Blockupy geht in die nächste Runde: Auch im neuen Jahr wollen wieder Tausende vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt demonstrieren. Doch vorher gibt es einige Fragen zu klären. Von Christine Buchholz und Heinz Bierbaum
Wie können wir produktive und machtvolle Verbindungen zwischen unseren Kämpfen herstellen? Wie können wir gemeinsam für eine Veränderung der Kräfteverhältnisse sorgen?
Wir haben in den letzten Jahren einen Aufschwung vereinzelter sozialer und politischer Kämpfe erlebt. Aktuell sehen wir uns einer Welle von Kämpfen und Streiks im Dienstleistungsbereich gegenüber, wie den Streiks im Einzelhandel oder lokalen Kämpfen für die Rekommunalisierung der Energieversorgung als auch gegen die Privatisierung von Krankenhäusern. Daneben gibt es Proteste gegen Mietwucher, gegen staatliche Überwachung und für eine humane Flüchtlingspolitik. Mit den Blockupy-Protesten gelang in den vergangenen zwei Jahren wieder ein größerer antikapitalistischer Protest, der trotz massiver Kriminalisierungsversuche auf viel Sympathie in der Bevölkerung stieß.
In vielen Kämpfen gab es wichtige kleine Erfolge. Es ist allerdings nicht gelungen, einen breiten Widerstand gegen Merkels Politik im Inland und in Europa zu entfachen. Das Ausbleiben dieses Widerstandes ist auch auf die wirtschaftliche Sondersituation Deutschlands zurückzuführen, dessen Eliten von der Merkelschen Krisenpolitik profitieren. Ein anderer Grund ist die massive Verunsicherung durch die Maßnahmen im Rahmen der Agenda 2010-Politik, wie die Einführung von Hartz IV und die drastische Ausweitung des Niedriglohnsektors. Das steht im Zusammenhang mit dem Stillhalten der großen DGB-Gewerkschaften, die in ihrer großen Mehrheit nicht bereit sind, die Agenda-Politik und die deutsche Europa-Politik zu bekämpfen.
Zugleich sehen wir uns mit einer drastischen Polarisierung in Europa konfrontiert. Bei den Europawahlen im Mai droht ein Rechtsruck. In Deutschland heißt das, dass die AfD zukünftig als politischer Akteur eine größere Rolle spielt. Rechtspopulisten sehen sich im Aufwind. In Frankreich droht die Front National stärkste politische Kraft zu werden. In anderen Ländern erreichen offen faschistische Kräfte ein neues Maß an Unterstützung. Am 10. November demonstrierten 50.000 (!) Faschisten in Warschau.
Die große Frage, vor der die Bewegungen in Deutschland stehen, ist die nach der Erweiterung ihrer sozialen Basis und der Schaffung von politischen Grundlagen, um den Widerstand zu verbreitern. Nur so können wir dazu beitragen, die Kräfteverhältnisse in Europa nach links zu verschieben und linke, internationalistische Antworten auf die Krise zu popularisieren.
Für die Gewerkschaftsbewegung stellt sich die Frage, wie in den vorhandenen Auseinandersetzungen Impulse für eine gewerkschaftliche Erneuerungsbewegung gesetzt werden können, die nicht auf Standortnationalismus und den Krisenkorporatismus zwischen Industrie und Gewerkschaften setzt.
Für die lokalen Proteste heißt das, eine Brücke von ihren spezifischen Anliegen zur EU-Politik zu schlagen und sich so in die internationalen Blockupy-Proteste einzubringen.
Wir sehen es als unseren Beitrag dazu an, Themen und Aktionsfelder herauszuarbeiten, an denen wir diese Verbindung praktisch sichtbar machen. Neben den bereits stattfindenden Auseinandersetzungen im Dienstleistungsbereich könnte das beispielsweise die Tarifrunde im öffentlichen Dienst 2014 sein, die unter den Vorzeichen von Schuldenbremse und Fiskalpakt steht.
In welchem Verhältnis denken wir ungehorsame Aktionsformen (Massenblockaden, soziale und Generalstreiks, Platzbesetzungen und vieles mehr), Bündnisaufbau und gemeinsamen Aufbruch?
Aktionen des zivilen Ungehorsams können eine wichtige Rolle spielen, um Forderungen zuzuspitzen und symbolische Erfolge zu erzielen. Sie können helfen, ein Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen.
Ziviler Ungehorsam war zum Beispiel erfolgreich, um die Naziaufmärsche in Dresden zu stoppen. Im Kampf gegen Sozialabbau und kapitalistische Krisenlösungen können Formen des zivilen Ungehorsams allerdings nur ein erster Schritt hin zu den traditionellen Mitteln des Klassenkampfes sein, hin zu Massendemonstrationen und politischen Massenstreiks.
