Wenn Gewerkschaften streiken, weiß DIE LINKE meist nicht, wie sie helfen kann. Wie praktische Solidaritätsarbeit im Einzelhandelsstreik aussehen kann, erzählt Margarete Rothe von der LINKEN aus Berlin-Neukölln im marx21-Gespräch
marx21.de: Du hast während des Streiks im Einzelhandel an einer Solidaritätsaktion vor der H&M-Filiale in Berlin-Neukölln teilgenommen. Wie kam es dazu?
Margarete Rothe: In dieser Filiale gibt es einen kämpferischen Betriebsrat. Sie haben von einem anderen Betriebsrat den Tipp bekommen, sich für Solidaritätsarbeit an DIE LINKE zu wenden. Das haben sie getan und so entstand im Juli das erste Treffen von H&M-Beschäftigten und Mitgliedern der LINKEN Neukölln wie mir.
Was habt ihr besprochen?
Ein Ergebnis war, dass wir LINKE-Mitglieder gleich am nächsten Tag, der ein Streiktag war, mit unserem Transparent Mindestlohn statt Lohndumping vor die H&M-Filiale gezogen sind. Bei weiteren Treffen wurden verschiedene Aktionsformen diskutiert. Aufgrund des relativ niedrigen Organisationsgrades in der Filiale haben wir beschlossen, eine öffentlichkeitswirksame Info-Aktion zu machen. Zu diesem Zweck haben wir ein Straßentheater vorbereitet.
Ihr habt Straßentheater gemacht, um einen Streik zu unterstützen?
Genau. Wir haben vor H&M Neukölln den Tarifkonflikt plakativ nachgestellt: Sechs Darsteller waren als Verkäuferin oder Verkäufer gekennzeichnet, zwei weitere als Chefs verkleidet. Die Verkäufer hatten Kartons, wo ihre Rechte drauf standen, zum Beispiel Planbare Arbeitszeit, Zuschläge oder Urlaubsgeld.
Die Chefs haben den Verkäuferinnen dann ihre Kartons weggenommen, sie umgedreht und gestapelt. Auf der Rückseite waren Euro-Zeichen drauf, als Symbol für die Profite der Konzerne. Am Schluss haben die Verkäuferinnen den Profit-Turm umgeschmissen und sich ihre Kartons, also ihre Rechte, zurückgeholt. Danach wurden durchs Mikrofon die Hintergründe erklärt und zur Solidarität aufgefordert.
Klingt nach einer lustigen Aktion
Ja. Und deshalb kam es gut bei den Leuten an. Das Ganze war noch von dramatischer Star-Wars-Musik untermalt. Gerade weil wir den Tarifkonflikt vereinfacht und humorvoll überspitzt haben, konnte jeder, der zufällig vorbeikam, schnell verstehen, was das Thema ist.
Wie haben die Leute reagiert?
Viele wollten wissen worum es geht, haben LINKE-Material zum Tarifkonflikt im Einzelhandel mitgenommen und sind mit uns ins Gespräch gekommen. Außerdem haben sich einige in die Unterstützer-Listen eingetragen und ihre Kontaktdaten dagelassen, um für weitere Aktionen dieser Art eingeladen zu werden. Weil der Einzelhandel einer der größten Branchen in Deutschland ist, kannten einige die schlechten Arbeitsbedingungen auch aus dem privaten Umfeld. Meine Tochter ist auch Verkäuferin und hat dieselben Probleme, war eine Aussage, die sinngemäß öfter kam.
Wir hatten noch ein Flugblatt, das die Beschäftigten über die Aktion informiert und erklärt, warum wir das machen.
Fanden es die H&M-Beschäftigten auch gut?
Die große Mehrheit schon, einige hatten jedoch Angst die Flyer anzunehmen oder rauszugehen und damit ihre Zustimmung auszudrücken. Bei unserer Aufführung in Neukölln war das Problem, dass die Beschäftigten Friedenspflicht haben, wenn sie nicht zum Streik aufgerufen sind oder es keine offizielle ver.di-Veranstaltung ist.
Ihr habt die Aktion stellvertretend für die Beschäftigten gemacht?
An diesem Tag ging es nicht anders. Die nächste Aufführung vor der H&M-Filiale Friedrichstraße in Berlin-Mitte haben wir an einem Streiktag gemacht. Da haben einige Beschäftigte die Rolle der Verkäuferinnen übernommen, was ihnen sichtlich Spaß gemacht hat.
