Das strategische Dreieck
Strategie für eine klassenkämpferische & antikapitalistische LINKE
Das Ziel unseres Kampfes ist eine Gesellschaft, die nach den sozialen und ökologischen Bedürfnissen der Menschen organisiert ist, anstatt nach Profitinteressen. Eine solche Gesellschaft lässt sich nicht bloß durch Parlamentsbeschlüsse herbeiführen, da die Kapitalistenklasse und der Staatsapparat weitgehend unabhängig von demokratischer Kontrolle agieren. Um diese Klassenherrschaft herauszufordern sind die Kämpfe der Arbeiterbewegung entscheidend. Die Arbeiterklasse kann dem Kapitalismus ein Ende bereiten, wenn sie durch Solidarität ihre kollektive Stärke zur Geltung bringt. Vor diesem Hintergrund wirkt das marx21 Netzwerk darauf hin, DIE LINKE zu einem Instrument für den Klassenkampf zu entwickeln. Wir wollen mithelfen, DIE LINKE auf kämpferischer Basis zu einer aktivistischen sozialistischen Massenpartei auf- und umzubauen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass DIE LINKE Potenzial hat, wenn sie ihre Schwächen überwindet. Die wesentlichen Probleme sehen wir dabei in der Fixierung auf die Parlamente, einem überwiegend passiven Verhältnis zu Kämpfen, Bewegungen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen, dem weit verbreiteten Glauben an die Kraft von Programmen, Deklarationen und Resolutionen, dem mangelnden Fokus auf starke, verankerte Basisstrukturen und die fehlende Orientierung auf jugendliche antikapitalistische Milieus. Als Netzwerk reden wir aber nicht nur über die Schwächen der Partei, sondern versuchen gemeinsam mit anderen durch praktische Initiativen den Aufbau der Partei DIE LINKE und des Studierendenverbands DIE LINKE.SDS voran zu bringen – etwa durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen und außerparlamentarische Mobilisierungen. Im folgenden skizzieren wir unseren strategischen Ansatz zur Veränderungen der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse.
In den vergangenen Jahren hat es interessante Entwicklungen in drei gesellschaftlichen Feldern gegeben. Zusammengenommen bieten sie ein großes Potenzial für die revolutionäre Linke. Die drei Felder sind die Arbeiterklasse, die jugendlich geprägte antikapitalistische Bewegung und die Parteienlandschaft. Eine Kernfrage besteht darin, wie sich diese drei Elemente politisch in Beziehung setzen lassen.
Arbeiterklasse von heute
Beginnen wir mit der Arbeiterklasse: Häufig wird bestritten, dass sie heute noch eine solch wichtige Rolle spielen könne wie zu Zeiten von Lenin oder Luxemburg. Zuerst einmal ist festzuhalten, dass die sie in Deutschland mit 39 Millionen abhängig Beschäftigten größer ist als je zuvor.
Objektiv ist die Arbeiterklasse also nach wie vor das entscheidende Subjekt für gesellschaftliche Veränderung »durch die Mehrheit im Interesse der Mehrheit« (Marx), weil sie wegen ihrer sozialen Interessen im grundsätzlichen Widerspruch zu den Kapitalisten steht.
Allerdings wird sie durch vielerlei Faktoren im Kapitalismus zermürbt – durch (schrumpfende) materielle Absicherungen, durch ihre eigene Atomisierung, durch Ohnmachtserfahrungen und die alltägliche Konkurrenz auf dem Markt (um Jobs, Wohnungen oder Arbeitsplätze). Zudem wird sie in das System durch Ideologien wie Nationalismus und Neoliberalismus eingebunden, die von den Medien und den etablierten Parteien verbreitet werden.
Ein entscheidender Hemmschuh für die Entwicklung von Klassenkämpfen ist die sozialpartnerschaftliche Tradition der deutschen Gewerkschaften, vor allem in der Exportindustrie. Viele Belegschaftsvertreter verstehen sich da als Co-Manager und teilen das Ziel der Geschäftsführung, die Konkurrenzfähigkeit des Betriebs im kapitalistischen Wettbewerb zu erhalten. Das untergräbt das Klassenbewusstsein der Arbeiter, indem es sie an die Profitinteressen der eigenen Unternehmen bindet.
