Der Kampf in Griechenland wirft ein Licht auf die tiefere Krise in Europa, meint Alex Callinicos
In gewisser Hinsicht spielt sich mit der Krise in Griechenland die bekannte Geschichte von marktökonomischer Erpressung und Einschüchterung ab. Als Griechenland die eigene Währung aufgab und sich der Euro-Zone anschloss, hat es sich an eine der weltweit größten Ökonomien gebunden: Deutschland. Das gab Griechenland die Möglichkeit, Geld über die Ausgabe von Staatsanleihen zu niedrigeren Zinsen aufzunehmen. Auf diese Weise entwickelte sich Mitte des vergangenen Jahrzehnts in Griechenland eine Kreditblase, die schließlich platzte.
Die Banken, die die Krise auslösten, wurden natürlich unter hohen Kosten von ihren Regierungen gerettet. Jetzt sind sie außer sich über die sich anschließende erhöhte Kreditaufnahme der Regierung und fordern Sparmaßnahmen und Einschnitte bei staatlichen Dienstleitungen. Griechenland ist als kleine und schwache Ökonomie besonders verletzlich – und weil die Finanzmärkte wenig Zutrauen in die Fähigkeit oder Bereitschaft seiner politischen Elite haben, die von ihnen geforderten Kürzungen durchzusetzen.
Sie müssen es wissen. Die Notenbank der USA untersucht derzeit die Rolle von Goldman Sachs, der wohl meistgehassten Wall-Street-Bank, beim Frisieren der griechischen Verschuldungsziffern bei Einführung des Euro im Jahr 2001. Die jetzige griechische Regierung unter George Papandreou befindet sich in einer Zwickmühle. Sie muss in den nächsten drei Monaten 22 Milliarden Euro zusammenbekommen, um die auslaufenden Staatsanleihen zu ersetzen. Sie hatte gehofft, dass die im vergangenen Monat angekündigten Kürzungen die Märkte beruhigen würden.
In der letzten Februarwoche kam es dann aber zu einem tiefen Fall der Anleihenpreise. Und Papandreou will offenbar die Bestie mit einer neuen Runde von Kürzungen entsprechend der Forderung der Europäischen Union füttern. Diese würden sich auf 1,5 Prozent des griechischen Nationaleinkommens belaufen, dreimal so viel, wie bei dem vorherigen Sparpaket vorgesehen war. Bei der griechischen Krise geht es aber auch um Deutschland, den Riesen der Euro-Zone. Unter der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005 erlebte Deutschland eine scharfe wirtschaftliche Reorganisation, Löhne wurden gesenkt und die Konkurrenzfähigkeit seiner Unternehmen gestärkt.
Deutschland ist wie China ausgerichtet auf den Export von Industriegütern. Der Vergleich geht noch weiter, wie die Washington Post am 28. Februar zeigte: »Aufgrund der Schieflage in der Handelsbilanz ist die Beziehung Deutschlands zu seinen Partnern in der Euro-Zone vergleichbar mit der Chinas und zu den Vereinigten Staaten: Ein Staat ist Lieferant und Finanzier und der andere ein Käufer, der sich übernommen hat. Nach Saudi-Arabien verfügt Deutschland jetzt über den größten Handelsüberschuss. Im vergangenen Jahrzehnt stiegen die Verkäufe Deutschlands an Griechenland, Spanien und Portugal um jeweils 66 Prozent, 59 Prozent und 30 Prozent. Deutsche Banken haben auch schwer in griechische, spanische und portugiesische Schulden investiert. Dagegen hat Deutschland nur sehr wenig von diesen Staaten importiert.« Die kleineren europäischen Wirtschaften sind durch ihre Mitgliedschaft in der Euro-Zone an eine Ökonomie gefesselt, gegen die ihre Unternehmen nicht konkurrieren können. Dazu kommt, dass sie als Teilnehmer am Euro-System ihre eigenen Währungen nicht abwerten können, um so ihre Exporte zu verbilligen.
Deshalb steigt der Druck auf Deutschland, Griechenland finanziell zu stützen. Bisher hat Kanzlerin Angela Merkel abgelehnt. Die deutschen Medien sind voller absurder Geschichten über die Privilegien der griechischen Staatsbediensteten. Griechische Arbeiter und Arbeiterinnen sind vermutlich die radikalsten Europas. Nach dem Generalstreik Ende Februar macht sich die griechische herrschende Klasse Sorgen über einen »Arbeiterdezember« – einer Arbeiterklassenversion der Jugendrevolte, die Griechenland im Dezember 2008 erschütterte.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, Papandreou am 26. Februar besuchte, um anscheinend ein Abkommen zu diskutieren. Aber Griechenland selbst repräsentiert nur zwei bis drei Prozent des Ausstoßes der Euro-Zone. Spanien dagegen fast 12 Prozent. In einem Artikel der »Financial Times« vom 28. Februar mit der Überschrift »Die Märkte machen sich bereit, Spanien zu abzustrafen«, wurde gewarnt: »Was auch immer in Athen geschieht, es ist mehr als sicher, dass die Märkte schon bald ihren eisigen Blick erneut auf die anderen schwachen Ökonomien der Euro-Zone werfen werden.« Die Bestie will wieder gefüttert werden.
Zum Text:
Der Artikel erschien zuerst auf Englisch in der britischen Zeitung »Socialist Worker« vom 2. März 2010. Übersetzung ins Deutsche von Rosemarie Nünning.
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