiert werden, wenn er erklärt, »wir haben ja auch kein sozialistisches Erbe angetreten«. Die große Resonanz des »Volksbegehrens – Wir Berliner wollen unserer Wasser zurück« öffnet jetzt den politischen Weg zur Rekommunalisierung der Wasserbetriebe. Für die ungenutzte Zeit in dem Jahrzehnt seit der Privatisierungsentscheidung durch SPD und CDU tragen auch LINKE-Politiker wie Harald Wolf und Klaus Lederer die Verantwortung, weil sie die Koalitionsräson im rot-roten Senat über die Mobilisierung der Öffentlichkeit gestellt haben.
Zum Autor:
Werner Halbauer ist Mitglied im Bezirksvorstand der LINKEN in Berlin-Neukölln.
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