Mit Streiks und der Besetzung des Landesparlaments antwortet der öffentliche Dienst im US-Bundesstaat Wisconsin auf die amerikanische Variante der Schuldenbremse. Die Demonstranten stellen ihren Senator Walker in eine Reihe mit dem ägyptischen Ex-Diktator Mubarak und inspirieren Menschen bis hin auf den Philippinen. Elizabeth Schulte und Lee Sustar berichten
Wisconsin ist vollständig von protestierenden Menschen übernommen worden – sie sind überall, auf den Straßen und im Capitol, dem Parlamentsgebäude. Mindestens 100.000 Menschen aus ganz Wisconsin und anderen Gegenden der USA versammelten sich am Samstag, 26. Februar, in der Hauptstadt Madison, um gegen die Gesetzesvorlage des republikanischen Gouverneurs Scott Walker zu protestieren. Walker will neben Sparmaßnahmen das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und den automatischen Abzug der Gewerkschaftsbeiträge vom Lohn abschaffen.
Außerhalb des Capitols marschierten Arbeiterinnen und Arbeiter, Studierende und Familien in großen und kleinen Blocks. Selbst die Polizei musste zugeben, dass es der bisher größte Protest gegen Walkers Angriff war. Im Capitol, das von Arbeiterinnen und Arbeitern sowie Studierenden seit fast zwei Wochen besetzt gehalten wird, haben die Protestierenden die Kontrolle übernommen.
Parlament besetzt
Am Abend des Samstags drohte die Polizei der Bewegung mit der Räumung des Gebäudes. Aber die Demonstranten hielten ihre Besetzung im Capitol aufrecht – dank hunderter Aktivisten, die sich weigerten, den Aufrufen einiger führender Leute der Bewegung zur Aufgabe des Ort zu folgen. Die Polizei machte einen Rückzieher, obwohl sie Verhaftungen angedroht hatte.
Gleichzeitig erhöhte Walker den Druck durch die Ankündigung von Entlassungen am 1. März, wenn die Demokraten im Senat von Wisconsin nicht in den Staat zurückkehrten und seiner Gesetzesvorlage zustimmten. Vierzehn Senatoren hatten kürzlich den Bundesstaat verlassen, um Beschlussunfähigkeit für die Republikaner im Staatssenat herzustellen.
Kürzen bei den Armen
Walkers »Haushaltsrettungsgesetz« würde nicht nur die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ihrer Gewerkschaftsrechte berauben, sondern zu scharfen Einschnitten im Haushalt mit langfristigen Nachteilen für Arbeiterfamilien führen. Staatsbeschäftigte müssten mehr für ihre Kranken- und Rentenversicherung zahlen und Gesundheitsprogramme wie Medicaid oder BadgerCare für Kinder von Familien mit geringem Einkommen würden gekürzt.
Dagegen kämpfen Studierende und Arbeiterinnen und Arbeiter in Wisconsin, und am vergangenen Wochenende machten sie und ihre Unterstützer sich mit Bussen nach Madison auf, um dort mit Demonstrationen Stellung zu beziehen in einem Kampf für alle Beschäftigten.
»Macht Wall Street verantwortlich!«
»Ich bin hier, um die Staatsbeschäftigten zu unterstützen, die in der Presse als nutzlos verleumdet worden sind«, sagte Donna Doyle, eine ehemalige Staatsangestellte im Ruhestand, die 35 Jahre lang für den Staatssenat von Wisconsin gearbeitet hat. Sie trug verschiedene Anstecker, einen von der Nationalen Krankenpflegergewerkschaft (NNU), auf dem stand: »Macht Wall Street verantwortlich, keine Zugeständnisse!«
»Das Wichtigste ist: wenn jemand anfängt, einem anderen Rechte wegzunehmen, dann wird er allen die Rechte wegnehmen«, meinte Doyle weiter. »Wenn man also im Bundesstaat Wisconsin lebt, muss man aufstehen und ›Nein‹ sagen. Das ist Demokratie.«
Gewerkschaften kämpfen
Es schien, als ob jede nur erdenkliche Gewerkschaft am 26. Februar da war, um ihre Ablehnung von Walkers Angriffen zu zeigen. Die Gewerkschaft des öffentlichen Diensts AFSCME, die NNU, die Internationale Dienstleistungsgewerkschaft SEIU, die Gewerkschaften für Stahl- und Walzblecharbeiter, für Kesselmacher und Beschäftigte des Energiesektors, die Teamsters (Lkw-Fahrer), Bauarbeiter- und Pilotengewerkschaft und viele, viele mehr.
