Die Unabhängigkeitserklärung Kosovos hat die Regierung in Serbien in eine schwere Krise gestürzt. Der serbische Sozialist Vladimir Unkowski-Korica sprach mit marx21-Redakteur Yaak Pabst über Kosovo, die Politik der Großmächte und die Herausforderungen für die Linke auf dem Balkan.
Wie schätzt du die Situation nach der Unabhängigkeitserklärung Kosvos ein?
Die Linke auf dem Balkan hat schwere Zeiten vor sich. Die Unterstützung der USA für Kosovo und der Russlands für Serbien führen zur Verhärtung nationalistischer Positionen. Serben und Albaner fühlen sich ermutigt, den jeweils anderen zu hintergehen weil sie die Unterstützung der Großmächte genießen. Die Region ist schon lange Brennpunkt der Konkurrenz zwischen der USA und der Europäischen Union (EU) auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Kosovos einseitige Unabhängigkeitserklärung kennzeichnet ein neues Stadium dieser Spannungen.
Kannst du das genauer erklären?
Die USA und die führenden EU-Mächte – Großbritannien, Frankreich und Deutschland – waren die treibenden Kräfte der Unabhängigkeit Kosovos. Sie wollen Russlands Einfluss in der Region zurückdrängen. Dieses Ziel verfolgt der Westen seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes. Ein weiteres Ziel besteht darin, die Öl- und Gasleitungen aus Zentralasien abzusichern und so die Abhängigkeit von russischen Energiereserven zu verringern.
Um diese Ziele zu erreichen, stellte die USA in der Vergangenheit klar, dass nur sie alleine in der Lage waren, die Ordnung nach dem Bürgerkrieg auf dem Balkan wiederherzustellen und langfristig zu sichern. Die USA intervenierten im Jahre 1995 in Bosnien und bombardierten im »Kosovokrieg« 1999 Serbien. Jetzt haben sie Kosovos Unabhängigkeit anerkannt und damit ihr Versprechen gebrochen, welches sie in der Resolution der Vereinten Nationen nach Ende des Krieges 1999 gemacht hatten.
Auf der anderen Seite versucht Russland sich gegen diese Bestrebungen zu behaupten. Die russische Regierung malte sich gut Chancen aus, um in der Region ihren Einfluss auszubauen. Vor allem wegen der gemeinsamen Religion und der Geschichte. Aber insbesondere aufgrund des Unmutes unter den Serben über die US-Intervention im Krieg 1999. Russland hat seine beträchtlichen Energieressourcen dazu genutzt, sich selbst größeren Einfluss in der Region zu sichern. Es hat einen Vertrag über eine Erdölpipeline mit Bulgarien und Griechenland geschlossen und gerade erst die serbische staatliche Ölindustrie aufgekauft. Kosovos Unabhängigkeitserklärung wäre ohne die Unterstützung des Westens nicht denkbar. Sie ist Ausdruck der sich verschärfenden Konkurrenz der Großmächte.
Viele Menschen im Kosovo verbinden große Hoffnungen mit der Unabhängigkeit von Serbien. Auch die Regierung in Deutschland hat Kosovos Unabhängigkeit anerkannt. Was denkst du darüber?
Nach fast neun Jahren UN-Herrschaft im Kosovo, der Besatzung durch die NATO-Truppen und der tiefen wirtschaftlichen Krise war es fast unausweichlich, dass die Kosovo-Albaner verlangen würden, sich selbst regieren zu dürfen. Wer jedoch glaubt, die USA und die EU hätten die Kontrolle im Kosovo aufgegeben, täuscht sich. Im Jahre 1999 hatten die USA die Regierung der Provinz sozusagen an die UN verpachtet. Die koloniale Herrschaft der UN soll jetzt durch die koloniale Herrschaft der EU ersetzt werden. Letztendlich wird die größte Macht beim von der EU eingesetzten International Civilian Representative (ICR) verbleiben. Dieser hat die Befugnis, Entscheidungen oder Gesetze der Regierung zu annullieren und hohe Beamte abzusetzen. Kosovo wird also in keiner Weise unabhängig sein.
Die schnelle Anerkennung der Unabhängigkeit sollte jedoch auch dazu dienen, die pro-westliche Regierung im Kosovo selbst zu stützen. Denn unter der UN-Herrschaft ist eine radikalere nationale Protestbewegung namens Vetevendosje! (Albanisch für „Selbstbestimmung«) entstanden, die gegen die Fremdbeherrschung durch den Westen kämpft. Die USA haben die Gruppe als „Feinde der Zukunft Kosovos« bezeichnet.
Kannst du uns mehr über die Vetevendosje! erzählen?
