Um Prostituierte zu schützen, soll das Gewerbe wieder schärfer kontrolliert werden. Doch letztendlich gefährdet das die Frauen. Ein Diskussionsbeitrag von Rosemarie Nünning
Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hat sich eingereiht in den Chor der Innenminister von CDU bis SPD, die im Verbund mit Kriminalämtern eine schärfere Überwachung des Prostitutionsgewerbes verlangen. Sie fordern unter anderem die Konzessionierung von Prostitutionsstätten, wozu auch Wohnungen gehören sollen, die Ausweitung der rechtlichen Grundlagen zur Prostitutionskontrolle, eine engmaschige Meldepflicht und Kondompflicht. Die dafür genannten Gründe klingen ehrenwert: So sollen Gewalt gegen Prostituierte, »Flatrate«-Bordelle und Zuhälterei, sexuelle Übertragung von Krankheiten und Menschenhandel bekämpft werden. Zur Grundierung dieses Vorhabens wird jetzt auch medial mobil gemacht gegen das unter der ersten rot-grünen Regierung erlassene Prostitutionsgesetz. Das ARD-Magazin »Panorama« schlug kürzlich Alarm: »Liberales Prostitutionsgesetz: Wie Deutschland zum Puff Europas wurde.«
Ein gigantisches Geschäft
Tatsächlich ist mit der Unterordnung aller Aspekte des gesellschaftlichen Lebens unter Kapitalverwertungsinteressen die Prostitution inzwischen ein gigantisches Geschäft. Die Gewerkschaft ver.di schätzt, dass allein im Jahr 2004 in diesem Gewerbe ein Umsatz von 14,5 Milliarden Euro erzielt wurde. In der Sexindustrie im weiteren Sinne kassieren Sexunternehmen, Medien- wie Telefonkonzerne ab. Sexualität und vor allem Frauenkörper werden vollvermarktet und sogar als Managerbonus benutzt, wie der Skandal um die Ergo-Versicherung gezeigt hat. Aber dafür ist nicht das Prostitutionsgesetz verantwortlich.
Als die Grünen-Bundestagsfraktion im Jahr 1990 zum ersten Mal einen Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Prostitution vorlegte, stellte sie die Rechtlosigkeit von Prostituierten, ihre Kriminalisierung und Diskriminierung in den Vordergrund. Das schließlich im Jahr 2002 in Kraft getretene Gesetz ist nur drei Paragrafen kurz. Festgeschrieben wird, dass sexuelle Handlungen gegen ein vereinbartes Entgelt wie jedes andere Geschäft und jede andere Erwerbsarbeit zu behandeln sind und Prostituierte sich regulär sozialversichern können oder müssen, wenn sie angestellt sind. Mit der Einbeziehung ins Sozialversicherungssystem sollten Prostituierte auch vor Verelendung im Alter oder bei Krankheit geschützt werden. Damit sollte gekaufter Sex auch nicht mehr als »sittenwidrig« gelten, was bis dahin staatliche Übergriffe auf Prostituierte legitimierte und sie gegenüber ihren Kunden rechtlos stellte.
Sicherheit für Prostituierte
Die Grünen hatten zusammen mit der Hurenbewegung auf Erlass dieses Gesetzes gedrängt und zur Einstimmung große Hurenbälle veranstaltet. Als es Ende des Jahres 2001 von der rot-grünen Regierung verabschiedet wurde, stießen eine grüne und eine sozialdemokratische Ministerin und eine Bordellbesitzerin mit einem Gläschen Sekt auf den Erfolg an. Das spiegelt bei allen guten Absichten, Prostitution zu entkriminalisieren und Sicherheit für Prostituierte herzustellen, auch die soziale Basis der Grünen wider: die sich im Mittelschichtbereich bewegenden unabhängigen, gutverdienenden Prostituierten, die »aufgeschlossenen« Studierenden, die sich ihr Studium so finanzieren, oder auch die Unternehmerinnen der Sexindustrie.
