Zum Leserbrief von Andreas H. aus Bonn (Heft 14)
Andreas H. schreibt in seinem Leserbrief: »Dann lässt sich der Nationalsozialismus auch nicht mehr nur als Zuspitzung des Kapitalismus, sondern als spezifisch deutsche Reaktion gegen die Moderne verstehen. Und diese Reaktion war durchaus antikapitalistisch, einem archaisch-bäuerlichen Ursprungsmythos von Blut und Boden zugewandt. Das Kapital wurde als Finanzjudentum von der ehrlichen deutschen Wertschöpfung abgespalten und musste deshalb vernichtet werden.«
Das ist mir ein zu großes Zugeständnis an den herrschenden Geschichtsrevisionismus. Zwar haben Nationalsozialisten zeitweise so ähnlich argumentiert, aber es kommt nicht darauf an, ob sich Staaten als »nationalsozialistisch«, »sozialistisch« (beide Begriffe wurden im Nationalsozialismus verwendet) oder als »kommunistisch« bezeichnen, sondern was sie wirklich sind. Die Nazis sind ja auch nicht deshalb gleich Vorläufer der Europäischen Union, nur weil ihr Zentralbankpräsident Walter Funk schon von »Europäischer Wirtschaftsgemeinschaft« sprach, die nach dem Krieg dann auch unter dem Kürzel EWG als Vorläufer der heutigen EG geschaffen wurde. Derselbe Funk schlug 1940 ein internationales System fester Wechselkurse vor, ähnlich dem dann später von den Alliierten eingerichteten System von Bretton Woods.
Die Deutsche Bank wurde zerschlagen – nicht von den Nazis, sondern nach der Nazi-Niederlage von den Alliierten und auch nur vorübergehend. Der bürgerliche Ökonom Wilhelm Röpke berichtet, dass 1933 ein keynesianischer Ökonom Hitler davon überzeugen wollte, kreditfinanzierte Konjunkturprogramme aufzulegen. Hitler antwortete, wie viele Politiker heute auch, das erzeuge Inflation und das hätten ihm »alle befragten Bankiers« bestätigt. Später finanzierte allerdings die Hitlerregierung Rüstungsprogramme über Kredite und Hitler entließ 1939, endgültig 1943, den Chef der Zentralbank Hjalmar Schacht, als dieser sich widersetzte. (1944 kam Schacht ins KZ, bei den Nürnberger Prozessen wurde er freigesprochen, ein deutsches Gericht sprach ihn nach Berufung ebenfalls frei.) Einzelne Kapitalisten wie der Flugzeugbauer Hugo Junkers, eigentlich dem »schaffenden Kapital« zuzurechnen, gerieten mit den Nazis in Konflikt, Junkers Fabrik wurde für die Rüstung verstaatlicht.
Die Nazis liberalisierten den Straßenverkehr, indem sie im eroberten Europa das Verbot für Fernlaster auf der Straße aufhoben, das zugunsten der Eisenbahnen bestanden hatte. Sie waren die Ersten, die staatlich gegen das Rauchen vorgingen, und schafften auch 1941 die heute bei den Nazis so beliebte Frakturschrift ab, weil sie nicht mehr zu den imperialistischen Ansprüchen passte. Das alles wirkt nicht sehr antikapitalistisch oder »archaisch-bäuerlich«, sondern ist kapitalistischer Imperialismus.
Thomas Walter, Berlin
Die Debatte:
- Stefan Bornost: »Bombardierung von Dresden: Von Opfern und Tätern« (marx21, Heft13)
- Keine Gleichsetzung: marx21-Leser Ulf Teichmann kritisiert Stefan Bornosts Artikel »Bombardierung von Dresden: Von Opfern und Tätern«
- Vorsicht vor falscher Idealisierung: Stefan Bornost antwortet Ulf Teichmann
- Abschied vom Bezug auf das nationale Kollektiv: Andreas H. zum Artikel »Von Opfern und Tätern«