Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Katrin Schierbach erklärt im marx21-Interview, warum der Kampf für Frauenbefreiung weiter aktuell ist.
marx21: Katrin, du bist Mitglied der LINKEN und aktiv für Gleichberechtigung. Warum eigentlich? In den letzten Jahrzehnten haben Frauen doch viel erreicht. Es gibt den Mutterschutz, Gesetze gegen sexuelle Belästigung und rechtlichen Anspruch auf gleichen Lohn. Frauen können Rechtsanwältin, Chefärztin oder Kanzlerin werden…
Katrin Schierbach: Das ist richtig. Aber trotz all dieser Fortschritte: Noch immer arbeitet die Mehrheit der Frauen für weniger Lohn, noch immer bekommen Frauen deutlich weniger Rente, noch immer werden Frauen sexuell belästigt und als Sex-Objekt angesehen, noch immer müssen Frauen in Frauenhäuser fliehen und noch immer stellt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einen Drahtseilakt dar.
Ja, vieles, was noch vor ein, zwei Generationen unvorstellbar war, ist heute selbstverständlicher geworden. Ich denke da an veränderte Familienformen, an die Anzahl der Studentinnen, an Verhütungsmöglichkeiten, an die technischen Hilfsmittel im Haushalt, die eine Menge der alltäglichen Plackerei abnehmen.
Aber die Doppelbelastung für Frauen durch Arbeit und Familienarbeit ist geblieben. Angesichts der sozialen Kürzungen verschärft diese sich derzeit sogar wieder.
Dass die alten Stereotypen sich verändert haben, ist gut. Aber die neuen Frauenbilder sind auch nicht gerade großartig. Eine Frau soll heute Super-Mutter, Super-Karrieristin und Super-sexy-Partnerin sein. Das führt zu Druck im Alltag und dem Gefühl einer permanenten Überforderung. Wenn du diese Ansprüche nicht erfüllst, bist du eben nicht gut genug. Das Selbstwertgefühl sinkt – und auch die Widerstandskraft, gegen die Missstände anzugehen.
Aber ein verändertes Bild alleine ändert natürlich nicht die reale Situation von Frauen. Der Alltagsdruck kann auch durch ein noch so modernes Frauenbild nicht abgeschafft werden.
Ich bin davon überzeugt, dass die Frauenfrage eine Klassenfrage ist. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen kann ihren Familienalltag mit vielen Kindern sicherlich nur mit einer Schar von Helferinnen erledigen. So etwas kann sich die Mehrheit der Frauen finanziell gar nicht leisten.
Die Männer dulden also keine gleichberechtigten Frauen neben sich?
Es sind mehrheitlich Männer, die Gewalt ausüben, die vergewaltigen, die die höheren Löhne und Renten bekommen, die weniger Zeit mit Hausarbeit verbringen.
Ich denke aber nicht, dass die Mehrheit der Männer von dieser Situation einen wirklichen Vorteil hat. Auch sie werden in die Rolle, wie ein Mann im Kapitalismus zu sein hat, hineingepresst. Die Selbstmordrate unter Männern ist höher als die bei Frauen. Sie dürfen nicht versagen, sie dürfen nicht weinen.
Aber die Ursache für diese Gewalt sind die gesellschaftlichen Umstände, der Kapitalismus. Neben dem Kampf um Verbesserungen – wie Frauenhäusern, dem eigenständigen Recht auf Sozialleistungen, Arbeit und Bleiberechte – müssen wir an den Wurzeln des Systems angreifen.
Auch auf der ökonomischen Ebene profitieren nur einige wenige Männer von der Frauenunterdrückung. Dass die Frauenlöhne sich in den letzten dreißig Jahren denen der Männer angeglichen haben, liegt zum Teil auch daran, dass die Männerlöhne gefallen sind. Ich finde, dass die Soziologin Frigga Haug da sehr richtig betont, dass die schlechtere Behandlung von Frauen »kein Resultat persönlicher Mann-Frau-Beziehungen und nicht durch Charakterschulung behebbar« sei, sondern »aus einer Struktur und gesellschaftlichen Arbeitsteilung« komme.
Eine neue Generation von jungen Frauen hat in den vergangenen Jahren auf sich aufmerksam gemacht. Sie nennen sich Feministinnen, wollen aber mit dem Feminismus à la Alice Schwarzer nichts zu tun haben – ich denke da an Charlotte Roche oder die Autorinnen des Buches »Wir Alphamädchen«…
Diese Entwicklung ist begrüßenswert. Denn Alice Schwarzers Weg wird nicht zur Frauenbefreiung führen. Zusammen mit der Bild-Eignerin Frida Springer, der ehemaligen TV-Talkerin Sabine Christiansen und anderen Frauen der Oberschicht hat sie vor der vorletzten Bundestagswahl den Merkel-Wahlverein »Mehr für Merkel« gegründet. Das sind keine Bündnispartnerinnen für eine frauenfreundliche Politik.