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Das ist aber nur ein sehr kleiner Ausschnitt des Prostitutionsgewerbes. Das Durchschnittseinkommen der geschätzt 400.000 Prostituierten, von denen immer noch 90 Prozent Frauen sind, liegt unter 1.500 Euro im Monat. Nach einer Studie von Tampep, einer Hilfsorganisation vor allem für zugewanderte Prostituierte, waren in den Jahren 2008 und 2009 etwa 63 Prozent aller Sexarbeiterinnen Migrantinnen, vor allem aus Osteuropa – Tendenz jährlich steigend. Rund 13 Prozent arbeiten auf der Straße, die große Mehrheit in Privatwohnungen und Bordellen.
Gewerkschaften hilflos
Was die Auswirkungen des Gesetzes betrifft, sind bisher nur wenige Prostituierte als »Angestellte« gemeldet. Kaum eine Prostituierte gibt wegen des Stigmas bei einer Krankenkasse ihre wahre Tätigkeit an. In den Bordellen werden sie am ehesten als geringfügig Beschäftigte geführt. Meistens »mieten« Frauen ihren Arbeitsplatz dort oder gelten als »freie Mitarbeiterinnen«. Auch von der Möglichkeit, nicht zahlende Freier anzuzeigen, wurde fast kein Gebrauch gemacht.
Die Gewerkschaft ver.di sieht sich mit ihrem dreizehnten (und letzten) Fachbereich Besondere Dienstleistungen auch für Prostituierte zuständig. Das Ergebnis ihrer Bemühungen beläuft sich bisher – abgesehen von einigen nützlichen Studien – auf die Erstellung eines Musterarbeitsvertrags als »guter Anfang für maßgeschneiderte Hilfe«, was die Hilflosigkeit der Gewerkschaft auf diesem Terrain zeigt.
So gut wie keine Wirkung
Das Prostitutionsgesetz hat auf dieser Ebene so gut wie keine Wirkung gezeigt. Aber schlimmer noch: Um Wind aus der Empörung über das Gesetz zu nehmen, versprachen die Grünen den Ausbau von Hilfseinrichtungen und Beratungsstellen für den Ausstieg aus der Prostitution. Doch stattdessen wurden Beratungsstellen aufgelöst und die staatliche Verantwortung wurde häufig an christliche Einrichtungen wie die Mitternachtsmission abgegeben.
Auch die Idee von repressionsfreier Prostitution hat sich nicht erfüllt: Unter dem Vorwand möglicher Steuerhinterziehung oder nicht gemeldeter Beschäftigung führen Polizei, Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft regelmäßig Kontrollen durch. Um angeblich gegen Menschenhandel vorzugehen, werden Großrazzien in Bordellen veranstaltet. Die Prostituiertenorganisation Doña Carmen führt einen »Razzienspiegel« darüber: Die letzte Großrazzia fand im Mai dieses Jahres in 1.000 Bordellen statt. Beteiligt waren Europol und die Polizei aus 13 Bundesländern. Die Aktion kostete 1 Million Euro, rund 6.000 Prostituierte wurden kontrolliert, handfeste Beweise für Menschenhandel wurden nicht gefunden, dafür ein paar Frauen ohne Aufenthaltsgenehmigung.
Repression durch die Hintertür
Dazu kommen weitere Kontrollinstrumente, die Repression durch die Hintertür ermöglichen. Eine »Sittenwidrigkeit« kann nach dem Gaststätten- und Gewerberecht festgestellt werden. Kommunen können Sperrbezirke einrichten. Einige, wie Stuttgart, Dresden und neuerdings Dortmund, haben die ganze Stadt zum Sperrbezirk erklärt, andere diese so aufgesplittert, dass Prostituierte sich irgendwann schon deshalb strafbar machen, weil sie den Überblick verlieren. Je mehr Sperrbezirke, je weiter Prostitution in Randbezirke abgedrängt wird, desto eher mischen auch Zuhälter mit. Im bisher sperrbezirkfreien Berlin arbeitet die überwiegende Zahl der Prostituierten selbstständig, in Hamburg mit seiner hochregulierten Prostitutionspolitik haben 80 Prozent der Frauen Zuhälter.
