US-Präsident Barack Oama hat den Friedensnobelpreis bekommen. marx21 dokumentiert Statements von Tariq Ali, Naomi Klein und anderen.
Weniger als neun Monate nach seinem Amtsantritt wird dem neuen US-Präsidenten der Friedensnobelpreis 2009 verliehen. Er erhält ihn, obwohl er den Krieg im Irak fortführt und die Besatzung Afghanistans ausweitet. Tariq Ali ist Sozialist und Buchautor. Im Interview mit dem Fernsehsender »Democracy Now!« sagte er: »Schon in der Vergangenheit wurde der Preis an US-Präsidenten verliehen, zum Beispiel an Teddy Roosevelt, der den Frieden nicht sonderlich liebte. Auch Jimmy Carter erhielt den Preis. Was Barack Obama angeht, so gibt es nur eines zu sagen: Im Moment halten amerikanische Truppen zwei Länder besetzt: Irak und Afghanistan. Egal, was gesagt wird, die US-Soldaten bleiben im Irak; ihre Basen werden dort noch einige Zeit bleiben. Der Krieg in Afghanistan geht ohne Unterlass weiter – und Präsident Obama entsendet sogar weitere Truppen. Noch mehr Menschen werden getötet – Afghanen und Nato-Soldaten. Der Krieg wurde auf Pakistan ausgeweitet. Daher ist die Entscheidung des Nobelpreiskomitees seltsam – wenn auch nicht überraschend. Das Nobelpreiskomitee neigt dazu, Rhetorik sehr ernst zu nehmen. Sie leugnen es, aber wir wissen, dass sie 1938 im Konflikt waren, ob sie den Preis an Gandhi oder an Hitler verleihen sollten. Schließlich gaben sie ihn an die Flüchtlingsorganisation Nansen International Office of Refugees – auch keine bessere Entscheidung. Es wäre sinnvoll, wenn sie darüber nach denken würden, eine selbstlose Entscheidung zu treffen: keine Preise mehr an Staatsoberhäupter, an Leute, die noch an der Macht sind, nicht an Leute, die Kriege führen. Ich denke, ich hätte ihnen zwei Kandidaten nennen können, die den Friedensnobelpreis 2009 wirklich verdient hätten. Der eine ist Noam Chomsky, der sich sein ganzes Leben lang für den Frieden eingesetzt hat, der andere Mumia Abu-Jamal, der seit 25 Jahren friedlich in seiner Gefängniszelle sitzt und auf Gerechtigkeit wartet. Das hätte den Leuten zu denken gegeben.«
Zur Begründung des Nobelpreiskomitees »Obama habe sich auf die muslimische Welt zu bewegt« erklärte Tariq Ali: »Nun, Obama hat in Kairo eine Rede gehalten, in der er sich an die muslimische Welt wandte. Das taten andere US-Präsidenten vor ihm. Im Vergleich mit Bush erschien das natürlich sehr dramatisch. Es war in gewisser Weise begrüßenswert, als er sagte: »Ihr seid nicht unsere Feinde«. Aber Taten sprechen lauter als Worte. Das ist immer so. Was die israelisch-palästinensischen Gespräche angeht, so gibt es keine Entwicklung. Die Obama-Regierung ist unfähig, mit Netanjahu und der extremen Rechten in Israel, die heute an der Macht sind umzugehen. Es gibt auch keine Fortschritte hinsichtlich eines völligen Rückzugs aus dem Irak. Auf den Iran wird konstanter Druck ausgeübt. In Afghanistan herrscht Krieg. Schön und gut mit der muslimischen Welt zu reden, aber bei Politikern sollte man sein Urteil auf deren Taten stützen und nicht auf das, was sie sagen.«