Absolut begrüßenswert finde ich Aussagen der »neuen Feministinnen«, dass wir von einer Gleichheit der Geschlechter noch weit entfernt sind. Ihre Kritik an der Regierungspolitik der kleinen Schritte und der Freiwilligkeitserklärungen der Wirtschaft aus den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist hervorragend und geht weit über Schwarzers Regierungsschmusekurs hinaus.
Sie sehen Männer nicht als Feindbild und betonen, dass das Problem die gesellschaftlichen Hindernisse sind. Sie greifen den Biologismus, die soziale Stigmatisierung armer Frauen und den Rassismus des Welt-Mitherausgebers Frank Schirrmacher in der Demografiedebatte an. Er will weniger Kinder von Armen und Migrantinnen in der Gesellschaft. Dies alles halte ich für absolut wichtige Punkte in der Diskussion um Frauenbefreiung.
Ihre Überlegungen stoßen jedoch auf Grenzen: Bei aller guten Kritik formulieren sie ihren Standpunkt immer wieder aus der Perspektive von Uniabsolventinnen und Mittelschichtsfrauen. Dabei vergessen sie häufig die Situation der Mehrheit der Frauen. Zudem fallen sie auch wieder zurück auf die Position »Frauen machen bessere Politik« bzw. »Frauen sind die besseren Führungskräfte in der Wirtschaft«. Außerdem hinterfragen sie nicht die individuelle Teilung der Reproduktionsarbeiten zwischen Frau und Mann innerhalb von Beziehungen.
Dazu muss man jedoch sagen: Die aktuelle Wirtschaftskrise existiert nicht, weil Männer an den Rudern der Politik und Wirtschaft sitzen, sondern weil der Kapitalismus ein Krisensystem ist. Auch eine zwischen Partnern ausgehandelte geschlechtergerechte Haushaltsführung, stößt angesichts der massiven Kürzungen der Sozialpolitik an ihre Grenzen. Die Tatsache, dass die Reproduktion privat organisiert werden muss, bleibt. Ich wünsche mir aber eine gesellschaftliche Übernahme dieser Tätigkeiten, so dass in Familien und Beziehungen menschliche Wärme im Mittelpunkt steht, aber nicht die Alltagslast.
Die von dir eben schon angesprochene Frigga Haug hat das Prinzip »Teilzeit für alle« und die »Vier-in-Einem-Perspektive« vorgeschlagen, um eine gesellschaftliche Lösung für die gegenwärtige geschlechterspezifische Arbeitsteilung zu finden. Jede Frau, jeder Mann soll demnach jeweils vier Stunden pro Tag Zeit für Erwerbsarbeit, Reproduktion bzw. Sorgearbeit, für kulturelle Entwicklung und Selbstentfaltung und für politische Aktivität haben. Was hältst Du davon?
Mehr Zeit für die letzten drei Aspekte, die Frigga nennt, wäre toll. Auch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist wünschenswert – zumal dadurch auch die Arbeitslosigkeit reduziert werden könnte. Aber leider lässt Frigga Haug offen, was genau nötig ist, um solche Forderungen durchzusetzen.
Problematisch finde ich auch die von ihr und anderen aufgestellte Forderung nach einer Aufwertung der mehrheitlich von Frauen getätigten Reproduktionsarbeit. Zwar wäre das zunächst eine Erleichterung, aber zugleich würden Frauen damit weiterhin an Reproduktionsarbeiten gekettet – mit all den bekannten Problemen. Ich hingegen meine, dass Hausarbeit als individuelle Tätigkeit abgeschafft und vergesellschaftet werden muss. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass Frauen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Dem steht der Kapitalismus mit seiner Profitorientierung entgegen. Die in die Familie hinein verlagerte Reproduktionsarbeit ist für das Kapital eine billige »Lösung« – Kosten und Aufwand müssen von den einzelnen und nicht von der Gesellschaft getragen werden.
Du bist Mitautorin der Broschüre »Marxismus und Frauenbefreiung«. Passt das zusammen? Ist für den Marxismus Frauenunterdrückung nicht lediglich ein »Nebenwiderspruch«?