Die Organisation bildete sich in den friedlichen Massenbewegungen gegen die serbische Repression in den 1990ern. Vetevendosje! kämpft für die vollständige Unabhängigkeit von Serbien. Außerdem spricht sie soziale Themen an und wendete sich gegen die Privatisierung der Gesundheitsfürsorge. Der Hauptfokus der Organisation ist allerdings die Opposition gegen das, was sie »neokoloniale Regierung« durch ausländische Mächte nennt. Vetevendosje! hat beispielsweise die Unabhängigkeitserklärung Kosovos als »einen Schritt vorwärts – drei Schritte zurück« bezeichnet. In der Erklärung heißt es weiter: »Kosovo wird weiterhin ein Land sein, das durch eine undemokratische, von außen bestimmte und nicht von innen gewählte Mission regiert wird.««
Obwohl sie keinerlei sichtbare Opposition gegen die zukünftige Integration in die EU organisierte, wurde Vetevendosje! von der UN-Verwaltung bekämpft. Ihr prominenter Sprecher, Albin Kurti, wird immer noch der Prozess gemacht, weil er angeblich ein Sicherheitsrisiko für die öffentliche Ordnung darstellt, während die UN-Polizeioffiziere, die letzten Februar zwei Protestierende erschossen, die Erlaubnis erhalten haben, Kosovo zu verlassen. Unter solchen Umständen ist es nur eine Frage der Zeit, bevor eine solche Basisbewegung offener anfängt, den Imperialismus in Kosovo in Frage zu stellen.
Wie ist die Stimmung in Serbien nach Kosovos Unabhängigkeitserklärung?
Die serbische politische Spitze ist gespalten darüber, wie man weiter reagieren sollte. Die regierende Koalition fiel gerade einmal drei Wochen, nachdem Kosovo seine Unabhängigkeit erklärt hatte, und nun sind Neuwahlen angekündigt worden. Diese werden sehr wahrscheinlich im Mai sein, damit sie gleichzeitig mit den Kommunalwahlen stattfinden können. Im Parlament gibt es zwei Fraktionen. Zwar stimmen beide darin überein, dass Serbien niemals ein unabhängiges Kosovo anerkennen sollte. Aber über die Frage, ob eine schnellere Integration in die Europäische Union oder verstärkte Beziehungen zu Russland die beste Garantie serbischer Interessen im Kosovo sind, ist ein heftiger Streit ausgebrochen. Der pro-westliche Flügel wird von der demokratischen Partei angeführt, während der pro-russische Flügel von der Radikalen Partei bestimmt wird. Die Kandidaten der jeweiligen Parteien standen einander in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen Anfang Februar 2008 gegenüber. Der pro-westliche Kandidat gewann mit weniger als 3 Prozent Vorsprung. Aber der Unterschied ist diesmal, dass die Partei des scheidenden Premierministers, die während der Präsidentschaftswahlen neutral blieb, sich jetzt gegen die EU stellt. Ihre Position ist, dass Serbien kein EU-Mitglied sein darf, ohne dass Kosovo Teil seines Territoriums bleibt.
Meinungsumfragen prophezeien ein Kopf ein Kopf Rennen. Sie zeigen, dass eine Mehrheit eine schnelle EU-Mitgliedschaft vorziehen würde, wenn die Anerkennung des Kosovos nicht als eine Mitgliedschaftsbedingung gestellt wird. Jedoch befürworten 60 Prozent auch engere Beziehungen zu Russland, während 68 Prozent eine NATO-Mitgliedschaft ablehnen. Was auch immer geschieht, die einfachen Leute merken, dass sie es mit mehr ausländischer Einmischung und mehr Privatisierung zu tun kriegen: Doch diese Politik hat Serbien in die Armut gestürzt. Es ist kein Wunder, dass laut Umfragen 57 Prozent der Bevölkerung unzufrieden mit der Situation im Land sind.
Wie haben die Linke und die Arbeiterbewegung reagiert?
Es gibt wenig Begeisterung für die von den parlamentarischen Parteien angebotenen Alternativen. Leider gibt es keine wirkliche parlamentarische Linke. Die Sozialistische Partei Serbiens (Die Partei des verstorbenen ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevic) ist durch ihre Rolle in den Kriegen der 90iger Jahre und ihre Unterstützung für die neoliberale Minderheitenregierung von 2003 bis zum Frühjahr 2007 bei vielen diskreditiert. Daher wählen die meisten Arbeiter die nationalistische prorussische Radikale Partei. Sie wendet sich an die Armen und Ausgeschlossenen und macht ihnen Hoffnung auf Stabilität in einer chaotischen Welt.
Davon abgesehen, war die Beteiligung an der von der Regierung organisierten und durch die Radikale Partei unterstützte Demonstration gegen Kosovos Unabhängigkeit gering. Mit 200.000 haben weniger protestierten als erwartet. Es gibt alleine mehr als 800.000 Arbeitslose in Serbien. Es ist bemerkenswert, dass nur zwei Wochen nach der Unabhängigkeitserklärung eine Welle von Betriebsbesetzungen und Protesten gegen Privatisierung die Industriestadt von Kragujevac erschütterten. Der Gewerkschaftsdachverband hat nun zu einem Protest für mehr Arbeitsplätze am ersten Mai aufgerufen. Dies geschieht im Kontext einer ähnlich explosiven Situation in der nördlichen Stadt Zrenjanin. Dort haben Arbeiterinnen und Arbeiter sich entschlossen, ihre eigene Partei »Gleichheit« zu gründen. Die neue Partei „Gleichheit« soll bei den kommenden Kommunalwahlen antreten. Das Thema Kosovo steht nicht auf ihrer Prioritätenliste, sondern soziale Themen.
