In Berlin wird am 3. November per Volksentscheid abgestimmt, ob das Stromnetz von Vattenfall wieder in die öffentliche Hand gelangen soll. In Hamburg hat das Bündnis »Unser Hamburg – Unser Netz« am 22. September die Abstimmung über eine Rekommunalisierung der Stromversorgung gewonnen – trotz einer massiven Gegenkampagne von Vattenfall, SPD, CDU und FDP. Christoph Timann berichtet aus der Hansestadt, wie dieser Erfolg erreicht worden ist.
Um die Jahrtausendwende herum hatte Hamburg, zunächst unter Rot-Grün, dann unter einer CDU-Regierung, die komplette Energieversorgung privatisiert. Die Hamburgischen Electricitäts-Werke« wurden an Vattenfall verkauft, die stadteigene Firma Hein Gas an Eon. Die Versorgung mit Fernwärme liegt auch in der Hand von Vattenfall.
Relativ schnell wurde immer mehr Hamburgern klar, dass mindestens die Netze, über die Strom, Gas und Fernwärme verteilt werden, nicht in privater Hand liegen dürfen. Deswegen gründete sich 2010 die Initiative »Unser Hamburg – Unser Netz« mit dem Ziel der »vollständigen Übernahme der Hamburger Energienetze in die öffentliche Hand«.
Sinnvoll ist der Rückkauf der Netze aus drei Gründen: Für die Energiewende, vor allem für dezentrale Energie-Erzeugung, werden viele Umbauten der Netze nötig werden. Energie sollte für alle Menschen bezahlbar sein. Wichtige öffentliche Infrastruktur sollte unter demokratischer Kontrolle stehen.
Alles drei ist unter der Leitung profitorientierter privater Konzerne unwahrscheinlich bis unmöglich, zum Beispiel sind die Hamburger Fernwärme-Preise deutlich überhöht, und Vattenfall setzt – statt auf Energiewende – eher auf die Dinosaurier der Energie-Erzeugung: Im Stadtteil Moorburg baut die Firma seit neun Jahren ein monströses Kohlekraftwerk.
Volksinitiative
Um die Fehlentwicklungen des Privatisierungswahns zu stoppen, wurden nun also die Mühlen der Volksgesetzgebung angestoßen. 2010 sammelte die Initiative – bestehend aus attac, der Verbraucherzentrale, Robin Wood, dem BUND, dem Kirchenkreis Hamburg-Ost und der Initiative »Moorburgtrasse stoppen!« – bereits 18.000 Unterschriften. Auch die zweite Hürde, das Volksbegehren ein Jahr später, wurde erfolgreich übersprungen – obwohl die frisch gewählte SPD-Alleinregierung bereits versuchte, ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen: Die Stadt beschloss, Vattenfall einen kleinen Teil der Energienetze, nämlich 25,1 Prozent, abzukaufen.
Aber diese Minimalbeteiligung reicht nicht aus: »Hamburg hat keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik, zum Beispiel den Umbau der Netze für die Energiewende oder die Preisgestaltung für Fernwärmekunden. Mit der Minderheitsbeteiligung hat sich die Hansestadt von Vattenfall und E.on Hanse abhängig gemacht«, schreibt die Initiative »Unser Hamburg – Unser Netz« auf ihrer Webseite. Darüber hinaus hat sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) auch noch über den Tisch ziehen lassen: Etwa 500 Millionen Euro kostete der Teilrückkauf, was von vielen Experten als stark überteuert eingeschätzt wird.
Da der Teilrückkauf zu wenig ist und der Senat zu mehr nicht bereit war, lief alles auf den Volksentscheid hinaus. Für den Tag der Bundestagswahl 2013 wurde dieser terminiert, somit war klar, dass der Bundestagswahlkampf in Hamburg eine ganz besondere Note haben würde. Denn es gab zwar in Meinungsumfragen immer klare Mehrheiten für den Rückkauf; aber da sich die SPD nun einmal festgelegt hatte, stand der Initiative eine ganz große Koalition aus SPD, CDU und FDP gegenüber. Politische Unterstützung gab es dagegen von den Grünen (welche ursprünglich bloß für einen Teilrückkauf von 50 Prozent waren) und von der LINKEN und den Piraten.