Eins der dramatischsten Beispiele von Repression gegen Prostitution gepaart mit staatlichem Rassismus spielte sich dieses Jahr am Straßenstrich in der Dortmunder Nordstadt ab. Unter dem Vorwand des Jugendschutzes wurde er geschlossen. Vorher hatte es dort medizinische Versorgung, Drogen- und Schuldnerberatung und Ausstiegshilfe gegeben, »Verrichtungsboxen« waren aufgestellt worden, der Schutz der dort arbeitenden Frauen war weitgehend gesichert. Der Strich wurde sogar als »Dortmunder Modell« gelobt, bis immer mehr Frauen dorthin strömten. Sie kamen aus dem Romaghetto in Plovdiv, Bulgarien. Dort leben 50.000 Roma in heruntergekommenen Plattenbauten zwischen Müllhalden. Die Sterblichkeit ist hoch, viele Kinder sind Waisen. Wegen des staatlichen Rassismus sind neunzig Prozent der Roma arbeitslos. Verbindungen zu Dortmund gab es durch den Nachwendeboom, als viele Roma dort Arbeit auf Baustellen fanden.
Doppelmoral der Herrschenden
Der Prostituiertenhilfe Kober gelang es, mit den Romafrauen zusammenzuarbeiten, für Kondombenutzung und HIV-Prävention zu sorgen und den Frauen auf diese Weise mehr Sicherheit zu verschaffen. Der Dortmunder Oberbürgermeister aber fand, so erzählte er der Süddeutschen Zeitung, den Zuzug von »Kriminellen« statt der erwarteten »Kreativen, Studenten und Familien« unerträglich. Die Polizei veranstaltete Großrazzien auf der Straße. Antirassistische Organisationen, Prostituiertenhilfe und Huren machten gegen die Schließung des Strichs mobil. Seit April ist er dennoch dicht, viele Frauen sind untergetaucht, Prostitution findet jetzt wieder in der schutzlosen Illegalität statt. Im August wurde eine bulgarische Prostituierte in der Dortmunder Nordstadt von ihrem Freier aus dem Fenster gestoßen und schwer verletzt. Sie dürfte ein Opfer der Schließung des Straßenstrichs gewesen sein.
Welche Doppelmoral die herrschende Klasse in der Frage von Prostitution aufbringt, zeigt sich auch daran, dass für die Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006 in Köln auf einer Brache extra Boxen aufgestellt worden waren, wo Frauen arbeiteten. Nach der WM wurden sie abgeschoben.
Der Staat ist kein Partner
Solche Beispiele zeigen: Der kapitalistische Staat ist kein Partner, um sexuelle Ausbeutung zu beseitigen. Im Gegenteil ist er unmittelbar verantwortlich für diese Ausbeutung, weil er die Grundlage für Frauenunterdrückung schafft und aufrechterhält und wirtschaftliche Not erzeugt, die gerade heute wieder viele Frauen in die Prostitution treibt. Prostitution ist unlösbar verknüpft mit Klassengesellschaft, Frauenunterdrückung und Armut. Sie wird durch Verbote, polizeiliche Überwachung oder Bestrafung von Freiern nicht verschwinden.
Rechtliche Verschärfungen bringen nur weitere Repression mit sich. Eine gesetzliche Kondompflicht kann letztlich nur überwacht werden, wenn regelmäßig »Ordnungshüter« präsent sind. Das Bundeskriminalamt wünscht sich die Möglichkeit zur anlasslosen polizeilichen Kontrolle von Prostitutionsstätten und möchte so das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung weiter einschränken.
Dunkelzonen des illegalen Markts
Solche Maßnahmen werden die Frauen des Gewerbes verstärkt in den Untergrund treiben, mit allen Gefahren, die das mit sich bringt. Die Gesetze zur Bestrafung von Freiern in Schweden zeigen das: Die sichtbare Prostitution ist gesunken, die unsichtbare spielt sich in Dunkelzonen eines illegalen Markts ab. Frauen werden vermehrt überfallen, die Polizei veranstaltet Razzien auf Wohnungen, das Vorhandensein von Kondomen und Gleitmitteln wird bereits als Beweis für illegale Prostitution gewertet. Da auch hier die Mehrheit der Prostituierten Migrantinnen sind, wird das Verbot des Sexkaufs als gesellschaftlich akzeptierter Vorwand benutzt, um gegen unerwünschte Migration vorzugehen.