Diese Ideologie wird auch von der Sozialdemokratie vertreten, die seit Bestehen der Bundesrepublik die dominierende politische Kraft in den Gewerkschaften ist. Sie vertritt die Idee, die Interessen von Kapital und Arbeit seien vereinbar. Sie kombiniert diese Haltung mit einer Politik des Stellvertretertums, wonach die Interessen der Beschäftigten am besten durch kluge Politiker, Experten und Personalräte vertreten werden – anstatt durch Kämpfe am Arbeitsplatz und auf der Straße. So weit so schlecht.
Seit Jahren vollzieht sich aber ein langsamer Prozess der Erosion sozialpartnerschaftlicher Ideen. Die Stagnationskrise der deutschen Wirtschaft hatte im letzten Jahrzehnt Angriffe mit permanenten Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zur Folge. Während sich die Profite der Unternehmen dadurch erhöhten, fiel die Lohnentwicklung für die Arbeiter überwiegend negativ aus. Gleichzeitig hat es jedoch auch eine Reihe von erfolgreichen Mobilisierungen und neuen Kämpfen gegeben: Lokführer, Stewardessen, Beschäftigte im Einzelhandel und in den Kitas haben die Erfahrung gemacht, dass sie durch ihre eigene Aktivität in Kämpfen etwas erreichen können.
Die Verschärfung der Angriffe auf die Arbeiterklasse durch die Agenda 2010 der Schröder-Regierung und die Massenmobilisierung dagegen führte zu einem politischen Riss in den Gewerkschaften. Dieser mündete letztlich im Jahr 2007 in der Gründung der Linkspartei. Bei der Bundestagswahl 2009 wählten 18 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder DIE LINKE.
Neuer Akteur Linkspartei
Das führt uns zur Linkspartei. Mit ihr ist erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein relevanter sozialistischer Akteur entstanden, der das Potential hat, die Vorherrschaft der SPD und der sozialpartnerschaftlichen Ideen in der Arbeiterbewegung herauszufordern. Die Partei vereint etliche Betriebsräte in ihren Reihen und verfügt über ein Programm, das sich deutlich gegen die herrschenden Verhältnisse positioniert.
Es ist allerdings keine Selbstverständlichkeit, dass DIE LINKE ihr Potenzial als Motor von Klassenkämpfen wirklich ausspielt. Denn auch sie ist vielfältigen Integrationsmechanismen in den Kapitalismus unterworfen. Das parlamentarische System befördert den Ansatz der Stellvertreterpolitik, wo Abgeordnete und Experten das politische Geschäft betreiben – zudem noch fragmentiert und spezialisiert in Arbeitsbereichen und Ausschüssen. Die Partei erscheint als parlamentarischer Repräsentant anstatt als Akteur gesellschaftlicher Mobilisierungen. Auch innerhalb der Anhängerschaft der LINKEN ist die Vorstellung weit verbreitet, dass sich gesellschaftliche Veränderungen wesentlich über die Parlamente vollziehen. Die viel größere potenzielle Macht von kollektiven Kämpfen erscheint vielen als zu wenig greifbar.
Dem hat DIE LINKE bisher zu wenig entgegengesetzt. Für die Bundestagswahl 2005 gegründet, als Wahlpartei, hat sie bis heute keine wirkliche Antwort auf die Frage gefunden, wie sie Parlamentsarbeit mit außerparlamentarischer Bewegung verbindet. Es ist ein Problem, wenn die Partei nur in den Wahlkämpfen so richtig zum Leben erwacht – und nicht denselben Aktivitätsgrad in Kämpfen gegen Mieterhöhungen, Privatisierungen oder Entlassungen an den Tag legt. In den Wahlkampf gilt es die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit zu nutzen für die Aktivierung der Mitgliedschaft und für den Aufbau des Widerstands. Wahlerfolge und parlamentarische Repräsentanz können so eine Ressource für den Widerstand sein. Doch muss dafür ausreichend Substanz an der Parteibasis vorhanden sein, um eine kampagnenorientierte Parlamentspolitik machen zu können. Denn die Partei ist nur mit einem organisierten Unterbau mobilisierungsfähig und wird so weniger abhängig von der (Nicht-)Berichterstattung durch die bürgerlichen Medien.
Um ihrer Rolle als sozialistische Kraft gerecht zu werden, muss DIE LINKE ganz anders sein als die etablierten Parteien. Das bedeutet einen Bruch mit der Fixierung auf Parlamente als wesentliches Aktionsfeld und Hebel für gesellschaftliche Veränderung. Selbstverständlich engagieren sich schon jetzt viele Mitglieder und Parteigliederungen in außerparlamentarischen Initiativen. Was fehlt, ist die Ausrichtung der Gesamtpartei darauf. Auch ideologisch sollte die Partei stärker grundsätzliche Kritik am Kapitalismus äußern und diese auch in den konkreten Reformkämpfen mittransportieren.