Überall waren Lehrer und Dozenten, ihre Schüler, Studenten und ihre Familien. Viele trugen Schilder mit der Aufschrift: »Kümmert euch um die Lehrer, so wie die Lehrer sich um eure Kinder kümmern.«
»Ich begreife nicht, wie man erwarten kann, dass Kinder ihr Lernpensum schaffen, wenn man bei den Lehrern kürzt, das ist unglaublich verletzend«, sagte Erika Ruhl, die soeben ihre Ausbildung an der Marquette-Universität in Milwaukee beendet hat.
Erzieher im Ausstand
»Ich bin auch für meine Mutter hier«, ergänzte Ruhl. »Sie lehrt an einem technischen Gymnasium in Appleton und hatte Glück, weil ihre Gewerkschaft schon die Verhandlungen abgeschlossen hatte«, bevor Walkers Gesetzesvorlage eingebracht wurde. »Aber andere werden es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Im Moment ist ihr Job gesichert, aber was ist, wenn ihr Vertrag ausläuft?«
Eine andere Studentin, Caitlin Brock, pflichtete dem bei: »Ich mache mir insbesondere Sorgen über das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen für Lehrer und andere Staatsbeschäftigte«, sagte sie. »Als Tochter eines Erziehers mache ich mir Sorgen über diesen Umgang mit Menschen, die unsere Kinder schulen.«
Mubarak = Walker
Überall gab es handgemalte Plakate, die von großer Kreativität und einer Menge Humor zeugten. »Bibliothekare werden sich nicht zum Schweigen bringen lassen«, hieß es auf dem Schild eines Demonstranten in einer Gruppe von Kollegen. Auf einem anderen gab es drei einfache Forderungen: »Bier, Bälger und Tarifvertrag«.
Die Demonstranten nahmen kein Blatt vor den Mund angesichts ihrer Wut über Scott Walker. Auf einem Plakat, auf dem der Gouverneur als Marie Antoinette dargestellt war, hieß es: »Lasst sie Käse essen« – und jeder weiß, wie es der französischen Königin 1789 erging. Ein anderes Schild zeigte ein Bild des gestürzten ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak neben Walker, daneben die Worte: »Ein Diktator ist schon weg. Einer fehlt noch.«
Vorzüge von Provokateuren
Walkers Anhänger von der Tea Party, die Koch-Brüder, ihres Zeichens Milliardäre, waren ein beliebtes Ziel für den Spott der Protestierenden. Ein paar Tage zuvor war Walker in ein Telefongespräch hinein getrickst worden mit einem Blogger, von dem er annahm, es sei David Koch. Der aufgenommene Dialog offenbarte Walkers wirkliche Einstellung, als er die Vorzüge von Provokateuren diskutierte, die in die Menge eingeschleust werden.
Demonstranten standen Schlange, um in das Capitol selbst zu gelangen. Demonstranten hatten am 15. Februar begonnen, das Gebäude zu besetzen. Seitdem hat sich das Gebäude aus weißem Marmor deutlich verändert – von einem stillen und kalten Ort, an dem sich die Abgeordneten gegenseitig auf die Schulter klopfen und Gesetze verabschieden, mit denen sie Konzernen Steuersenkungen schenken, in eine laute und rebellische Stadt in der Stadt, dekoriert mit farbenfrohen Solidaritätsbekundungen.
Lebensmittel und Kinderbetreuung
Entlang einer Treppe sind die Wände dicht behängt mit Ausdrucken von Botschaften an Walker und Abgeordnete, in denen gefordert wird, gegen Walkers Gesetz zu stimmen. Es sind über 10.000.
Es gibt Lebensmittel und Wasser und eine Kinderbetreuung. Selbst ein Fundbüro wurde eingerichtet, in dem Hüte, Jacken, Handschuhe, Schals jeweils auf getrennten Haufen liegen. Freiwillige arbeiten rund um die Uhr, sammeln Müll auf, säubern die Böden, damit das historische Gebäude keinen Schaden nimmt.