Volksentscheid und Wahlkampf
Der Wahlkampf um den Volksentscheid fand auf drei Ebenen statt: Unermüdlich kämpften die Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative auf der Straße: mit ungezählten Infoständen, auf Stadtteilfesten und in zahlreichen Info-Veranstaltungen. Auch in der Öffentlichkeitsarbeit wurde viel geleistet, hier sorgten die Initiative und ihre Unterstützer-Organisationen für eine dauerhafte Präsenz der wichtigsten Argumente in der Hamburger Medien-Öffentlichkeit. Und als dritte Ebene sorgten die Debatten in der Hamburger Bürgerschaft für weitere Öffentlichkeit. Darüber hinaus war der Volksentscheid durch viele Plakate der Initiative präsent; zusätzliche Mobilisierungsplakate hatten Grüne, LINKE und Piraten an die Straßenränder gestellt.
Die Gegenkampagne hatte es allerdings in sich. Das politische Bündnis aus SPD, CDU und FDP wurde ergänzt durch Vattenfall selbst und – gegen Ende der Kampagne – das »Hamburger Abendblatt«. Während die SPD mit plattem Populismus aufwartete (»2.000.000.000 Euro – nicht mit meinem Geld« stand auf den Plakaten), verbreitete Vattenfall Werbung, wie gut die Netze in seiner Hand aufgehoben seien (für die es, als Monopolist, sogar von der Bundesnetzagentur gerügt wurde). Das Abendblatt, das über eine sehr lange Zeit, wohl auch wegen der Beteiligung der Kirche an der Initiative, relativ wohlgesonnen berichtet hatte, ging im Endspurt dann doch zur Gegenseite über: Sicher nicht unbeeinflusst von ganzseitigen Vattenfall-Werbeanzeigen, schoss es sich am Ende auf den Kirchenkreis Hamburg-Ost ein, der angeblich Kirchensteuermittel zur Finanzierung der Kampagne veruntreut hätte. Diese falsche Behauptung war zwar schnell ausgeräumt, aber der Stachel war gesetzt und konservative Kreise versuchten nun, weitere Unsicherheit zu säen.
Diese Pro-Vattenfall-Gegenkampagne mit einem Budget, das Schätzungen zufolge 50- bis 100-mal so hoch wie das der Rekommunalisierungsbefürworter war, trug Früchte. Waren Monate vor dem Volksentscheid noch klare Mehrheiten von 65 bis70 Prozent der Hamburger für den vollständigen Rückkauf, deuteten die letzten Umfragen auf ein extrem knappes Ergebnis hin. Aber das Kämpfen – und am Wahlabend das lange Zittern – hat sich gelohnt: Denkbar knapp, aber dennoch eindeutig entschieden sich 50,9 Prozent der Teilnehmer des Volksentscheids für den vollständigen Rückkauf der Netze.
Interessanterweise scheint es den Parteien, die gegen den Rückkauf waren, nur schlecht gelungen zu sein, ihre Anhänger entsprechend zu mobilisieren. Während SPD, CDU und FDP zusammen etwa 70 Prozent der Hamburger Bundestagswahl-Stimmen sammeln konnten, schafften es diese drei Parteien nur knapp 50 Prozent Nein-Stimmen beim Volksentscheid zu generieren. Selbst in reichen und konservativen Stadtteilen wie Sasel, Blankenese oder der Hafencity stimmten immerhin 40 Prozent für den Volksentscheid. Andererseits konnten LINKE und Grüne offenbar nur in den typisch linken Stadtteilen der Unsicherheit wirksam entgegentreten: In St. Pauli und der Sternschanze stimmten 80 Prozent für den Rückkauf. In anderen Stadtteilen mit eher schwächerer Sozialstruktur, hielten sich Zustimmung und Ablehnung etwa die Waage, selbst in Stadtteilen, in denen die CDU bei bloßen 20 Prozent Zustimmung liegt. Hier hatte die Kampagne der SPD Wirkung – allerdings bei weitem nicht auf alle SPD-Wähler.