Massenhafter Widerstand auf den Straßen kann unter Umständen zum Funken werden, der zur sozialen Explosion und zu politischen Massenstreiks führt. Eine solche Entwicklung konnten wir in den letzten Jahren vermehrt beobachten, zum Beispiel in Athen und auch in Kairo. Die entscheidende Bedingung ist, dass zwei Dinge zusammenkommen: Funke und hinreichend (sozialer) Sprengstoff.
Der Übergang von der Solidarität kämpfender Minderheiten zu Massenstreiks ist in Deutschland noch Zukunftsmusik: Der Wahlerfolg von Angela Merkel zeigt das, auch die breite Unterstützung in den Eliten und Medien für ihr »Krisenmanagement«. Auch wenn die deutsche Realität durchaus eine andere und von sozialen Widersprüchen gekennzeichnet ist. Die unmittelbaren Erfahrungen einer wenig kampferprobten Arbeiterklasse lassen warme Worte auf fruchtbaren Boden fallen. Viele meinen, dass wir »mit einem blauen Auge davongekommen« sind.
Ziviler Ungehorsam kann keine Abkürzung auf dem Weg zu breitem gesellschaftlichen Widerstand sein. Wir versuchen zu helfen, dass der soziale Unmut organisiert wird. Dabei unterstützen wir zum Beispiel diejenigen, die in den Betrieben und Gewerkschaften tagtäglich für eine offensive Interessenvertretung und eine kritische Auseinandersetzung mit der herrschenden Politik eintreten. Und so für einen praktischen Bruch mit der sozialdemokratischen Hegemonie in ihrem Wirkungsbereich kämpfen.
Wie können wir den Widerstand im Süden und Norden zusammenbringen? Was sind die Bedingungen der verschiedenen Kämpfe im Europa der Krise? Wie verknüpfen wir dies mit den Zielen und Vorstellungen gemeinsamen Widerstandes auch in Ländern wie Deutschland, als Zentrale des EU-Krisenregimes, wo bei den letzten Wahlen eine fast absolute Mehrheit für die Weiterführung dieser kapitalistischen Politik gestimmt hat?
Ein Zusammenbringen des Widerstands kann es als tatsächliche internationale Kampagne nur im Rahmen von Gipfelmobilisierungen geben, so wie es im globalisierungskritischen Jahrzehnt von 1999-2007 der Fall war, wie zum Beispiel beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Wir sehen einen positiven Ansatz in dem europäischen Streik- und Aktionstag, wie er am 14. November 2012 stattgefunden hat. Alternativ kann es parallele Aktionen geben, die zeitgleich in vielen Ländern und Städten durchgeführt werden. Die bisherigen Versuche in eine solche Richtung haben wenig Erfolg gehabt und sind in höchstens einem oder zwei Ländern über einen reinen symbolischen Wert hinaus gewachsen, da die Mobilisierungsfähigkeit in den unterschiedlichen Ländern stark durch nationale Themen und die Agenda der jeweiligen nationalen Akteure bestimmt wird.
Grundlage für eine relevante Beteiligung aus Deutschland an europäischen Krisenprotesten ist ein Projekt, welches die Auswirkungen der Krise mit den prekären Lebensrealitäten in Deutschland verbindet. Die anstehende Europawahl bietet hierfür eine passende Gelegenheit. Zu keinem anderen Zeitpunkt wird in der breiten Öffentlichkeit so intensiv über die EU und die Krisenpolitik diskutiert werden.
Was DIE LINKE betrifft, wollen wir einen Europawahlkampf, der an der berechtigten Wut vieler Menschen über die EU ansetzt, der eine scharfe Kritik am Europa der Banken und Konzerne formuliert und sich solidarisch mit den Menschen in Europa und ihren Kämpfen zeigt.
Welche Rolle hat Blockupy 2014 im Kontext der europäischen Krise und der Krisenproteste?
Die Blockupy-Proteste werden aller Wahrscheinlichkeit nach die einzigen relevanten Krisenproteste in der Bundesrepublik im kommenden Jahr sein. Für den Widerstand in ganz Europa wird es wichtig sein, dass auch aus dem Deutschland der Großen Koalition eine deutliche Stimme des Widerspruchs kommt. Wir werden uns wieder auf vielfältige Art und Weise an dem Aufbau und der Durchführung der Proteste beteiligen. Dabei engagieren wir uns auch dafür, dass europäische Bewegungen aktiv an den Blockupy-Protesten teilnehmen.
Hintergrund zum Text:
Vom 22. bis 24. November fand in Frankfurt eine europäische Blockupy-Aktionskonferenz statt. Die Vorbereitungsgruppe hatte im Vorfeld verschiedene Fragen gestellt und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer um Beantwortung gebeten. Die hier dokumentierten Antworten wurden zunächst auf der Website der LINKEN veröffentlicht (www.die-linke.de).
Zu den Personen:
Heinz Bierbaum und Christine Buchholz sind beide Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstandes der LINKEN und haben sich in den letzten beiden Jahren aktiv an der Vorbereitung und Durchführung der Blockupy-Proteste beteiligt.
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