Ego-Shooter sind gewaltverherrlichend und stumpfen ab, meinen wir zu wissen. Das Kriegsspiel »Spec Ops: The Line« ist jedoch ganz anders, meint Richard Plant
Der Raum von Kunst und Literatur ist ein seltsam unbestimmter Ort, eine Halbwelt zwischen unseren alltäglichen Erfahrungen und der Vorstellungswelt der Autoren und Künstler – ein Ort möglicher Realität.
Bei Computerspielen ist die ohnehin schon verwickelte Dynamik zwischen Publikum und Schöpfer noch komplizierter. Ein Spiel kann man nicht passiv konsumieren, es bezieht einen in einem Maße in die Handlung mit ein, wie es kein anderes Medium vermag.
Ideologische Weltsicht
Vor diesem Hintergrund kann man sich nur wundern, dass die Praxis der Naturalisierung einer extrem ideologischen Weltsicht, wie sie in den meisten bekannten Computerspielen zur Anwendung kommt, so selten durch politisch motivierte Kritik offengelegt wird.
Natürlich wird auch das Spiel »Spec Ops: The Line« diese Tatsache nicht ändern. Von einem einzelnen Werk wäre das auch zu viel erwartet.
Besondere Klarheit
»Spec Ops« ist eine im Setting und medial zeitgenössisch adaptierte Interpretation von Joseph Conrads Roman »Herz der Finsternis«. Solche in einer und für eine kapitalistische Gesellschaft erschaffenen Werke zeigen oft deren Widersprüche mit besonderer Klarheit auf.
Zwangsläufig beleuchten sie immer wieder auch die Verdorbenheit, die den edelmütigen Idealen zugrunde liegt. Diesen Prozess bezeichnete der sozialistische Kulturwissenschaftler Alan Sinfield als Offenlegung von Bruchstellen, die den scheinbar sicheren Grund der Klassengesellschaft zerreißen.
US-Armee in Dubai
»Spec Ops« handelt von den Heldentaten einer Spezialeinheit der US-amerikanischen Armee, die in die Ruinen des zerstörten Dubai geschickt wird. Dort soll sie das Verschwinden eines Armeeregiments untersuchen.
Wie die meisten kommerziellen Erzeugnisse hält sich auch dieses Spiel an eine bewährte Formel: Solange schießen, bis keiner mehr übrig ist, im nächsten Schritt von vorne anfangen. Die Frage aber lautet: Wen bringt man um, und warum?
Grauen des Krieges
Das Spiel teilt zwar die Besessenheit von Terrorismus, Aufständen und imperialer Kontrolle, die in vielen Blockbustern zu beobachten ist. Aber es benutzt die stereotype Personage für seine eigenen Tricks.
Am Anfang sind es noch arabische Angreifer, die niedergeschossen werden, bald schon ähneln sich Spieler und Gegner aber immer mehr. Ideologisch liegt das Spiel eher auf der Linie des Films »Apocalypse Now« als von »Schlacht um Algier«, es richtet sich gegen das Grauen des Krieges, weniger gegen den Krieg an sich.
Eigene Taten kritisieren
Das Spannendste am Aufbau von »Spec Ops« ist, wie Spielerinnen und Spieler angehalten werden, ihre eigenen Taten noch während der Ausführung zu kritisieren, sogar zu verabscheuen. Hier kommt ein geschickter Schachzug zur Anwendung. Die Spielerinnen und Spieler müssen die im Genre verbreiteten abgedroschenen Spielzüge durchlaufen, um voranzukommen.
Gleichzeitig werden sie ständig dazu aufgefordert, die moralischen Konsequenzen zu bedenken: Auch wenn für das Töten von Hunderten gesichtslosen Gegnern keine klare Begründung geliefert wird, ist keine Alternative möglich – außer das Spiel abzubrechen.
Reflektiertes Computerspiel
Ähnlich wie in Michael Hanekes Film »Funny Games« wird hier die Motivation, überhaupt weiterzumachen, in Frage gestellt. Dabei bezieht ein Computerspiel das Publikum natürlich noch viel mehr mit ein. Die Gewalt wird nicht nur angeschaut – ohne den eigenen Einsatz gäbe es sie gar nicht.
»Spec Ops« ist ein erstes Anzeichen dafür, dass auch die von hirnlosen Blockbustern verseuchte Welt der Computerspiele nicht strukturell immun gegen kritische Reflexion ist.
Das Spiel:
Spec Ops: The Line
Design: Yager Development
2K Games 2012
Für Microsoft Windows, Playstation 3, Xbox 360
50 bis 60 Euro
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