Der beliebteste Ruf ist: »So sieht Demokratie aus!« – die Parole der globalisierungkritischen Bewegung der 90er Jahre. Und sie traf niemals besser auf die Stimmung einer Gruppe von Menschen zu als heute in Madison.
Irakveteranen gegen Walker
Die Demonstranten wechseln sich am Mikrofon ab und hunderte von Menschen jubeln und rufen von den Balkonen der oberen Geschosse. Ein Mitglied der Irakveteranen gegen den Krieg stand mit seinen Veteranenkollegen und Soldaten dort und erzählte der Menge: »Wir sind öffentlich Bedienstete und wir stehen an eurer Seite.« Diese Botschaft war von besonderer Bedeutung, weil Walker versprochen hatte, die Nationalgarde gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter einzusetzen, wenn sie sich zu streiken trauten.
Transparente und Plakate hängen von den Balkonen und bedecken jedes Fleckchen an den Wänden, Botschaften von Gewerkschaften aus Kalifornien bis New York. Weißes Papier wird mit Forderungen bemalt wie: »Kill the Bill!« (Killt das Gesetz), »Kill the WHOLE Bill!« (Killt das GANZE Gesetz), »Besteuert die Reichen«.
Demos im Capitol
Von Zeit zu Zeit demonstrieren Leute in kleinen Zügen durch das Gebäude, andere jubelen ihnen zu und stimmen in ihre Rufe mit ein. Am Samstag nahmen Lehrer mit ihren Schülern teil, Ärzte in weißen Kitteln und um den Hals gehängten Stethoskopen, Bauarbeiter mit ihren Helmen. Die Feuerwehrleute erhielten am meisten Zustimmung. Bekleidet mit ihren Feuerwehrhelmen und Stiefeln wurden sie von einer Gruppe Dudelsackspieler angeführt, die »Amazing Grace« spielten. Die Leute um das Gebäude erhoben die Fäuste.
Die Feuerwehrleute gehörten zu denen, die abwechselnd das Capitol nachts mit besetzten, weil sie wissen, dass es für die Polizei schwieriger ist, die Studenten und Schüler rauszuschmeißen, wenn die Feuerwehrleute ebenfalls dort übernachten.
In der Nacht vor der Freitagsdemonstration rief sogar der Verband der Berufspolizei (WPPA) dazu auf, im Capitol zu übernachten. »Die Ordnungskräfte des Bundesstaats haben beim Capitol gearbeitet und waren sehr beeindruckt, wie friedlich alle waren«, erklärte WPPA-Chef Jim Palmer am Freitag. Er ergänzte: »Ordnungskräfte kennen den Unterschied zwischen richtig und falsch, und Gouverneur Walkers Versuch, die kollektive Stimme der sich aufopfernden Bediensteten Wisconsins zum Schweigen zu bringen, ist falsch.«
Polizei zwischen den Stühlen
Die gewerkschaftsfreundliche Haltung der Polizei zählte am Sonntag, 27. Februar, nicht viel, als hunderte Polizisten eingesetzt wurden, um die Protestierenden einzuschüchtern, damit sie ihre Besetzung aufgäben. Die Androhung von Massenverhaftungen lösten Debatten aus, wie – oder ob überhaupt – die Besetzung aufrechtzuerhalten sei.
Die Polizei hatte verkündet, dass sie am Sonntag um 16 Uhr den Zugang zur Capitol versperren werde. Mittags bewiesen sie, dass sie es ernst damit meinten, als sie etwa 2.000 Menschen daran zu hindern versuchten, das Gebäude zu betreten.
Im Gebäude verwandelten sich die Reden am offenen Mikrofon in scharfe Auseinandersetzungen. Etliche Redner drängten darauf, den Anordnungen der Polizei zur Räumung zu folgen.