Die Arbeit der LINKEN muss vom Kopf auf die Füße gestellt und von Basis, Bewegung und Widerstand her gedacht werden – in der Kommune, im Land und auf Bundesebene. Das würde bedeuten, dass sich die Partei auf einzelne Kampagnenschwerpunkte konzentriert und diese dann auch als Gesamtpartei mit all ihren Ressourcen umsetzt, anstatt einer »Blumenstrauß«-Politik anzuhängen, bei der sie durch eine Zersplitterung der Parteiarbeit auf zu viele Themenfelder in gesellschaftlichen Konflikten wenig handlungsfähig und sichtbar ist.
Ebenso muss die Trennung von politischem und ökonomischem Kampf überwunden werden. DIE LINKE muss in gewerkschaftliche Richtungskämpfe einzugreifen und dort klar Stellung zu beziehen. So kann sie attraktiver für Aktive aus den Gewerkschaften werden. Es ist gut, wenn DIE LINKE politische Forderungen der Gewerkschaften in den öffentlichen Raum trägt. Es ist aber falsch, »die Gewerkschaften« als einheitlichen Block anzusehen.
Gerade in Bezug auf das Handeln in der Eurokrise wird deutlich, dass es erhebliche Differenzen zwischen der politischen Ausrichtung der LINKEN und dem Mainstream der gewerkschaftlichen Führung gibt. Wenn diese Differenzen nicht erklärt und debattiert werden, ist DIE LINKE auch nicht für diejenigen gewerkschaftlichen Aktivisten attraktiv, die sich stärkere und kämpferische Gewerkschaften wünschen. Wenn sie es sich hingegen zur Aufgabe macht, die kämpferischen Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und Gewerkschaften anzusprechen, sie zu vernetzen und Kräfte zu bündeln, kann wieder eine Bewegung entstehen, die Klassenkampf an die Stelle von Sozialpartnerschaft und Standortpolitik setzt.
Das antikapitalistische Milieu gewinnen
Für die Weiterentwicklung der LINKEN zum Motor und Sprachrohr von Klassenkämpfen und Bewegungen ist es unerlässlich, dass sie eine Anbindung an die antikapitalistischen Milieus herstellt, die in den letzten Jahren den Kern verschiedener Bewegungen bildeten – etwa im Jahr 2007 gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm, gegen Castortransporte, bei den Bildungsstreiks, gegen Naziaufmärsche oder bei Occupy. Das hat objektive Ursachen: Die junge Generation kennt den sozialstaatlich regulierten Kapitalismus nur noch aus den Erzählungen ihrer Eltern – ihre Realität ist ein Krisenkapitalismus mit erheblichen Legitimationsproblemen, sie leben häufig in prekären Verhältnissen und mit Zukunftsängsten.
Dieses Milieu von einigen zehntausend Bewegungsaktivisten kann eine entscheidende Rolle für die Zukunft revolutionärer Politik in Deutschland spielen, denn es ist radikal, antikapitalistisch und internationalistisch – inspiriert vom Arabischen Frühling und den Jugendprotesten in Europa. Wichtige Innovationen und Erfolge der Bewegungen wie die Massenblockaden von Heiligendamm und Dresden sind maßgeblich von diesem Milieu getragen worden. Diese Erfolge haben dort die Zuversicht reifen lassen, dass durch selbstbewusste Aktionen Veränderungen erkämpft werden können. DIE LINKE braucht diesen frischen Wind und die Dynamik der Bewegungsmilieus, um als kämpferischer Akteur in der Arbeiterbewegung impulsfähig zu sein.
Und umgekehrt: Menschen, die etwas verändern wollen, brauchen eine Massenorganisation, wenn sie für ihre Ziele die Mehrheit der deutschen Bevölkerung erreichen wollen. Diese Rolle kann DIE LINKE spielen. Denn sie hat das Potenzial, Millionen von Menschen für antikapitalistische Politik zu gewinnen. Ohne eine solche Perspektive besteht die Gefahr, dass die antikapitalistischen Milieus sich in stellvertretender Militanz aufreiben. Dann wird zum Beispiel der zivile Ungehorsam mit seiner medialen Wirksamkeit zu einer scheinbaren Alternative zum beschwerlichen Kampf um die Stärkung der Arbeiterbewegung.