Naomi Klein (Journalistin und Buchautorin des Bestseller »No Logo«) erklärte ihre Enttäuschung über die Verleihung des Friedensnobelpreises an Obama. Gegenüber »Democracy Now!« sagte sie: »Wenn wir uns die Begründung anhören, so wird der Preis – trotz überwältigender Gegenbeweise – in der Hoffnung vergeben, Obama werde seine Meinung ändern oder sich ermutigt fühlen, Dinge zu tun, die er bisher nicht tat. Doch bei dem Preis geht es eigentlich darum, konkretes Verhalten, konkrete Aktionen, zu honorieren. Es gibt viele in der Welt, die für diesen Preis in Betracht kamen, Menschen, die Tag für Tag enorm riskante Dinge tun, um konkret Gutes zu erreichen. (…) Ich denke, der Moment ist wirklich passé, um Obama zu belohnen, weil er Hoffnungen und Optimismus weckte. Wir sehen das sehr deutlich in Zusammenhang mit Israel-Palästina: Enorme Hoffnungen wurden geweckt – inspiriert durch Obamas Rhetorik und seine historische Kairoer Rede. Dieser Moment ist für uns vorbei, denn er hat seine Rede nicht erst gestern gehalten. Heute ist der Moment, in dem wir auf die Erfüllung seines Versprechens für Wandel warten – und wir erleben eine Enttäuschung nach der andern. Da war erstens sein halbherziger Versuch, mit der Netanjahu-Regierung Tacheles zu reden, als es um die Expansion der Siedlungen ging. Ich sage »halbherzig«, weil tatsächlich Forderungen gestellt wurden, die allerdings kraftlos vorangetrieben wurden. Wir wissen schließlich, dass die USA nicht nur über moralische Mittel verfügen, die sie gegen die Regierung Netanjahu einsetzen könnten, wenn sie die Ausweitung der Siedlungen wirklich verhindern wollten: Milliarden an Militärhilfe. Aber dieses Thema kam natürlich nie auf den Tisch. Nachdem das bisschen moralischer Druck versagt hatte, sahen wir wieder den alten Defätismus. (…) Dies ist der Moment, in dem Palästinenser zunehmend der Meinung sind: »Okay, ihr habt uns Hoffnungen gemacht, und nun zerstört ihr sie wieder«. Und mittendrin verleiht das Nobelpreis-Komitee seinen wichtigsten Preis an Barack Obama. Ich denke, das ist reichlich beleidigend. Ich weiß nicht, was für ein politisches Spiel sie spielen. Um ganz ehrlich zu sein, ich glaube, das Komitee war noch nie so politisch und noch nie so enttäuschend.«
Auch in Deutschland stößt die Verleihung auf scharfe Kritik. Der Bundesausschuss Friedensratschlag erklärte: »Das Nobelpreis-Komitee hat mit der diesjährigen Wahl des Friedenspreisträgers einen kolossalen Fehlgriff getan. (…) Vorerst bleiben die Reden Obamas von Prag (Atomwaffenfreiheit) und Kairo (Dialogbereitschaft mit der islamischen Welt) wohl klingende Versprechungen. Dem stehen aber Handlungen gegenüber, die nicht in das strahlende Bild eines globalen Friedensbringers passen. Wir denken etwa an das Modernisierungsprogramm für die US-Atomwaffen und an die Entwicklung neuartiger Bunker brechender Waffen. Auch die Absage an die Installierung von Raketenabewehrsystemen in Polen und Tschechien bedeutet keine Abkehr von dem Anspruch und den konkretisierten Planungen einer umfassenden see- und landgestützten Raketenabwehr in und um Europa – die soll vielmehr vorangetrieben werden. (…) Das Nobelpreiskomitee ignoriert schließlich die andere Seite des gefeierten US-Präsidenten: Obama legte dem Kongress den höchsten Miltäretat in der Geschichte der Vereinigten Staaten vor. Das allein wäre wohl schon ein Ausschlussgrund für eine solche Auszeichnung. (…) Nicht berücksichtigt hat das Komitee auch die von Obama eingeleitete Verstärkung der US-Truppen in Afghanistan, womit der dortige Krieg ausgeweitet wird, nicht aber zu beenden ist. Die Auszeichnung Obamas ist ein irritierendes Zeichen an die Welt: Der Nobelpreis wird nicht an eine Person vergeben, die durch ihre Taten einen wertvollen Beitrag zum Frieden geleistet hat, sondern die vorerst nur mit guten Worten glänzen konnte. Das gehört zum Job jedes Politikers und Obama macht ihn nur besonders gut. Das Nobelpreiskomitee hätte noch ein paar Jahre Zeit gehabt mit der Ehrung Obamas. Dann hätte die Welt seine Leistungen für den Weltfrieden besser beurteilen können.«