Scharfe Auseinandersetzungen
Der bekannteste unter ihnen war der Demokrat Brett Hulsey, der im Herbst fast die Wiederwahl gegen seinen Herausforderer von den Grünen, Ben Manski, gewonnen hätte. Hulsey dominierte das Mikrofon und argumentierte, alle sollten das Haus friedlich verlassen, so Ashley Smith, ein Sozialist aus Vermont. »Hulsey sagte, wir sollten mit ihm friedlich rausgehen und morgen zurückkommen.«
Rund 100 Menschen folgten Hulsey aus dem Gebäude, wo er weiter argumentierte, dass die Menge sich auflösen solle. Innen jedoch riefen die Aktivisten »Lasst sie rein«, und die Polizei gestattete 100 Menschen den Zutritt, was die Moral derer hob, die die Besetzung fortführen wollten.
Dennoch argumentierten etliche Leute, die zur Führung der Bewegung gehörten – auch prominente Mitglieder der Gewerkschaft der wissenschaftlichen Hilfskräfte (TAA) der Universität Wisconsin – für einen Rückzug.
Bleiben oder gehen
Zuvor hatte die TAA der Aufforderung der Polizei entsprochen, Lebensmittel aus dem Gebäude rauszuholen, wodurch es schwieriger wurde, die Besetzung aufrechtzuerhalten. Am Sonntagnachmittag argumentierten Mitglieder der Gewerkschaft, dass es nur die Möglichkeit gab, das Gebäude freiwillig zu verlassen oder aber verhaftet zu werden. Etlichen Leute wurde das Mikrofon verwehrt, weil sie für die Aufrechterhaltung der Aktion plädieren und Unterstützer aufrufen wollten, zum Capitol zu kommen.
»Sie sagten: ›Entweder du bleibst, oder du gehst.‹ Entweder raus oder zur ersten Etage, wo wir unserem Schicksal entgegensehen würden«, sagte Sarah Blaskey, leitende Redakteurin der Studentenzeitung The Clarion an der Technischen Hochschule Madison. »Aber es gab etliche Leute, die sagten, dass sie weder das eine noch das andere tun wollten – dass sie nicht wüssten, ob sie verhaftet werden wollten. Wegen der Aufforderung, das Gebäude zu verlassen, schrumpfte die Menge aber ziemlich schnell.«
»Standhaft bleiben!«
Dennoch waren hunderte andere bereit zu bleiben. Das wurde deutlich, als Katrina Flores, eine Leiterin der Studentengruppe der Nationalen Studierendenbewegung Chicano de Aztlán (MEChA) an der Universität Washington schließlich ans Mikrofon kam und erklärte, wenn eine große Zahl von Menschen bereit wären, die Nacht im Gebäude zu verbringen, dann würde die Polizei einen Rückzieher machen. Ihr Argument wurde mit den Rufen »Standhaft bleiben! Standhaft bleiben!« aufgenommen.
Als die Menschen nach oben gegangen waren, wurde Polizei sowohl unten als auch über ihnen zusammengezogen. Unterdessen beriet sich eine Frau, die sich mit einem Button als »Angestellte der demokratischen Versammlung« auswies, mit dem Capitol-Polizeichef Charles Tubbs und telefonierte mit ihrem Handy. Sie selbst beschrieb sich als »Freiwillige«, weigerte sich jedoch, ihre Identität preiszugeben, als sie von einem Reporter gefragt wurde.
Risse auf Walkers Seite
Tubbs seinerseits erklärte Reportern, dass die Gewerkschaftsführer einem Plan zugestimmt hätten, wonach die Polizei die Besetzer zur »freiwilligen« Räumung bewegen sollte, um das Gebäude zu »säubern«. Er weigerte sich zu sagen, ob es Vorbereitungen für Massenverhaftungen gebe. Aber etliche Polizisten rund um die Eingänge des Gebäudes bestätigten, dass sie bereit seien, Demonstranten zu verhaften.
Dann, um 18 Uhr, kam die Information, dass der Staatssenator der Republikaner, Dale Schultz, seine Unterstützung für Walkers antigewerkschaftliches »Haushaltsrettungsgesetz« zurückgezogen habe. Die Menge brach in Jubel aus, weil sich zum ersten Mal auf Walkers Seite Risse zeigten. Etwa zur selben Zeit machte die Polizei einen Rückzieher und Tubbs verkündete, dass die Protestierenden die Nacht bleiben und Lebensmittel ins Haus gebracht werden könnten.