Schnell kann es dann passieren, dass sich die Aktivisten aus Frustration und Perspektivlosigkeit selbstgenügsam in eigene selbstverwaltete Räume zurückziehen. Dieses Milieu für die dauerhafte politische Organisierung in der LINKEN und für das Projekt der Selbstemanzipation der Arbeiterklasse zu gewinnen, wird zur Existenzfrage für eine erfolgreiche Erneuerung von Arbeiterbewegung und Linkspartei. In den Wahlkämpfen gilt es, betriebliche Aktivisten und antikapitalistische Milieus für einen aktiven, bewegungsorientierten Wahlkampf für DIE LINKE zu gewinnen.
Zusammengefasst besteht unser strategischer Vorschlag darin, DIE LINKE auf kämpferischer Grundlage mit der Arbeiterbewegung und den antikapitalistischen Milieus in Beziehung zu setzen. Schematisch vereinfacht bilden diese drei Pole die Ecken eines strategischen Dreiecks. Die Perspektive des Aufbaus der LINKEN lässt sich von allen drei Polen aus argumentieren:
Aus der Perspektive der Arbeiterbewegung: DIE LINKE kann aktiven Gewerkschaftern einen Rahmen bieten, um einen Pol links von der Sozialdemokratie in den Gewerkschaften aufzubauen. Gleichzeitig ist die Anbindung an die aktivistischen Milieus gewinnbringend für die Arbeit unter den Kolleginnen und Kollegen, weil diese Milieus einen praktischen Fokus für Bewegung, radikale Kritik und aktivistische Innovation in die gewerkschaftliche Debatte einbringen können.
Aus der Perspektive der LINKEN: Wirkliche Veränderung kann nur durch die Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse durchgesetzt werden. Dafür muss die Partei zum kämpferischen Akteur in den Gewerkschaften werden und dafür braucht sie die Radikalität und den Aktivismus der Bewegungsmilieus.
Aus der Perspektive der antikapitalistischen Milieus: DIE LINKE kann das strategische Instrument sein, um die Massen für sozialistische Politik zu erreichen und um die Vorherrschaft sozialpartnerschaftlicher Ideen in den Gewerkschaften herauszufordern. Mit einigen tausend Radikalen alleine lässt sich keine Gesellschaft verändern und schon gar kein Kapitalismus stürzen.
Das marx21-Netzwerk
Das marx21-Netzwerk hat sich die Aufgabe gestellt, in der LINKEN für eine solche Herangehensweise wirksam zu werden. Um die Kräfte konzentrieren und gemeinsam praktische Impulse setzen zu können, trifft das Netzwerk strategische Verabredungen. Wie sieht das konkret aus? marx21 setzt sich für einen bewegungsorientierten Wahlkampf ein, der sich mit dem Widerstand gegen die Krise verbindet. In der Partei macht sich das Netzwerk für eine kampagnenorientierte Arbeitsweise stark, damit DIE LINKE dort handlungsfähig wird, wo sich gesellschaftliche Konflikte zuspitzen, wo Widersprüche aufbrechen, wo Bewegung entsteht, und damit sie sich nicht im parlamentarischen Alltag verzettelt. Konkret, dass DIE LINKE zu Bewegungsevents wie Blockupy oder »Dresden nazifrei« mobilisiert und dass in der Mobilisierung gleichzeitig die Debatten über Perspektiven der radikalen Linken offen mit den antikapitalistischen Milieus geführt werden. marx21 wirkt darauf hin, dass DIE LINKE aktiv Verbindungen zu betrieblichen Kämpfen aufnimmt, in gewerkschaftspolitische Debatten eingreift und die kämpferischen Kollegen gewinnt.
Zudem versteht es das Netzwerk als seine Aufgabe, die Aneignung und Entwicklung revolutionärer Theorie voran zu bringen. Marxistische Grundbildung und politische Debatte um politische Streitfragen sollen beispielsweise durch Lesekreise und den järhlich stattfindenden Kongress »MARX IS MUSS« gefördert werden. Mit der Homepage, dem Magazin, dem Theoriejournal und Büchern begleiten wir gesellschaftliche Debatten mit einem hohen inhaltlichen Profil.
Im Netzwerk arbeiten Marxisten zusammen, die sich aus unterschiedlicher Sicht auf die historischen Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung beziehen, um gemeinsam wirksame Strategien für die Anforderungen in unserer Zeit zu entwickeln. Als Netzwerk möchten wir, durch kollektive Diskussion und Intervention, dazu beitragen diesen revolutionären Kern im Rahmen der LINKEN weiter aufzubauen. Mach mit!
Foto: marx21de