Gleichzeitig haben die Streikenden mit den Kunden gesprochen und sie gebeten, woanders einzukaufen. Die Filiale Friedrichstraße hatte an diesem Tag 50 Prozent weniger Umsatz als gewöhnlich, was vor dem Hintergrund sonstiger Streikverläufe einen vollen Erfolg darstellt.
Was waren die entscheidenden Faktoren für die gute Zusammenarbeit?
Bei H&M Friedrichstraße gibt es seit Jahren einen sehr engagierten Betriebsrat, der es geschafft hat, eine kampffähige Belegschaft aufzubauen. Das macht die Zusammenarbeit vergleichsweise einfach.
Bei H&M Neukölln gibt es eine neue Generation kämpferischer Betriebsräte. Die Mehrheit ist weiblich, unter 30 Jahre und bereit gegen Niedriglöhne zu kämpfen. Dabei sind sie auch aufgeschlossen für Unterstützung von außen.
Das klingt doch sehr vielversprechend…
Ja, aber wenn es nur bei einigen Leuchttürmen bleibt, kann der Kampf um den Manteltarifvertrag nicht gewonnen werden.
In Neukölln ist außerdem deutlich geworden: Engagierte Betriebsräte garantieren noch keine streikende Belegschaft. Es ist nach wie vor ein harter Kampf um jede einzelne Beschäftigte, um sie für einen Streik zu gewinnen. Die meisten streiken nicht, entweder aus Angst um ihren Job oder weil sie nicht glauben, dass der Streik etwas erreichen kann.
Ist es überhaupt sinnvoll, dass LINKE-Mitglieder einen Streik unterstützen, obwohl sie gar nicht in dem bestreikten Unternehmen arbeiten?
Ja. Denn gerade wenn der wirtschaftliche Druck eines Streiks wie im Einzelhandel nicht groß ist, braucht er auch die Unterstützung der gesamten Bevölkerung. Wir als LINKE sollten es als unsere Aufgabe sehen, für die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten einzutreten – nicht nur im Parlament sondern auch durch praktische Unterstützung bei Arbeitskämpfen.
Die größte Hoffnung liegt meines Erachtens darin, dass – wenn es gelingt, den Arbeitskampf zu politisieren und gute Solidaritätsarbeit zu machen – dies auch eine mobilisierende Wirkung nach innen hat. Beim Einzelhandel bietet es sich besonders an, die große Verbreitung von Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung zu thematisieren und auf diese Weise den Konflikt zu verallgemeinern. Wenn die Beschäftigten sehen, dass sie nicht alleine mit ihren Problemen sind, macht es ihnen hoffentlich Mut, sich zu wehren.
Lohnt sich das auch für DIE LINKE?
Einige der Beschäftigten haben schon gesagt, dass sie aufgrund unseres Engagements DIE LINKE wählen werden. Viel wichtiger finde ich es aber, die Beschäftigten dafür zu gewinnen, DIE LINKE als eine klassenkämpferische Partei aufzubauen. Wir können unsere Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit niemals durchsetzten, wenn sich nicht die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft dramatisch verändern. Daher liegt es in unserem direkten Interesse, Arbeitskämpfe zu unterstützen und die LINKE zu einem Akteur zu machen, der Arbeitskämpfe auch vorantreiben kann. Dafür müssen wir für die Beschäftigten auch zu einem guten Bündnispartner beziehungsweise zu einem politischen Raum werden, in dem es sich für sie lohnt sich zu engagieren.
Hat DIE LINKE dafür überhaupt die notwendigen Ressourcen?
Momentan eher nicht. Aber als Partei haben wir auch Kontakte zu anderen politischen Gruppen und können damit zur Vernetzung und Bündelung der Kräfte der gesellschaftlichen Linken beitragen. Anfang Oktober haben wir beispielsweise ein Treffen geplant, bei dem Betriebsräte und diverse Unterstützer über weitere Solidaritätsaktionen beraten. Neben der LINKEN und dem SDS haben auch Leute vom Blockupy-Bündnis und Attac zugesagt, sich an der Solidaritätsarbeit für den Tarifkampf zu beteiligen.
(Das Interview führte Hans Krause.)
Zur Person:
Margarete Rothe, ist Mitglied der LINKE-Basisorganisation Berlin-Hermannstraße und Unterstützerin des Netzwerks marx21.
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