»Haus der Bevölkerung«
Die Entscheidung der Polizei hing vermutlich mit den möglichen politischen Folgen einer Massenverhaftung zusammen. Es hätte Stunden gedauert, 600 oder mehr Menschen aus dem Gebäude zu entfernen. Und die Protestierenden konnten von Walker nicht als hitzköpfige Studierende dargestellt werden. Die Besetzer kamen aus verschiedenen Generationen und es gehörten gewerkschaftlich organisierte Feuerwehrleute, Elektriker und Lehrer ebenso dazu wie Doktoranden, Studierende und Gymnasiasten.
»Wir haben das Recht, hier zu sein«, sagte Mahlon Mitchell, Präsident der Berufsfeuerwehr Wisconsin, vom Capitol aus CNN. »Dies ist das Haus der Bevölkerung, das Haus der Arbeit. Dies ist ein Haus, das Wisconsin gebaut hat.«
Gewerkschafter als Individuen
Trotzdem waren die Gewerkschaftsmitglieder dort vor allem als Individuen, nicht als organisierte Gruppe. Angesichts der frühzeitig verkündeten Fristsetzung zur Schließung des Capitols hätten die Gewerkschaften den Massenprotest vom Samstag nutzen können, um zur Unterstützung der Besetzung aufzurufen, so wie sie es zuvor schon mal getan hatte. Die Tatsache, dass sie es nicht taten – und anscheinend mit der Polizei ein Überkommen geschlossen hatten -, wird zu heftigen Diskussionen über die Wichtigkeit der Aufrechterhaltung der Kontrolle über das »Haus der Bevölkerung« führen.
Wenn Gewerkschaftsführer sich den Forderungen der Polizei beugen – die natürlich von Walker kontrolliert wird -, wird das die Bewegung in einem entscheidenden Moment schwächen.
Schlüsselfragen
Keiner weiß, wie der Kampf weitergeht. Der Verlust des Capitols wäre ein deutlicher Rückschlag. Damit würde die Bewegung ihren Mittelpunkt, ihre Energie und das Organisationszentrum verlieren und es Walker erleichtern, Druck auf die Demokraten im Senat auszuüben, nach Madison zurückzukommen und ein Abkommen auf Kosten der Gewerkschaften zu schließen.
Bei Aufrechterhaltung der Besetzung kann die Bewegung beständig Leute in Aktivitäten und politische Diskussionen einbeziehen und die organisatorische Reichweite der Bewegung ausdehnen.
Die andere Schlüsselfrage lautet, ob die Gewerkschaften bereit sind, ihre Stärke, die sie zu Beginn des Kampfes gezeigt haben, als Lehrer mit Krankmeldungen die Schulen in Madison und im Bundesstaat dicht gemacht hatten, einzusetzen. Walkers harte Linie in der NBC-Sendung »Meet the Press«, in der er erklärte, die Proteste ließen ihn völlig kalt, wird den Druck auf die Gewerkschaften weiter erhöhen.
Spaltung in den Gewerkschaften
Doch trotz der großartigen Zurschaustellung gewerkschaftlicher Macht am Samstag haben Gewerkschaftsführer schon Walkers Forderung nach höheren Beiträgen für Kranken- und Rentenkasse für Beschäftigte zugestimmt – solange er bereit ist, das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen und Einzug des Mitgliedsbeitrags über die Lohnzahlung nicht anzutasten. Mit anderen Worten sind die Gewerkschaftsführer bereit, zu militanten Aktionen aufzurufen, um ihre eigene ökonomische Lage zu schützen, nicht aber die ihrer Mitglieder.
Dieser Widerspruch macht vielen Gewerkschaftsaktivisten zu schaffen, die enttäuscht darüber sind, dass die Funktionäre Walkers Behauptung, dass Arbeiterinnen und Arbeiter Opfer bringen müssen, um die Haushaltslöcher zu stopfen, nicht frontal angreifen.