Was wäre nötig? Wir müssen gegen eine reaktionäre Phalanx antreten, die mit dem Angriff auf das Prostitutionsgesetz Repression ausweiten will, statt Schutz und Hilfe anzubieten. Ihnen geht es nur darum, allein schon den Gedanken eines liberalen, unterdrückungsfreien Umgangs mit Prostitution auszumerzen und repressiven Handlungsspielraum mit Zustimmung der Bevölkerung zu erweitern.
Prostitution entkriminalisieren
DIE LINKE hat, wie die Grünen, Protest gegen den Vorstoß der Innenminister eingelegt. Sie fordert zu Recht die Streichung der »Sittenwidrigkeit« im Gaststätten- und Gewerberecht. Sie fordert aber auch in anderen Bereichen eine weitere gesetzliche Verregelung der Prostitution und greift damit fehl.
Prostitution muss an allererster Stelle vollständig entkriminalisiert werden. Die polizeilichen Prostituiertenkarteien müssen abgeschafft, die Gebietsbeschränkungen aufgehoben werden. Um Menschenhandel zu unterbinden, müssen die Grenzen geöffnet und Opfer vor Abschiebung geschützt werden. Hilfs- und Beratungsstellen müssen geschaffen werden. Jede geforderte Hilfe zur Herstellung von Arbeitssicherheit wie für einen Ausstieg muss gewährt, andere Arbeitsplätze müssen geschaffen werden. Stattdessen wird der Wunsch von Frauen nach Ausstieg und Umschulung von Arbeitsämtern schon mal abgelehnt, weil sie schließlich ein Einkommen hätten.
Neue Frauenbewegung
All das ist aber nicht gleichbedeutend mit der Forderung nach Legalisierung. Jede gesetzliche Regelung unter dem Stichwort Prostitution oder sexuelle Dienstleistungen ist ein Sonderrecht und heißt nur, andere Wege staatlicher Repression zu eröffnen, ohne den Frauen ernsthaft zu helfen, das haben die Erfahrungen mit dem Prostitutionsgesetz gezeigt. Ähnliche Beispiele sind die gesetzlichen Regelungen zur Abtreibung oder zu Drogen.
Noch wichtiger aber ist der Aufbau neuer Bewegungen gegen Frauenunterdrückung und die Folgen der kapitalistischen Krise. Beispiele dafür sind die Proteste Hunderttausender in 300 italienischen Städten gegen den Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und seinen zynischen Missbrauch Minderjähriger als Prostituierte unter der Parole: »Italien ist kein Bordell!« Mit den »Schlampendemos« gingen im Sommer in vielen Ländern Frauen auf die Straße, um gegen Sexismus zu protestieren. Und weltweit wehren sich in vielen Bewegungen Menschen dagegen, dass das Versagen des Systems auf uns abgewälzt wird. Letztendlich geht es also auch darum, für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der die wirtschaftliche Not beseitigt ist, die Menschen in die Prostitution treibt, in der Sexismus und Unterdrückung jeder Art aufgehoben sind.
Zur Person:
Rosemarie Nünning ist Mitglied der LINKEN in Berlin-Neukölln. Bei vorliegenden Beitrag handelt es sich um die Kurzfassung eines Vortrags, den sie bei der Konferenz »Marx is' muss« Anfang Juni diesen Jahres gehalten hat.
Weiterlesen:
Judith Orr, Katrin Schierbach, Maya Mosler: Wie frei ist die Frau? Marxismus und Frauenbefreiung im 21. Jahrhundert (Edition Aurora 2010).
Jane Pritchard: Sexarbeiterinnen – eine Debatte (2010)
W. I. Lenin: Der Fünfte Internationale Kongress für den Kampf gegen die Prostitution (1913)
Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884)
Mehr im Internet:
- Die Kommunikations- und Beratungsstelle für Prostituierte (Kober) in Dortmund setzt sich unter anderen für Romafrauen im Rotlichtmilieu ein. Infos unter: www.kober-do.de
- Die Prostituiertenorganisation Doña Carmen führt einen »Razzienspiegel«, in dem sie Polizeirazzien dokumentiert: www.donacarmen.de
Mehr auf marx21.de:
- Über die Quote hinaus: Mehr Frauen in den Chefetagen? Das bringt ihren Geschlechtsgenossinnen aus der Arbeiterklasse wenig. Frauenbefreiung erfordert weitaus tiefgreifendere gesellschaftliche Veränderung, meint die marx21-Redaktion