Wie kann die Linke den Nationalismus bekämpfen?
Wir brauchen eine gemeinsame Bewegung, die sowohl die lokalen führenden Klassen auf dem Balkan als auch ihre imperialistischen Unterstützer herausfordert. Die serbische Linke muss verstehen, dass seit der Eroberung des Kosovos in den Balkankriegen von 1912-1913, Serbien unter Kosovo-Albanern als Unterdrücker angesehen wird. Um reale Einheit und Frieden auf dem Balkan zu schaffen, können wir die Wut und Trauer über die Geschehnisse in der Vergangenheit nicht ignorieren. In Serbien ist es wichtig, dass die Linke deutlich macht, dass die Arbeiterklasse in Serbien nicht vom »Anspruch« auf Kosovo profitiert. Die Linke in Serbien muss gegen die neoliberale Politik der eigenen herrschenden Klasse und der Russlands Widerstand aufbauen. So können wir gleichzeitig eine Brücke zu den Kosovo-Albaner bauen. Aber dies bedeutet nicht, dass wir glauben, dass ein unabhängiger Kosovo, real oder auch nur symbolisch, das Problem der serbisch-albanischen Beziehungen lösen kann. Der Versuch, »ethnisch reine« Staaten auf dem Balkan zu errichten, führt unweigerlich zu Kriegen und ethnischen Säuberungen. Stattdessen müssen wir Netzwerke der Solidarität bilden, die soziale und antiimperialistische Proteste überall auf dem Balkan von der Basis aufwärts miteinander verbinden.
Kannst du uns ein Beispiel geben?
Die linke Gruppe in der ich Mitglied bin, hat beispielsweise während der Studierendenbewegungen gegen Studiengebühren 2006-07, einen runden Tisch an der Universität über die Kosovo-Frage organisiert. Unser Ziel war es, nach der brutalen Niederschlagung der Demonstration im Februar 2007 ein Solidaritätsschreiben an Vetevendosje! zu schicken. So konnten wir serbische Studierende für eine internationalistische Perspektive sensibilisieren. Aber wir konnten auch den Kosovo-Albanern ein Signal senden, dass gewöhnliche Serben nicht ihre Feinde sind, dass wir auf dem Balkan unsere eigenen Probleme lösen können, ohne bloß Bauern auf dem Schachbrett des Imperialismus, von Ost oder West, zu werden. Wir müssen alle Formen der Unterdrückung bekämpfen und uns für eine wirkliche Selbstbestimmung in einer sozialistischen Föderation der Balkanländer einsetzen.
Die Merkel-Regierung sagt, »die Bundeswehr muss nach Kosovo, um den Menschen zu helfen«. Was denkst du darüber?
Wenn diese Hilfe auch nur im Entferntesten wie die deutsche „Hilfe« in Afghanistan aussieht, denke ich, dass die Menschen im Kosovo weise genug sein werden, „Nein danke!« zu sagen. Die Lebenserwartung in Afghanistan ist seit 2001 von bereits niedrigen 46 auf 44 Jahre gefallen. Es muss klar sein, dass die so genannte »humanitäre« Intervention nicht in der Lage gewesen ist, auch nur die einfachsten Probleme in Afghanistan zu lösen. Im Kosovo ist es nicht anders. Außerdem ist Deutschland längst im Kosovo „engagiert« und hat maßgeblich zu der schlimmen Situation im dort beigetragen. Zwei prominente deutsche Diplomaten haben die UN-Zivilmission in Kosovo, genannt UNMIK, angeführt: Michael Steiner von 2002 bis 2003, und Joachim Rücker seit September 2006. Jedoch ist nach fast neun Jahren UN-Herrschaft Kosovo immer noch das Armenhaus Europas. Darüber hinaus sind, laut der Menschenrechtsorganisation Freedom House, »mehr als 250.000 Serben, Roma, Bosnier, Kroaten, Türken und Juden gezwungen worden, aus der Provinz zu fliehen.« Und das vor den Augen der UN-Friedenstruppen (KFOR), die gesandt worden waren, um ein multiethnisches Kosovo zu garantieren.
Das größte anti-serbische Progrom seit dem NATO-Angriff auf Serbien 1999 fand im März 2004 statt, als die KFOR unter der Leitung des deutschen Generals Holger Kammerhof stand. Angela Merkel kann den Menschen in Afghanistan und im Kosovo helfen, indem sie die deutschen Truppen abzieht.
Zur Person:
Vladimir Unkowski-Korica ist Sozialist und lebt in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Er studiert und ist Mitglied der linken Gruppe »Socijalni Front«.
Mehr auf marx21.de:
- Im Fadenkreuz der Großmächte: Die neu gegründete Republik Kosovo ist nicht viel mehr als eine neue »Kolonie« der Großmächte, meinen Klaus Henning und Max Steininger.