Weiter gegen jede Kürzung
Deshalb hatte die Krankenpflegewerkschaft am 27. Februar im Madison Labor Temple ein Forum organisiert zu dem Thema, jedes weitere Zugeständnis von Seite der Beschäftigten abzulehnen. Zu den Sprechern gehörten bekannte Gewerkschaftsführer und Gewerkschafter wie Journalisten. Etwa 60 Gewerkschaftsmitglieder und Unterstützer kamen und vereinbarten, in Wisconsin und den USA insgesamt weiterhin gegen jede Kürzung zu mobilisieren.
Ob die Beschäftigten von Wisconsin meinen, dass Zugeständnisse an Walker nötig sind, oder nicht – auf jeden Fall wissen sie, dass dies ein Kampf nicht nur für die Mitglieder der Gewerkschaften des öffentlichen Diensts ist, sondern aller Arbeiter. Auf der riesigen Kundgebung am 26. Februar war das Gefühl weit verbreitet, dass viel auf dem Spiel steht.
»Spitze des Eisbergs«
»Ich bin kein Gewerkschaftsmitglied, aber ich unterstütze die Gewerkschaften«, sagte Sharon Campshure, die seit 20 Jahren in Wisconsin lebt, aber kürzlich entlassen wurde und jetzt überlegt, in einem anderen Bundesstaat nach Arbeit zu suchen. »Ich denke, was jetzt passiert, ist nur die Spitze eines Eisbergs.«
Claude Rochon, seit acht Jahren Kinderkrankenpfleger am American Family Hospital der Universität Wisconsin in Madison, ist seit über einer Woche jeden Tag zum Capitol gekommen.
»Ich bin hier, um kollektive Tarifverhandlungen zu schützen«, sagte er. »Ich glaube, wir werden keine Schichten mehr ablehnen können, wir werden zu Überstunden verpflichtet sein und 16-Stunden-Schichten arbeiten, und das wird zu unsicheren Verhältnissen im Gesundheitswesen führen. Ich denke, die Bewegung wird größer und größer und das wird dazu beitragen, dass die Sache größer wird, als alle gedacht haben. Ich habe am ersten Tag gesehen, dass etwa 4.000 Leute da waren, und es wird immer größer.« Etliche seiner Kolleginnen und Kollegen aus der SEIU hatten die Nacht vorher dort zugebracht.
Bis auf die Philippinen
Es gab auch ein Bewusstsein darüber, dass dieser Kampf auch andernorts Wellen schlägt. Mit Blick auf die Frau neben ihm sagte Rochon: »Ihre Familie auf den Philippinen hat davon gehört und angerufen, um zu hören, ob es ihr gut geht – so weit ist das schon. Wenn Wisconsin fällt, werden die anderen republikanischen Gouverneure das als grünes Licht begreifen, ebenfalls die Gewerkschaften kaputtzumachen.«
Außerhalb des Gebäudes versammelten sich am Samstag Tausende, um den Reden zu lauschen, obwohl es schneite. Zu den Rednern gehörten die in Wisconsin geborenen Schauspieler Bradley Whitford und Gabrielle Carteris und eine Reihe gewerkschaftlicher Basismitglieder. Sie widerlegten anschaulich Walkers Behauptung, dass die Demonstranten alle von außen in Wisconsin eingefallen seien.
Macht der Arbeiter
Selbst als die Menschen durch die Straße liefen auf der Suche nach einem Platz im Restaurant brachen sie immer wieder in Rufe aus. Wisconsiner Einwohner begrüßten glücklich die angeblichen Reisekader aus den anderen Bundesstaaten, über die Walker sich so beklagt.
Die Leute stellen sich gegenseitig vor und sprechen darüber, was in ihrem Betrieb passiert, wie weit dieser Kampf gehen kann und sollte. Eine Gruppe Lehrerinnen und Lehrer aus Wisconsin diskutiert den Angriff auf die Lehrer in Providence, Rhode Island, wo die Schulleitung kürzlich dafür gestimmt hatte, jeder Lehrperson die Kündigung zu schicken – insgesamt mehr als 1000.
Aber am 26. Februar äußerte sich diese Sorge, die Enttäuschung und Wut auf andere Weise, die immer dann entsteht, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter zusammenkommen und ihre Macht zeigen.
(Der Artikel erschien zuerst auf www.socialistworker.org – aus dem Englischen von Rosemarie Nünning.)