Naja, ein Teil der Linken hat dies zumindest in den 1970er Jahren behauptet. Ich halte das für einen Fehler. Aber es gibt auch eine andere marxistische Tradition, die Frauenbefreiung keineswegs als »Nebenwiderspruch« angesehen hat. Den Slogan von Rosa Luxemburg »Kein Sozialismus ohne Demokratie, keine Demokratie ohne Sozialismus« kann man ohne weiteres abwandeln in »Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung«. Der Kapitalismus ist eine Klassengesellschaft und kann ohne ökonomische Ausbeutung und damit einhergehender Unterdrückung nicht funktionieren. Daher muss er abgeschafft werden.
Aber ohne im Hier und Jetzt das Los der Mehrheit der unterdrückten und ausgebeuteten Frauen zu verändern und sie zu ermutigen, politisch und gewerkschaftlich aktiv zu werden und sich zu wehren, werden wir nie eine Massenbewegung aufbauen, die den Sozialismus erkämpfen kann. Kampf um Reformen war in der marxistischen Tradition immer absolut zentral. Diese Tradition in der Frauenfrage ist heute jedoch wenig bekannt. Das gilt auch für den Beginn der so genannten zweiten Frauenbewegung in der BRD Anfang der 1970er und die Rolle von Sozialistinnen darin. Es waren gerade die sozialistischen Frauengruppen, die die Kampagne gegen den §218 trugen. Diese Traditionen sollten wir wieder entdecken.
DIE LINKE versucht, mit Hilfe der Quotenregelung Frauen zu fördern. Das heißt: Eine festgelegte Anzahl von Parteiämtern ist für Frauen reserviert. Ist das hilfreich?
Wenn wir eine gerechte Gesellschaft erreichen wollen, kann die Quote nur ein Aspekt auf dem Weg dahin sein. Entscheidend für das Ende der Frauenunterdrückung ist, was für eine Praxis die Partei entwickelt. Ist sie auf allen Ebenen in der Lage, Kontakt zu Gewerkschaften, Frauengruppen und Initiativen aufzubauen? Kann sie ihre Ziele und Kampagnen vor Ort umsetzen? Macht sich die Partei Gedanken, wie sie Frauen für die Arbeit an der Basis gewinnen kann? Gibt sie Frauen den Mut, sich zu engagieren? Gibt es Kinderbetreuung, damit Mütter an Veranstaltungen etc. teilnehmen können? Wird bei der Parteiarbeit generell darauf geachtet, dass sich auch Mütter beteiligen können? Hilft die Partei im aktuellen Kampf gegen Kürzungen bei Kitas, Schulen, Löhnen und Sprachkursen? Auf diese Fragen muss DIE LINKE Antworten geben und eine Praxis entwickeln, die so geartet ist, dass alle Frauen, insbesondere Migrantinnen, weniger Alltagslasten haben und mitarbeiten können.
(Die Fragen stellte Marcel Bois)
Zur Person:
Katrin Schierbach ist Mitglied der LINKEN und Co-Autorin von »Marxismus und Frauenbefreiung« (Edition Aurora 1999).
Lesetipp:
- Judith Orr, Katrin Schierbach, Maya Mosler: »Wie frei ist die Frau? Reader Marxismus und Frauenbefreiung im 21. Jahrhundert«, 60 Seiten, 2,50 Euro, Edition Aurora 2009. Bestellen bei: edition.aurora [ät] yahoo.de
Katrin Schierbach auf marx21.de:
- Audio: »Clara Zetkin und der Kampf gegen den §218« Katrin Schierbachs Referat auf dem Kongress »Marx is' Muss 2009« (mp3, 20 MB, ca. 22 Min)
- Die neue F-Klasse: Eine neue Generation von Feministinnen macht auf sich aufmerksam und kritisiert die alte Frauenbewegung um Alice Schwarzer. Anlässlich des Internationalen Frauentages stellt Katrin Schierbach deren wichtigste Bücher vor.
- Weg von Heim und Herd: Vor 130 Jahren erschien August Bebels Buch »Die Frau und der Sozialismus«. Katrin Schierbach findet es immer noch aktuell.
- Eine Religion wie jede andere: Katrin Schierbach setzt sich mit gängigen Vorurteilen gegenüber dem Islam auseinander.
Mehr im Internet:
- Aufruf des DGB zum Internationalen Frauentag 2010
- Gleicher Lohn für Frauen und Männer: www.entgeltgleichheit.de (DGB-Kampagnenseite)
- Flugblatt der LINKEN im Bundestag: »Wer nicht kämpft, hat schon verloren« (PDF)
- Antrag der LINKEN im Bundestag: »Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern wirksam durchsetzen« (PDF)