Schlussfolgerungen für die LINKE
Das Thema des Volksentscheids war komplexer Natur, daher ist es nicht verwunderlich, dass viele Wähler sich verunsichern ließen. Trotzdem hatte der Großteil der Hamburger ursprünglich den richtigen Impuls, dass der vollständige Rückkauf die einzig richtige Möglichkeit darstellt. Davon ließen sich dann viele durch die erfolgreiche Gegenkampagne wieder abbringen. Anders als im Streit um das Hamburger Schulsystem, der 2010 auch einen Volksentscheid mit sich brachte, ist es den Rechten dieses Mal aber nicht gelungen, nachhaltig zu demobilisieren. Da wird mit hineinspielen, dass sich FDP und CDU offenbar auf ihre Anhänger verlassen haben und gar keine Plakate gestellt haben. Wesentlicher Faktor war aber wohl, dass die SPD – trotz der eindeutigen Ablehnung ihrer Führung – über diesen Volksentscheid tief gespalten war. Viele Basis-Aktivisten der SPD konnten oder wollten (oder durften) sich nicht zum Thema äußern, und selbst zwei ehemalige SPD-Bürgermeister sprachen sich für den Netze-Rückkauf aus.
Entscheidend für den Erfolg war auf jeden Fall die dauerhafte und ausdauernde Präsenz der Initiative auf den Straßen der Stadt. Anders als viele Wähler, ließen sich die Aktivisten nicht verunsichern, sondern waren von Anfang bis Ende von der Richtigkeit des Projekts überzeugt. Hier hat die LINKE großen Anteil gehabt, zum Beispiel mit einer Extra-Ausgabe der Zeitung der Bürgerschaftsfraktion zum Thema. Dennoch hätte sich die LINKE noch mehr in den Straßenwahlkampf der Kampagne einbringen können. Das setzt zwar einerseits stärkere eigene Strukturen voraus, kann sie aber andererseits auch erzeugen.
Die Auseinandersetzung um den Rückkauf geht aber weiter – Vattenfall hat schon juristische Schritte gegen den Rückkauf angekündigt. Die nächsten Wochen und Monate werden vermutlich weiterhin von der Kampagne geprägt werden. Die LINKE sollte ihr politisches Gewicht und die im Wahlkampf geschaffenen Strukturen nutzen, um dem Privatisierungswahn erneut die Rote Karte zu zeigen.
Berlin
Derweil geht in Berlin ein ähnlicher Volksentscheid in die letzte Runde. Laut einer Forsa-Umfrage sind drei Viertel der Berlinerinnen und Berliner dafür, dass statt Vattenfall das Stromnetz wieder von der öffentlichen Hand betrieben wird. Wie in Hamburg versuchen auch in der Bundeshauptstadt CDU und SPD, dem Volksentscheid Steine in den Weg zu legen. So wurde beispielsweise die Abstimmung nicht – wie in Hamburg – am Tag der Bundestagswahl durchgeführt, sondern vom SPD/CDU-Senat auf den 3. November gelegt. Das Kalkül der Pro-Vattenfall-Seite dabei ist es, dass am 3. November weniger Menschen an der Abstimmung teilnehmen und der Volksentscheid daran scheitert. Denn mindestens 625.000 Berlinerinnen und Berliner (25 Prozent der Wahlberechtigten) müssen mit Ja stimmen, damit der Volksentscheid angenommen wird. Das Bündnis »Berliner Energietisch« hat bereits mit Aktionen den Endspurt eingeleitet, um möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zur Abstimmung zu mobilisieren.
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